Standpunkt – Präs. Artur Wechselberger: Kennen Sie PHC?

10.04.2014 | Standpunkt

© Dietmar Mathis

Nein, kein Bodenbelag, das wäre PVC. PHC steht als Kürzel für Primary Health Care, ein primärmedizinisches Versorgungskonzept, an dem offensichtlich das heimische Gesundheitswesen genesen soll. Österreich kommt damit der Erklärung von Alma Ata aus dem Jahre 1978 nach, welche damals von der International Conference on Primary Health Care verabschiedet wurde. An dieser WHO-Konferenz in der kasachischen Hauptstadt waren Vertreter von 123 Regierungen und 67 regierungsunabhängigen Organisationen beteiligt, um einen entscheidenden Schritt in Richtung Basisgesundheitsversorgung und Gesundheitsförderung zu setzen. Die Konferenz bekräftigte die WHO-Definition von 1948, die Gesundheit als Zustand völligen körperlichen, seelischen und sozialen Wohlbefindens beschreibt.

Primary Health Care umfasst der Deklaration entsprechend alles, was Gesundheit beeinflusst: Bildungsstatus, soziale Netzwerke, Kultur, Arbeit und Arbeitsbedingungen, Gesundheitsförderung, Krankheitsverhütung, Behandlung und Rehabilitation. Maßnahmen zur Bereitstellung ausreichender Ernährung und sauberes Wasser sind ebenso angesprochen wie Familienplanung und Impfungen sowie die Förderung der Eigenverantwortung der Bevölkerung für ihre Gesundheit. Dabei soll die primäre Gesundheitsversorgung für Familien, Einzelpersonen aber auch die Gemeinschaft den möglichst wohnort- und arbeitsplatznahen Erstkontakt zum Gesundheitssystem anbieten wie auch die Kontinuität der Versorgung sicherstellen. Dies soll in der Zusammenarbeit aller in die Behandlung eingebundenen Gesundheitsfachkräfte wie Ärzte, Pflegekräfte, Hebammen, Hilfskräfte und Sozialarbeiter als Mitglieder eines Teams geschehen – sowohl vor Ort wie auch im Rahmen von Überweisungen.

Mit diesem Teamgedanken gibt die bald 40 Jahre alte WHO-Forderung das Stichwort für die österreichischen Gesundheitsstrategen. Interdisziplinäre, multiprofessionelle Teams werden definiert und in bunten Grafiken dargestellt. Die Allgemeinmediziner und ihre Sprechstundenhilfen werden – verstärkt durch die Krankenpflege – zum zentralen Kernteam geadelt, um welches sich die anderen Gesundheitsdienste satellitengleich gruppieren. Selbstverständlich werden auch Patientenzentriertheit und Qualitätsorientierung beschworen.

In der Versorgung tätige Allgemeinmediziner kommen aus dem Staunen nicht mehr heraus, wie plötzlich das, was sie seit Jahrzehnten zu leben versuchen, in druckfrischen Konzepten verbalisiert und visualisiert wird. Sie, die Tag und Nacht für ihre Patientinnen und Patienten aufopfernd erreichbar sind, Bereitschaftsdienste organisieren, Ordinationsmitarbeiter beschäftigen und mit den ambulanten Diensten aber auch stationären Einrichtungen kooperieren, erfahren plötzlich, dass das bestehende System im Sinne von Interdisziplinarität und Multiprofessionalität umgebaut werden soll. Und zwar von denen, die sich bisher noch nie darum gekümmert haben, dass die Partner dieser Zusammenarbeit ausreichend und zeitgerecht vorhanden waren. Die, die fehlende Kassenverträge und Vertragsleistungen aber auch das Fehlen klarer Verbindlichkeiten in der Zusammenarbeit zu verantworten haben, wollen plötzlich das Rad neu erfinden. Dieselben, die Allgemeinmedizinern seit Jahren eine gediegene Ausbildung verweigert und ein flexibles, praktikables Gruppenpraxisgesetz verhindert haben, basteln an neuen Strukturen, wissen plötzlich, wie es richtig geht.

Natürlich kann man auch klüger werden und – Alma Ata sei Dank – Versäumtes nachholen. Aber auch Staunen muss erlaubt sein und auch die Sorge, dass praxisferne Reißbrettkonzepte viele seit Jahren engagierte Primärversorger misstrauisch machen, verschrecken oder demotivieren.

Artur Wechselberger
Präsident der Österreichischen Ärztekammer

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 7 / 10.04.2014