Afgha­ni­stan im Jahr des Trup­pen­ab­zugs: Gesund­heit zwi­schen Land­mi­nen und Raketen

15.12.2014 | Politik

In wei­ten Tei­len von Afgha­ni­stan war kriegs­be­dingt über viele Jahre hin­durch eine medi­zi­ni­sche Basis­ver­sor­gung nicht mög­lich. Die Fol­gen der deso­la­ten Struk­tu­ren sind u.a. eine extrem hohe Kin­der­sterb­lich­keit und eine geringe Lebens­er­war­tung. Der inter­na­tio­nale Ein­satz kann Erfolge vor­wei­sen; jedoch zie­hen mit Jah­res­ende die aus­län­di­schen Trup­pen ab. Von Nora Schmitt-Sausen

Afgha­ni­stan ist ein rauer Fle­cken Erde. Je nach Region sind die Win­ter eisig, die Som­mer sti­ckig und tro­cken. In den kal­ten Mona­ten erfrie­ren Kin­der auf den Stra­ßen, in den mehr als 40 Grad hei­ßen Som­mer­ta­gen darbt das Vieh. Schier end­lose Wüs­ten­land­schaf­ten durch­zie­hen das Land genauso wie mas­sive Gebirgs­ket­ten. Die Vege­ta­tion reicht von rar über dürr bis nichts. Immer wie­der wird das Land von Natur­ka­ta­stro­phen heim­ge­sucht. So viel ist sicher: Vom Leben ver­wöhnt war die afgha­ni­sche Bevöl­ke­rung allein auf Grund die­ser Gege­ben­hei­ten nie. Und dann auch noch das: Seit drei Jahr­zehn­ten tobt im Land ein blu­ti­ger Kampf um Macht und Besitz. Glau­bens­krie­ger und War­lords dik­tie­ren, wel­che Regeln und Gesetze gel­ten. Mehr­fach wird Afgha­ni­stan zum Spiel­ball inter­na­tio­na­ler Kon­flikte, seit 2001 herrscht Krieg im Land. Der Rücken der afgha­ni­schen Bevöl­ke­rung muss breit sein, um all dies aus­zu­hal­ten. Aber er ist es nicht.

Afgha­ni­stan zählt bis heute zu den am wenigs­ten ent­wi­ckel­ten Län­dern der Welt. 70 Pro­zent der Bevöl­ke­rung sind Analpha­be­ten. Im All­tag regie­ren bit­tere Armut, Hun­ger, Arbeits­lo­sig­keit und Kor­rup­tion. Häus­li­che Gewalt und Zwangs­ehen gehö­ren zur Tages­ord­nung. Der Dro­gen­han­del blüht, die Jus­tiz schaut oft taten­los zu. Ele­men­tare Stüt­zen einer Gesell­schaft wie Infra­struk­tur, Bil­dungs­we­sen, Ver­wal­tung und Poli­zei lie­gen vie­ler­orts brach. Am schlimms­ten steht es um das Gesund­heits­we­sen. Der Bevöl­ke­rung fehlt grund­le­gen­des Gesund­heits­wis­sen – selbst in so ele­men­ta­ren Belan­gen wie der Hygiene. Es man­gelt an Geld, qua­li­fi­zier­tem Per­so­nal, sau­be­rem Was­ser, Strom, medi­zi­ni­schen Gerä­ten und Medi­ka­men­ten. Selbst eine Basis­ver­sor­gung ist in wei­ten Tei­len des Lan­des über viele Jahre kaum mög­lich gewe­sen. Das Wenige, das an Ver­sor­gung gege­ben war, konn­ten viele der fast 30 Mil­lio­nen Afgha­nen nicht bezah­len. Der afgha­ni­sche Staat half ihnen nicht, pri­vate Ein­rich­tun­gen und Non-Pro­fit-Orga­ni­sa­tio­nen spran­gen ein. Die Folge der deso­la­ten Struk­tu­ren: eine extrem hohe Kin­der- und Müt­ter­sterb­lich­keit, eine geringe Lebens­er­war­tung, schwer­wie­gende und weit­ge­hend unbe­han­delte men­tale Erkran­kun­gen sowie weit ver­brei­tete Krank­hei­ten wie Unter­ernäh­rung, Hepa­ti­tis, Cho­lera, Aids, Mala­ria und Tuber­ku­lose. In nahezu sämt­li­chen Gesund­heits­in­di­ka­to­ren und Gesund­heits­sta­tis­ti­ken ran­giert Afgha­ni­stan seit Jah­ren auf einem der letz­ten Plätze. 

2014, im Jahr des Trup­pen­ab­zugs, wird spe­zi­ell das Gesund­heits­we­sen als Erfolgs­bei­spiel für den inter­na­tio­na­len Ein­satz her­an­ge­zo­gen. Der Auf­bau einer Basis-Gesund­heits­ver­sor­gung für die Bevöl­ke­rung war eines der prio­ri­tä­ren Ziele, als der Wes­ten sein Enga­ge­ment zur Sta­bi­li­sie­rung des Lan­des begann. Dafür hat Afgha­ni­stan in den ver­gan­ge­nen Jah­ren sehr viel Geld erhal­ten. Mehr als 40 Mil­li­ar­den US-Dol­lar sind allein an Ent­wick­lungs­hil­fe­pro­jekte und in die huma­ni­täre Hilfe geflos­sen, ein Groß­teil davon in das Gesund­heits­we­sen. Regie­run­gen, inter­na­tio­nale Orga­ni­sa­tio­nen, pri­vate Hilfs­in­sti­tu­tio­nen – alle haben mit­ge­zahlt, um das Gesund­heits­we­sen zu stüt­zen. So schnell hat noch nie ein Land so viel Geld erhal­ten. Doch was haben die Mil­lio­nen­sprit­zen tat­säch­lich gebracht?

Unzäh­lige Hilfsprojekte

Spe­zi­ell im Gesund­heits­sek­tor kann man die Hilfs­pro­jekte im Land kaum zäh­len. Die Deut­sche Gesell­schaft für Inter­na­tio­nale Zusam­men­ar­beit GmbH (GIZ) unter­stützt im Auf­trag des Aus­wär­ti­gen Amtes das afgha­ni­sche Gesund­heits­mi­nis­te­rium dabei, Struk­tu­ren und Stan­dards im Regio­nal­kran­ken­haus Mazar‑e Sha­rif zu ver­bes­sern und Per­so­nal zu schu­len. Die deut­sche KfW Ent­wick­lungs­bank baut zer­störte Ein­rich­tun­gen wie­der auf. Das deut­sche Bun­des­mi­nis­te­rium für wirt­schaft­li­che Zusam­men­ar­beit und Ent­wick­lung bil­det Heb­am­men aus. Die Welt­ge­sund­heits­or­ga­ni­sa­tion (WHO) för­dert das Bewusst­sein für Frau­en­ge­sund­heit. „Ärzte ohne Gren­zen“ hat Chir­ur­gen an vier Kran­ken­häu­ser in den Pro­vinz­haupt­städ­ten ent­sen­det. „Save the Child­ren“ küm­mert sich vor allem um Vor­sor­ge­un­ter­su­chun­gen von Schwan­ge­ren, Neu­ge­bo­re­nen und Kin­dern. Die Bill Gates Stif­tung inves­tiert seit Jah­ren in Impf­schutz. Diese Liste ließe sich noch lange fort­set­zen. In Spit­zen­zei­ten sind nahezu 2.000 Hilfs­or­ga­ni­sa­tio­nen aus aller Welt im Land.

Erfolge sind defi­ni­tiv vor­han­den. Eine Basis­ver­sor­gung kann zumin­dest in struk­tur­stär­ke­ren Regio­nen gewähr­leis­tet wer­den, wenn auch nach wie vor nur mit Hil­fen aus dem Wes­ten. Es wur­den tat­säch­lich viele neue Gesund­heits­ein­rich­tun­gen gebaut, die nicht nur auf dem Papier exis­tie­ren. Die gesund­heit­li­che Auf­klä­rung konnte – beson­ders bei Frauen – ver­bes­sert wer­den. Die Sterb­lich­keits­rate ist deut­lich zurück­ge­gan­gen, die Lebens­er­war­tung der Afgha­nen gestie­gen. „Das Leben der afgha­ni­schen Bevöl­ke­rung ist bes­ser gewor­den, auch weil Gesund­heits­ein­rich­tun­gen da sind“, bestä­tigt Masood Karokhail von der afgha­ni­schen NGO „The Liai­son Office“. Kaum einer der invol­vier­ten Akteure ver­neint den Fort­schritt: nur betont ihn der eine mehr, der andere weni­ger. Sicher ist aber: Ob die Lage heute – gemes­sen am Auf­wand der ver­gan­ge­nen 13 Jahre – zufrie­den­stel­lend ist, ist sehr viel schwie­ri­ger zu beant­wor­ten. Und fest steht auch: Viele Mil­lio­nen Dol­lar sind wir­kungs­los im Land ver­si­ckert, weil sie schlicht nicht nach­hal­tig inves­tiert wurden.

Die Knack­punkte lie­gen auf der Hand: Der Zugang zu Gesund­heits­ein­rich­tun­gen ist für große Teile der Bevöl­ke­rung wei­ter­hin schwie­rig, die Anzahl der Anlauf­stel­len ein­fach immer noch zu gering. Die schwie­rige Sicher­heits­lage in wei­ten Tei­len des Lan­des macht eine flä­chen­de­ckende Ver­sor­gung nahezu unmög­lich. Dras­tisch for­mu­liert sieht die Rea­li­tät in Afgha­ni­stan des­halb bis heute so aus: Junge Bau­ern wer­den bei der Ernte durch Land­mi­nen getö­tet, Dorf­be­woh­ner gera­ten zwi­schen die Fron­ten von Kriegs­par­teien, Rake­ten schla­gen in Häu­ser ein und löschen ganze Fami­lien aus. Schwan­gere ster­ben bei der Geburt auf dem wei­ten und gefähr­li­chen Weg in ein Spi­tal, Ver­letzte kön­nen nur unzu­rei­chend ver­sorgt wer­den, Kranke müs­sen sich selbst hel­fen. Das Wis­sen über The­men wie Ver­hü­tung, Ernäh­rung und Hygiene ist nach wie vor nur sehr lücken­haft. Eine afgha­ni­sche Frau bekommt im Durch­schnitt mehr als sechs Kin­der. Viele davon erle­ben den fünf­ten Geburts­tag nicht. Von denen, die durch­kom­men, sind viele akut unterernährt.

Schwie­ri­ges Umfeld

Die Rah­men­be­din­gun­gen in Afgha­ni­stan sind für Bevöl­ke­rung und Hel­fer glei­cher­ma­ßen schwie­rig. Vor allem für Nicht-Afgha­nen bleibt das Land auch nach Jah­ren des Ein­sat­zes ein Mys­te­rium. „Wir kön­nen nur beur­tei­len, was wir auch sehen kön­nen. Und viel in die­sem Land kön­nen wir nicht beur­tei­len. Es gibt sehr viele Rea­li­tä­ten, aber nur sehr wenig Zugang. In man­chen Berei­chen sind wir schlicht blind auf vie­len Augen“, sagte der lang­jäh­rige deut­sche Geschäfts­füh­rer von „Ärzte ohne Gren­zen“, Frank Dör­ner. Afgha­ni­stan sei ein „extre­mes Land“, in dem eine schwie­rige Gemenge­lage herrsche.

In der Rea­li­tät bedeu­tet das: Die inter­na­tio­nale Hilfe kon­zen­triert sich auf städ­ti­sche Regio­nen. Länd­li­che Gebiete – spe­zi­ell im Süden des Lan­des – sind für die Hel­fer aus dem Aus­land nicht zugäng­lich. Dabei leben 80 Pro­zent der Afgha­nen auf dem Land. Doch die Sicher­heits­lage ist in eini­gen abge­le­ge­nen Regio­nen so ange­spannt, dass es weder inlän­di­sche noch aus­län­di­sche Hilfs­or­ga­ni­sa­tio­nen, geschweige denn Regie­rungs­mit­ar­bei­ter, ver­ant­wor­ten kön­nen, ihre Mit­ar­bei­ter dort­hin zu schi­cken. Wenn man weiß, dass Hel­fer einige Kran­ken­häu­ser und Gesund­heits­ein­rich­tun­gen in den erschlos­se­nen Gebie­ten schon als „kata­stro­phal“ bezeich­nen, kann man sich den­ken, wie es um die medi­zi­ni­sche Ver­sor­gung der Bevöl­ke­rung dort steht, wo bis­lang kein ein­zi­ger aus­län­di­scher Dol­lar geflos­sen ist. Es sind unbe­geh­bare Zonen, in denen hun­gernde Kin­der, Schwan­gere und Ver­letzte sich selbst über­las­sen sind. Sie müs­sen lange Distan­zen zurück­le­gen, um Hilfe zu bekom­men – was das Risiko wei­ter erhöht.

Denn selbst dort, wo Hilfe geleis­tet wer­den kann, feh­len oft die Res­sour­cen. Viele Kran­ken­häu­ser – auch die neu gebau­ten – sind über­las­tet; es fehlt an qua­li­fi­zier­ten Ärz­ten und Kran­ken­schwes­tern. Eines der Kern­pro­bleme abseits der Ver­sor­gungs­lü­cken ist außer­dem, dass die Afgha­nen wei­ter­hin den Groß­teil der Kos­ten für die medi­zi­ni­sche Ver­sor­gung aus eige­ner Tasche zah­len müs­sen. Behand­lungs­kos­ten, Medi­ka­men­ten­kos­ten und der Kran­ken­trans­port fal­len erheb­lich ins Gewicht. Für die Meis­ten stellt dies eine immense Hürde dar. Es gibt Regio­nen, in denen 80 Pro­zent der Men­schen von weni­ger als einem Dol­lar am Tag leben.

Zukunft unklar

Doch wie geht es wei­ter mit dem Land? Die natio­nale Gemein­schaft ver­spricht, die Afgha­nen nicht im Stich zu las­sen, wenn Ende 2014 nahezu alle Sol­da­ten aus dem Land abge­zo­gen sein wer­den. Bis 2024 soll die afgha­ni­sche Bevöl­ke­rung in ele­men­ta­ren Berei­chen des öffent­li­chen Lebens Hilfe aus dem Aus­land erhal­ten. Diese Hilfe ist für die afgha­ni­sche Bevöl­ke­rung von exis­ten­ti­el­ler Bedeu­tung. Auch Hilfs­or­ga­ni­sa­tio­nen wie etwa die Welt­hun­ger­hilfe beteu­ern, dass sie die Unter­stüt­zung für das Land vor­erst nicht ein­stel­len wer­den. „Unser Grund­man­dat ist die lang­fris­tige Ent­wick­lungs­zu­sam­men­ar­beit“, sagte Prä­si­den­tin Bär­bel Dieck­mann in Ber­lin. Sie betonte aber auch, wie wich­tig es sei, dass ein Land wie Afgha­ni­stan lerne, auf eige­nen Füßen zu ste­hen. Dieck­mann: „Unser Ziel ist immer, eine Land zu ver­las­sen, weil die Hilfe zur Selbst­hilfe gelun­gen ist.“ „Ärzte ohne Gren­zen“ will auf lange Sicht in Afgha­ni­stan blei­ben und das Enga­ge­ment künf­tig sogar ausweiten.

Inwie­weit sich die harte Lebens­wirk­lich­keit der Afgha­nen durch die wei­tere Hilfe ver­bes­sern wird, ver­mag aber nie­mand zu pro­gnos­ti­zie­ren. Zuver­sicht ist aller­dings nicht weit ver­brei­tet. 2013 war nach offi­zi­el­len Anga­ben eines der gewalt­reichs­ten Jahre seit Beginn des NATO-Ein­sat­zes. Selbst einst sta­bile Regio­nen wer­den inzwi­schen auf­ge­rie­ben, weil sich die Situa­tion im Land zuge­spitzt hat. Afgha­ni­stan-Ken­ner fürch­ten des­halb, dass sich die Situa­tion nach Abzug der Trup­pen eher desta­bi­li­siert als sta­bi­li­siert: dass das, was auf­ge­baut wurde, in sich zusam­men­fällt wie ein Kar­ten­haus. Dass es der afgha­ni­schen Regie­rung nicht gelingt, selbst das Zep­ter erfolg­reich in die Hand zu neh­men. Dass alte Mächte wie­der zuneh­mend Ein­fluss gewin­nen. Und dass irgend­wann der Zeit­punkt kommt, an dem Regie­run­gen und Hilfs­or­ga­ni­sa­tio­nen den Geld­hahn zudre­hen, den Rück­zug aus der Kri­sen­re­gion erklä­ren und das gebeu­telte Land sich selbst überlassen.

Noch ist die­ses Sze­na­rio der Pes­si­mis­ten nicht Rea­li­tät. Bis dahin wer­den in den gro­ßen Städ­ten wie Kabul und Mazar‑e Sha­rif wei­ter gut aus­ge­stat­tete Kran­ken­häu­ser gebaut. Zugang zu vie­len die­ser Pres­ti­ge­ob­jekte haben aller­dings ledig­lich Afgha­nen, die über das nötige Klein­geld ver­fü­gen – und aus­län­di­sche Diplo­ma­ten, Sol­da­ten und Ent­wick­lungs­hel­fer. Für die meis­ten Ein­hei­mi­schen bleibt Afgha­ni­stan ein rauer Fle­cken Erde.

Ein Land im Dauerkrieg

Afgha­ni­stan kommt nicht zur Ruhe: 1979 fällt die Sowjet­union in das Land ein, um die Kämpfe im eige­nen Inter­esse zu beein­flus­sen. Der Wes­ten – allen voran die USA – reagiert auf die sowje­ti­sche Inva­sion ver­stimmt und unter­stützt die anti­kom­mu­nis­ti­schen, afgha­ni­schen Kräfte. Nach dem Abzug der sowje­ti­schen Trup­pen 1989 gibt es keine poli­ti­sche und mili­tä­ri­sche Ord­nung mehr, Afgha­ni­stan ver­sinkt im Bür­ger­krieg. Mitte der 1990er Jahre kom­men die Tali­ban an die Macht, die Land und Leute unter­jo­chen. Im Jahr 2001 wird Afgha­ni­stan erneut zum Spiel­ball des Welt­ge­sche­hens. Der Ter­ror von New York wur­zelte am Hin­du­kusch. Als Reak­tion auf die Anschläge vom 11. Sep­tem­ber 2001 erklä­ren die USA der in Afgha­ni­stan ansäs­si­gen al-Qaida-Gruppe den Krieg. Die Staa­ten­ge­mein­schaft stellt sich an die Seite der US-Ame­ri­ka­ner. Seit 2001 sind NATO-Trup­pen im Kampfeinsatz.

Was „Ärzte ohne Gren­zen“ machen (kön­nen)

„Ärzte ohne Gren­zen“ gehört zu den Orga­ni­sa­tio­nen, die ihr Ohr nah an der afgha­ni­schen Bevöl­ke­rung haben. 2013 befrag­ten die Hel­fer sechs Monate lang 800 Afgha­nen, die in einem der Kran­ken­häu­ser der Orga­ni­sa­tion behan­delt wur­den. Im Zuge des­sen wurde erho­ben, wie es um den Zugang zur medi­zi­ni­schen Ver­sor­gung im Land steht. Die – ver­hee­ren­den – Ergeb­nisse wur­den 2014 prä­sen­tiert. „Jeder fünfte befragte Pati­ent hat uns berich­tet, dass ein Fami­li­en­an­ge­hö­ri­ger oder ein enger Freund im ver­gan­ge­nen Jahr gestor­ben ist, weil er nicht recht­zei­tig medi­zi­ni­sche Hilfe bekom­men hat“, erklärte Chris­to­pher Sto­kes, Geschäfts­füh­rer von „Ärzte ohne Gren­zen“ in Bel­gien, von wo aus die Pro­jekte in Afgha­ni­stan koor­di­niert wer­den. 40 Pro­zent der Befrag­ten, die eines der Kran­ken­häu­ser erreicht haben, berich­te­ten von Kämp­fen, Minen, zeit­rau­ben­den Check­points oder Bedro­hun­gen auf dem Weg in die Klinik.

„Ärzte ohne Gren­zen“ hat erst­mals 1981 Mit­ar­bei­ter nach Afgha­ni­stan ent­sen­det. 2004 – nach dem Mord an fünf ihrer Mit­ar­bei­ter – zog sich die Hilfs­or­ga­ni­sa­tion aus dem Land zurück. Seit Mitte 2009 sind nun wie­der Hel­fer im Land. Doch Afgha­ni­stan bleibt auch wei­ter­hin für die Hel­fer ein gefähr­li­ches Pflas­ter. Nur wenige Wochen nach der Eröff­nung einer Mut­ter-Kind-Kli­nik von „Ärzte ohne Gren­zen“ in der Pro­vinz Khost explo­dierte in der Ein­rich­tung eine Bombe. Es gab meh­rere Ver­letzte; die Arbeit musste mona­te­lang ein­ge­stellt wer­den. Lei­bes­vi­si­ta­tio­nen gehö­ren nicht nur in Khost zum All­tag von Pati­en­ten, Ange­hö­ri­gen und Per­so­nal, sobald sie eine Gesund­heits­ein­rich­tung betre­ten. Inves­ti­tio­nen in die Sicher­heit von Hel­fern, Pati­en­ten und Ein­rich­tun­gen ver­schlin­gen lan­des­weit einen gro­ßen Teil der zur Ver­fü­gung ste­hen­den Hilfsgelder.

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 23–24 /​15.12.2014