Standpunkt – Präs. Artur Wechselberger: „Auch werde ich niemandem ein tödliches Gift geben, …

25.10.2014 | Standpunkt

© Dietmar Mathis

… auch nicht, wenn ich darum gebeten werde“, gibt der Hippokratische Eid – die weltweite Grundformel für ärztliche Ethik – eine Maxime ärztlichen Handelns vor. Über die Jahrtausende hat sich dieses berufliche Selbstverständnis der bedingungslosen Verpflichtung zum Schutz des Lebens erhalten. Auch im Genfer Gelöbnis, der internationalen Standesordnung des Weltärztebundes (WMA), wurden 1949 die Pflichten des Arztes zum Erhalt menschlichen Lebens festgeschrieben.

Allerdings müssen den ärztlichen Entscheidungen neben dem Schutz von Leben und Gesundheit auch andere ethische Grundwerte wie die Freiheit des Willens und das richtige Handeln zugrunde gelegt werden. In der Deklaration von Lissabon hat die WMA 1981 folgerichtig entsprechende Rechte des Patienten festgehalten. Darunter finden sich die Freiheit des Willens und die Selbstbestimmung in den Entscheidungen zur eigenen Person wie auch das Recht, in Würde zu sterben. Trifft den Arzt die Pflicht, für seine Patienten fachkundig zu sorgen und ihr Leiden zu lindern, so haben die Patienten das Recht, in die vorgeschlagene Diagnostik und Therapie einzuwilligen oder diese abzulehnen. Sie haben das Recht auf menschenwürdige Sterbebegleitung und auf jede zur Verfügung stehende Hilfe, damit der Sterbevorgang so würdevoll und erträglich wie möglich erfolgen kann. Ein Recht auf medizinische Maßnahmen, die das Leben beenden, gehört nicht zu den Patientenrechten.

Wenn auch das Recht zu sterben, wie der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte dazu ausführte, Teil des Rechts auf Selbstbestimmung ist, so existiere nach Auffassung der Richter nach der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) jedoch kein Recht auf einen Suizid. Aus der Selbstbestimmung eines Betroffenen, lebenserhaltende Maßnahmen abzulehnen, leite sich keine Verpflichtung ab, lebensbeendende Maßnahmen zu unterstützen.

Das Recht auf Leben, nach Art. 2 der Menschenrechtskonvention, verpflichtet die Ärzte, für ihre Patienten zu sorgen, ihr Leiden zu lindern und ihnen Unterstützung zukommen zu lassen. Das Recht auf Schutz vor unmenschlicher oder herabwürdigender Behandlung nach Art. 3 der Konvention soll sicherstellen, dass Ärzte in Anwendung dieser Grundsätze keine Behandlung vornehmen, die keinen Nutzen bringt oder in keinem Verhältnis zu den Risiken und erwarteten Folgen steht. Mit anderen Worten: Ärzte müssen – wie es der Europarat in seinem Leitfaden zur Entscheidungsfindung am Lebensende definiert – für den Patienten verhältnismäßige und der Situation angemessene Behandlungsmaßnahmen wählen.

Gerade in der menschenwürdigen Sterbebegleitung reduziert sich damit oft das ärztliche Handeln auf den Kern des Arztseins, den empathischen Beistand eines sich in existentiellen Nöten und Ängsten befindlichen Patienten. Trotz aller Errungenschaften der modernen naturwissenschaftlich-technisch geprägten Medizin wird der Behandlungsspielraum auf die Beherrschung und Kontrolle von Symptomen wie Schmerz, Angst, Unruhe, Übelkeit oder Atemnot eingeschränkt. Dagegen treten die zwischenmenschlichen ärztlichen Ebenen des Begleitens, der geistlichen Hilfe und des Versuchs des Erhalts von wenigstens einem Rest an Lebensqualität in den Vordergrund. Hier weist sich die Grundkompetenz jedes Arztes abgeleitet von der philosophisch-humanistischen Basis des Arztberufes: der Zuwendung, der Hilfeleistung und des Erhalts der Würde – auch im Sterben.

Diese Grundkompetenz, die alle Ärzte erwerben müssen, befähigt sie erst im Sinne des Ärztegesetzes – nach Maßgabe der ärztlichen Wissenschaft und Erfahrung – zum Wohle der Patienten tätig zu werden. Diese Tatsache zeigt auch den eklatanten Widerspruch, der bestünde, wenn man versuchte, die Wurzeln des Arztseins und die beschränkten Möglichkeiten der Symptomkontrolle am Lebensende in einem Sonderfach Palliativmedizin zu vereinen. Denn das lateinische Wort palliare, einen Sterbenden lindernd und tröstend mit dem Pallium, also seinem Mantel, zu umhüllen und zu bedecken, gehört zu den Uraufgaben jedes Arztes.

Artur Wechselberger
Präsident der Österreichischen Ärztekammer

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 20 / 25.10.2014