Vorhofflimmern: Hauptsache antikoaguliert!

25.02.2014 | Medizin

Jedes Jahr erleiden rund 4.500 Österreicher einen Schlaganfall aufgrund von Vorhofflimmern. Vor allem ältere Patienten mit bekanntem Vorhofflimmern sind meist nicht entsprechend eingestellt. Bei einem von der ÖÄZ veranstalteten Round Table plädieren Experten für den verstärkten Einsatz von Antikoagulantien.
Von Marion Huber

Rund 4.500 Österreicher pro Jahr erleiden einen Schlaganfall durch Vorhofflimmern – und das, „obwohl ein großer Teil dieser schweren Schlaganfälle verhindert werden könnte“, sagt Univ. Prof. Wilfried Lang von der Abteilung für Neurologie am Krankenhaus der Barmherzigen Brüder Wien, Past Präsident der Österreichischen Schlaganfall-Gesellschaft (ÖGSF). Warum? Weil bei den meisten dieser Patienten das Vorhofflimmern zwar bekannt ist, sie jedoch keine oder eine nicht adäquate Behandlung etwa mit Acetylsalicylsäure (ASS) erhalten.

Bereits seit 20 bis 30 Jahren ist bekannt, dass Vitamin K-Antagonisten zur Prävention von Schlaganfällen wirksam sind. Dennoch wurden sie – in Österreich und ganz Europa – zu wenig eingesetzt, kritisiert Lang. – „und zwar vor allem wegen ihres Risikos für intrazerebrale Blutungen.“ Genau darin sehen viele Experten das Potential der neuen oralen Antikoagulantien (NOAK): Sie hätten allesamt den Vorteil, dass sie bei gleicher oder sogar besserer Wirksamkeit, eine Embolie zu verhindern, ein signifikant niedrigeres Risiko für intrazerebrale Blutungen aufweisen. „Damit bleibt die Hoffnung, dass die neuen oralen Antikoagulantien häufiger eingesetzt werden“, so Lang.

Einen weiteren „günstigen Nebeneffekt“ der neuen Präparate – neben ihrer guten Wirksamkeit und der größeren Sicherheit – sieht Univ. Prof. Franz Weidinger, Präsident der Österreichischen Kardiologischen Gesellschaft (ÖKG) und Vorstand der 2. Medizinischen Abteilung der Krankenanstalt Rudolfstiftung in Wien, in der zunehmenden Awareness der Ärzte: „Wir sind dadurch aufmerksamer in Bezug auf die Bedeutung der Antikoagulation geworden.“ Die Intensität der Studiendaten, die Guidelines und die Auseinandersetzung mit CHADS2- und CHA2DS2-VASc-Score hätten enorm viel bewirkt, betont Weidinger: „Dadurch bekommen heute mehr derjenigen Patienten, die sie benötigen, eine Antikoagulation.“

Dass 27 Prozent aller Patienten, die einen ischämischen Schlaganfall erleiden, Vorhofflimmern haben, unterstreicht die Bedeutung dieses Risikofaktors. Umso mehr, als die Lebenserwartung der Bevölkerung steigt – und Vorhofflimmern mit dem Alter tendenziell zunimmt. „Wir wissen aus epidemiologischen Untersuchungen wie etwa der Bruneck-Studie, dass zehn Prozent der Menschen über 80 Jahre Vorhofflimmern haben. Bei den über 90-Jährigen sind es sogar 15 Prozent“, schildert Univ. Doz. Regina Katzenschlager, Präsidentin der Österreichischen Gesellschaft für Neurologie (ÖGN) und interimistische Leiterin der neurologischen Abteilung im Wiener SMZ-Ost. Besonders bei älteren Patienten, bei denen man bislang wegen der Sturz- und Blutungsgefahr nicht antikoaguliert hatte, seien die Ärzte durch die neuen oralen Antikoagulantien jetzt eher dazu bereit. „Es sind aber immer noch zu wenige, die antikoaguliert werden“, betont Weidinger. In der Praxis geht es dabei vor allem um ältere Patienten mit bekanntem Vorhofflimmern, die nicht eingestellt sind. Vor allem ab dem 80. Lebensjahr ist es laut Lang um die Antikoagulation nicht gut bestellt: Sie sinkt signifikant. „Dabei steigt gerade ab diesem Zeitpunkt das Schlaganfall-Risiko besonders dramatisch an“, weiß Lang.

Durch die Risiko-ärmeren neuen oralen Antikoagulantien rücken nach Ansicht der Experten Faktoren wie Alter, Sturzgefahr und Demenz, die traditionell als relative oder absolute Kontraindikation galten, in den Hintergrund. Und Katzenschlager sieht darin einen weiteren Grund, den Kollegen in Erinnerung zu rufen, dass „auch sehr viele Patienten aus diesen Gruppen von einer Antikoagulation profitieren“. Natürlich steige mit zunehmendem Alter das Risiko für eine intrakranielle Blutung – gleichzeitig steige aber auch das Schlaganfall Risiko. „Unterm Strich ist Alter per se keine Kontraindikation“, so die Neurologin.Ähnliches gilt bei Sturzgefahr oder Demenz. „Auch bei diesen Patienten braucht man eine echte Kontraindikation, um nicht zu antikoagulieren.“

Akzeptanz steigt rasant

In der Neurologie werden – wenn keine Kontraindikation wie valvuläres Vorhofflimmern, mechanischer Aortenklappenersatz oder schwierige Nierensituation vorliegt – schon fast durchwegs neue orale Antikoagulantien verschrieben, schildert Lang. Dass die Akzeptanz der neuen Präparate rasant steigt, merkt auch Weidinger in der Praxis. „Wir sehen in der Kardiologie jetzt immer mehr Patienten, die im niedergelassenen Bereich schon auf ein neues orales Antikoagulantium eingestellt wurden.“ Im Krankenhaus sei die Situation eine andere: Wird bei einem Patienten mit neu aufgetretenem Vorhofflimmern die Indikation zur Antikoagulation gestellt, erfolgen Ersteinstellungen immer wieder noch unter Marcoumar – „aus Kostengründen und nach Vorgabe der Krankenkasse“, wie er sagt. „Aber wir versuchen immer dann, wenn es für den Patienten sinnvoll erscheint, die ökonomischen Hürden zu nehmen“, betont Weidinger.

In der Praxis tauchen jedoch zunehmend Fragen hinsichtlich der Anwendung auf, weiß der Experte. Zum Beispiel: Welche Patienten stellt man um? Wie? Die Experten raten hier, vor allem den Blick auf schlecht eingestellte Patienten zu richten. „Patienten, die über Jahre hindurch gut eingestellt sind und immer wieder zur Kontrolle kommen, werden nicht umgestellt werden müssen“, meint der Kardiologe. Gut eingestellt bedeutet laut Guidelines, wenn mindestens 70 Prozent der Werte im therapeutischen Bereich liegen.

Sofern keine Kontraindikation vorliegt, hängt es primär von der Nierenfunktion ab, ob ein Patient auf neue orale Antikoagulantien ein- oder umgestellt werden soll. „Bei einer GFR unter 30 sollte man diese Präparate nicht verschreiben“, betont Weidinger. Generell müsse bei Patienten mit „geringergradig eingeschränkter Nierenfunktion“ (Katzenschlager), bei Durchfallerkrankung, Exsikkose oder Analgetika-Einnahme – und vor allem bei älteren Patienten – die Nierenfunktion regelmäßig überprüft werden. Die Umstellung selbst ist einfach, sagt Lang: „Sinkt die INR auf 2, kann man am nächsten Tag mit einem neuen oralen Antikoagulantium beginnen.“

Ein heikles Thema hingegen ist das perioperative Bridging. Katzenschlager dazu: „Das sind genau die Zeiträume, in denen Patienten zu uns auf die Stroke Units kommen, weil eben da ein Schlaganfall passieren kann.“ Entscheidend dafür, wann und wie früh das Präparat vor einem Eingriff abgesetzt werden muss, ist zum einen die aktuelle Nierenfunktion; zum anderen hängt das vom Blutungsrisiko des operativen Eingriffs ab. Bei einem geringen Blutungsrisiko und normaler Nierenfunktion kann man knapper vor der Operation absetzen, ansonsten entsprechend früher. Hier gebe es laut Lang jedoch für jede Substanz „klare Empfehlungen“.

Blutung: Mortalität gleich

Und wenn es trotzdem zu einer Blutung kommt? Zwar gibt es für die neuen oralen Antikoagulantien kein Antidot; auf die Mortalität habe das aber keinen Einfluss, versichert Lang: „Wir haben bei Vitamin K-Antagonisten zwar mit den Gerinnungsfaktoren eine wirksame Substanz. Aber selbst wenn die Gerinnung sofort aufgehoben wird, schreitet die intrazerebrale Blutung fort.“ Die Mortalität ist in diesem Fall bei beiden Medikamentengruppen gleich hoch. Bei Vitamin K-Antagonisten liegt das Risiko für eine intrazerebrale Blutung bei sechs bis acht Promille, bei den neuen oralen Antikoagulantien bei zwei bis drei Promille. Für Lang zwar kein Grund, die Vitamin K-Antagonisten zu verteufeln, „denn Patienten, die gut eingestellt sind, sind gut behandelt“ – aber eine Erklärung dafür, warum viele Neurologen neue orale Antikoagulantien bevorzugen. Das Risiko für eine intrazerebrale Blutung könne damit um 80 Prozent gesenkt werden, verdeutlicht der Neurologe: „Eine mächtige Therapie – und jede mächtige Therapie hat auch Nebenwirkungen.“

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 4 / 25.02.2014