Kongress Med&Care: Der verflixte Patient

10.10.2014 | Politik

Er ist eigenverantwortlich, ihm fehlt aber „health literacy“, er hätte gerne Transparenz und natürlich Qualität. Er will Fürsorge und kostet Geld. Beim Kongress Med&Care Ende September in Graz stellten die Referenten fast durchwegs den Patienten in den Mittelpunkt. Irgendwie stand er dort aber der Diskussion immer im Weg, obwohl er eigentlich gar nicht da war.
Von Martin Novak

Patientenfokus in Österreich – Strategie oder Mogelpackung?“ war die Frage eines Kongress-Schwerpunktes. Die einfache Antwort wäre: beides. Aber so einfach war es dann doch nicht. Martin Gleitsmann, Leiter der Sozialpolitischen Abteilung in der Wirtschaftskammer Österreich, präsentierte sein sozialpartnerschaftliches Gesundheitskonzept. Darin steht der Patient – graphisch jedenfalls – im Mittelpunkt, noch dazu auf einem mit „Eigenverantwortung“ beschrifteten Podest. Diese „Eigenverantwortung“ ist aber mit einigen Fußnoten oder auch Fußangeln versehen. Der „eigenverantwortliche“ Patient braucht ein „sachlich fundiertes Patienteninformationsportal“. Dass er, der Patient, nicht selbst entscheiden kann, was sachlich fundiert ist, klingt einleuchtend, steht aber im Gegensatz zur umfassenden Eigenverantwortung. Er braucht auch – so der Gesundheitsökonom – ein Telefon- und webbasiertes Erstberatungsservice, um dort „klare, verständliche Information“ (bevorzugt durch Krankenschwestern) zu erhalten. Das klingt wirtschaftlich plausibel – mit einer Krankenschwester zu telefonieren sollte billiger sein, als in der Praxis mit dem Hausarzt zu sprechen – es klingt aber auch eher nach (sanftem) Diktat.

Zu den Erläuterungen des Wirtschaftskammer- Experten nahm Univ. Prof. Josef Smolle, Dermatologe und Rektor der Medizinischen Universität Graz, die Gegenposition ein. Grundthese: Jeder behauptet, er macht es für die Patienten, egal, was er macht. Die wichtigsten Mythen beziehungsweise Baustellen der Patientenfokussierung aus seiner Sicht listete Smolle auf.

  • Mythos Aufklärung: Sie diene weniger den Patienten als der Rückversicherung der Behandler und könne auch schaden: weil sie die für den Erfolg einer Behandlung hilfreiche „optimistische Haltung“ des Patienten zerstöre.
  • Mythos Dokumentation: Die Ärzte müssten „wie die Teufel“ dokumentieren, die Dokumentation dauere oft doppelt so lange wie die Behandlung. Man könne aber nicht „die ganze Medizin in Checklisten packen“.
  • Kein Mythos ist für Smolle die Fragmentierung: Die Kontinuität der Behandlung sei tagsüber zu gewährleisten. Dafür werde man in Kauf nehmen müssen, dass mancher Nachtdienst durch eine Rufbereitschaft ersetzt wird.
  • Mythos Hierarchie: Nicht der Arzt als Teamleiter – etwa im OP – sei das Problem, sondern die Zersplitterung der Hierarchien: „Dass es im OP überhaupt funktioniert, ist den Menschen dort zu verdanken“, so Smolle. Sie würden sich über die formale Zersplitterung hinwegsetzen.
  • Mythos beziehungsweise Baustelle „Facharzt“: Junge Ärzte in fachärztlicher Ausbildung würden viel zu spät verantwortliche Tätigkeiten ausüben können. Aber nichts lerne man so schnell, wie das, was man tut – egal ob man 25 oder 33 Jahre alt sei. Die neue Ausbildungsordnung weise aber in die richtige Richtung, betonte Smolle.
  • Der Mythos „Patient als Kunde“ ist für den Grazer MedUni-Rektor eine gefährliche Drohung: Ziel der Wirtschaft sei es, Bedarf zu schaffen, auch an Dingen, die der Kunde nicht unbedingt benötigt. Die Medizin habe aber andere Ziele: „Eine Blinddarmoperation pro Person reicht, und auch nur dann, wenn der Blinddarm entzündet ist“, brachte es Smolle auf den Punkt. Der Arzt solle sich als Treuhänder des Patienten begreifen.

Die steirische GKK-Generaldirektorin Andrea Hirschenberger verteidigte das österreichische Gesundheitssystem: „Einiges läuft gut, ohne es glorifizieren zu wollen“, meinte sie und untermauerte ihre Behauptung durch mehrere Umfrage-Ergebnisse. Auch eine Erkenntnis aus Patientenbefragungen: „Wir“, so Hirschenberger, „wollen den Hausarzt stärken“.

In der anschließenden Diskussion kam dann doch der Patient zu Wort in Person der Vorsitzenden der ARGE Selbsthilfe Österreich, Monika Maier. „Warum mache ich es nicht mit den Patienten, statt immer nur für sie?“, stellte sie in den Raum. Der Patient sei kein Problem, sondern Teil der Lösung.

Dazu passte der wahrscheinlich wichtigste Satz der Diskussion von Gerhard Stark, dem Ärztlichen Leiter des Krankenhauses der Elisabethinen sowie des Marienkrankenhauses Vorau: „Alle glauben zu wissen, was die Patienten wollen …“ Zu den „allen“ gehörte auch Julian Hadschieff, CEO des privaten Spitalsbetreibers Premi- QaMed: „Wir leben gut in diesem System, weil wir darauf hören, was unsere Patienten wünschen“, meinte er selbstbewusst.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 19 / 10.10.2014