Weltkongress für Logotherapie: Die Frage nach dem Sinn

25.05.2014 | Medizin

In der modernen Gesellschaft ist die Frage nach dem Sinn aktueller denn je. Zentrale Themen dabei: die psychologischen und sozialen Herausforderungen der Zeit. Das Interesse war enorm: Sogar die Warteliste war ausgebucht.

Der Andrang war groß: Nur wenige Wochen, nachdem die Einladungen zum zweiten Weltkongress für Logotherapie und Existenzanalyse ausgesandt worden waren, war er restlos ausgebucht; auch die Warteliste war voll. Überwältigt vom Interesse an diesem Kongress ist dessen Organisator und Vorstand des Viktor Frankl-Instituts in Wien, Univ. Prof. Alexander Batthyany: „Das zeigt uns, wie aktuell diese Fragestellungen für Medizin und Psychologie sind. Überhaupt bemerken wir in den letzten Jahren ein enorm ansteigendes Interesse an der Logotherapie und Existenzanalyse nach Viktor Frankl.“

Mehr als 350 Delegierte aus 30 Ländern haben sich beim zweiten Weltkongress für Logotherapie und Existenzanalyse Mitte Mai in Wien getroffen. Zentrale Themen dabei waren die psychologischen und sozialen Herausforderungen der Zeit und das sich laut zahlreichen internationalen Studien zunehmend verbreitende und generationsübergreifend festzustellende Sinnlosigkeitsund Entmutigungsgefühl und seine vielfältigen gesundheitlichen Auswirkungen, wie Alexander Batthyany ausführt. „Die Wirtschaftskrise, der demographische Wandel, die wachsende Unsicherheit und zugleich der scheinbare oder wirkliche Verlust traditioneller Werte stellen für den Menschen von heute, und damit für die zeitgenössische Psychologie und Medizin, eine Herausforderung dar, der man bisher nicht ausreichend gerecht geworden ist“, sagt er.

Das existentielle Vakuum

Viele Menschen resignieren oder ziehen sich in stillem Zorn aus dem Leben zurück, weil sie den Eindruck haben, bloß Spielball von Einflüssen und globalen Zusammenhängen zu sein, gegen die sie als Einzelne nichts auszurichten vermögen – so beschreibt Batthyany die Zusammenhänge. Das schüre Frustration und Hilflosigkeitsgefühle, in die leicht psychische Erkrankungen hineinwuchern können. Der Initiator des Kongresses dazu: „Immer mehr Menschen richten sich in einem Provisorium ein und warten darauf – sofern sie überhaupt noch Hoffnung haben -, dass die Umstände besser oder zumindest nicht schlechter werden.“ Die Bezeichnung dieses Lebensgefühls: existentielles Vakuum – ein nagendes Gefühl der Entmutigung und Sinnlosigkeit. Die gesundheitlichen Auswirkungen dürfe man – so Batthyany – nicht unterschätzen, insbesondere in einer Zeit, in der psychische Erkrankungen ohnehin auf einem „alarmierenden“ Vormarsch sind.

Die Logotherapie setzt dem Lebensgefühl des existentiellen Vakuums Ermutigung und die Erfahrbarkeit von Sinn und Engagement gegenüber, wie Batthyany betont. Und weiter: „Das ist das Gegenteil von Resignation: Das Wissen, dass es gut ist, dass ich da bin, weil mein Entscheiden und Handeln einen Unterschied machen kann – und sei er noch so klein. Denn alles, was ich tue, hinterlässt irgendwo und irgendwie Spuren und gestaltet damit ein kleines Stück von der Welt.“ Dies sei so Batthyany eine „Einladung zum Leben“ – und damit seien Resignation oder Provisorium keine Alternative mehr. Jeder sei aufgerufen, sein kleines Stück Welt so zu gestalten, dass es zumindest etwas heller, lebendiger, schöner und sinnvoller wird. In medizinischer Hinsicht sei vor allem bedeutsam, dass man „heute weiß, dass eine solche Lebenshaltung nachweislich positive gesundheitliche Auswirkungen hat. Das zeigt die Forschung einhellig sowohl in Hinblick auf körperliche als auch auf seelische Erkrankungen.“

So zeigen etwa die Forschungen von Professor Steven Southwick, Leiter der psychiatrischen Abteilung der Universität Yale, dass die Anfälligkeit für Depressionen, Angst und Zwang signifikant mit dem zugrundeliegenden Lebensgefühl zusammenhängt. Ehrengast des diesjährigen Kongresses war die Witwe von Viktor E. Frankl, Eleonore Frankl. Sie wurde im Rahmen des Kongresses mit dem zweiten Ehrendoktorat – diesmal vom Universitätsinstitut für Psychoanalyse in Moskau – ausgezeichnet.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 10 / 25.05.2014