Regenerative Medizin: Praxis-tauglich

25.05.2014 | Medizin


Obwohl schon seit 1987, als der Begriff Tissue Engineering erstmals verwendet wurde, intensiv im Bereich der Stammzellen geforscht wird, gibt es bislang nur wenige zellbasierte Produkte für die Anwendung am Menschen. Einige Technologien sind bereits marktreif und in der medizinischen Praxis anwendbar.
Von Viktoria Enk

Der Begriff Tissue Engineering wurde 1987 beim National Science Foundation Workshop in Washington, DC erstmals verwendet. Obwohl seither bereits mehr als 25 Jahre vergangen sind und intensiv im Bereich der Stammzellen geforscht wird, gibt es bisher nur wenige zellbasierte Produkte auch für die Anwendung am Menschen. Das liegt unter anderem am komplizierten Zulassungsprozess für Arzneimittel für neuartige Therapien (Advanced Therapy Medicinal Product; ATMP). In Österreich ist dafür die AGES (Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit), auf europäischer Ebene die EMA (European Medicines Agency) zuständig.

In-vitro gezüchtete Implantate sind zur Zeit noch auf wenige Millimeter Dicke (zum Beispiel Haut) begrenzt, da die Nährstoffversorgung ohne intaktes vaskuläres Netzwerk nur auf Diffusion basiert. Ausnahmen dafür bilden Zelltypen, die in ihrer natürlichen Umgebung unter hypoxen Bedingungen wachsen wie zum Beispiel Knochen oder Knorpel.

Das erste europaweit zugelassene zellbasierte Produkt – ChondroCelect® -, das mittels autologer Chondrozyten zur Knorpelregeneration im Knie eingesetzt wird, ist bereits seit 2009 in europäischen Ländern zugelassen. Bei der autologen Chondrozytentransplantation wird defektes Gewebe entfernt, durch eine Chondrozytensuspension ersetzt und die Wunde mit einer Kollagenmembran verschlossen. Eine weitere Anwendungsmöglichkeit ist die Behandlung von Harnröhrenverengungen. Dabei kommt ein autologes Implantat zum Einsatz, das aus Zellen der Mundschleimhaut gezüchtet wird (MukoCell®).

Obwohl Tissue Engineering im Bereich der Behandlung von Typ-1-Diabetes noch nicht routinemäßig etabliert ist, zeigen Studien vielversprechende Ergebnisse. Da nur Beta-Zellen zum Erreichen der glykämischen Kontrolle erforderlich sind, ist Diabetes ein ideales Forschungsfeld der regenerativen Medizin. Nach der Entnahme und Kultivierung von Langerhansschen Inselzellen aus dem Pankreas können diese in die Leber implantiert werden. Um die fragilen Zellen vor Entzündungsreaktionen der Leber zu schützen, werden diese in klinischen Studien auch als Organoid, eingebettet in eine Hydrogel- Matrix, implantiert. Auch bei einer chronischen Pankreatitis kann eine autologe Transplantation vor der Notwendigkeit externer Insulinzufuhr schützen. Derzeit sind weltweit jedoch erst wenige Kliniken imstande, einen solchen Eingriff durchzuführen.

Unter dem Handelsnamen Apligraf® ist eine künstliche Haut auf Zellbasis auf dem Markt. Hier kommen menschliche Keratinozyten und Fibroblasten zum Einsatz. Diese werden getrennt kultiviert und zweilagig in einer Matrix ausbovinem Typ-1-Collagen angewandt. Bereits seit mehr als zehn Jahren kommt dieses Produkt in Österreich zur Behandlung von Dekubitus und diabetischem Fuß zum Einsatz.

Der Fall „Claudia´s Trachea“ erreichte im Jahr 2008 weltweit mediale Aufmerksamkeit. Die Luftröhre einer Tuberkulosepatientin konnte dabei durch ein Spenderorgan ersetzt werden, aus dem zuvor Zellen und somit Antigene entfernt wurden. Anschließend wurden autologe Stammzellen aus dem Knochenmark in Chondrozyten differenziert und das Organ damit besiedelt. Heute, mehr als fünf Jahre später, konnte nachgewiesen werden, dass das Transplantat gut vaskularisiert und komplett mit Epithelzellen besiedelt ist. Außerdem wurden weder Teratoma noch Antikörper gegen den Spender detektiert. Aufgrund der vielversprechenden Ergebnisse wurde diese Methode mittlerweile an weiteren Patienten erfolgreich durchgeführt und kann zukünftig möglicherweise zu einem Standardeingriff werden.

Biomaterialien

In vielen anderen Bereichen geht der Trend jedoch weg von zellbasierten Therapien, hin zu abbaubaren Biomaterialien, die die Heilung durch Nachahmen der natürlichen extrazellulären Matrix optimal unterstützen sollen. Als Beispiel für ein solches Produkt ist der Gewebekleber Tisseel® zu nennen, der beim Zusammentreffen der Komponenten Fibrinogen und Thrombin binnen weniger Sekunden aushärtet und eine dichte Matrix bildet. Aufgrund der leichten Handhabung (die zwei Komponenten sind getrennt verpackt und werden beim Herausdrücken vermengt) ist das Verschließen von Schnittwunden ohne einen einzigen Stich schon heute auch in der Ordination eines Allgemeinmediziners Realität. Fibrin ist äußerst flexibel, weshalb es in der Forschung auch als Matrix zum Training von Muskelzellen eingesetzt wird.

Oft werden auch Wachstumsfaktoren in die Matrix eingelagert, um die Migration von körpereigenen Zellen zu verbessern. Mögliche Anwendungsgebiete stellen Verletzungen von Nerven und Sehnen dar, deren Heilung durch die Verwendung von abbaubaren Biomaterialien auch dann verbessert werden kann, wenn die Verletzung so groß ist, dass es nicht möglich ist, die beiden Enden direkt zu verbinden.

Ein weiteres Biomaterial, das häufig eingesetzt wird, ist dezellularisiertes Gewebe. Zellen und Bestandteile, die Immunreaktionen auszulösen vermögen, werden dabei in einem mehrstufigen Verfahren entfernt. Übrig bleibt eine Biomatrix, die neben optimalen physikalischen Eigenschaften auch Zellbesiedlung und Vaskularisierung durch Signalmoleküle, die bei der Herstellung erhalten bleiben, unterstützt.

Bereits seit mehr als 20 Jahren sind Produkte im Bereich Haut-Tissue- Engineering auf dem Markt. Diese werden zur Behandlung von großflächigen Brandwunden und in der plastischen Chirurgie eingesetzt. Die biogene Matrix Alloderm® wird aus gespendeter menschlicher Haut hergestellt, bei der unter GMP-Bedingungen Epidermis sowie Zellen der Dermis entfernt werden. Durch die natürlichen Komponenten werden Vaskularisierung und Repopulation gefördert. Zum Einsatz kommt sie bei der Rekonstruktion weicher Gewebe wie zum Beispiel nach Mastektomien oder auch bei dentalen Behandlungen und Implantaten. In der Zahnmedizin kommt die Produktfamilie Cerasorb® zum Wiederaufbau von Knochen zum Einsatz. Dabei handelt es sich um eine vollständig resorbierbare Matrix aus Beta-Tricalciumphosphat; diese unterstützt den Knochenaufbau.

Auch Produkte, die nicht direkt am Patienten zum Einsatz kommen, jedoch in der Forschung und Entwicklung eine große Rolle spielen, erlangen immer größere Bedeutung. Für die vorgeschriebenen Tierversuche in der Chemikalientestung gibt es bereits validierte Methoden, die vollständig an in vitro-Modellen durchgeführt werden. Das deutsche Fraunhofer Institut stellt in seiner Tissue Factory in einem kontinuierlichen Produktionsprozess menschlichen Hautersatz her. Primäre Fibroblasten und Keratinozyten werden aus Biopsiematerial isoliert und in einem Membranbioreaktor expandiert, bevor sie in der 3-D-Kultur mit Collagen ihren finalen Schliff bekommen. Bis zu 5.000 menschliche Hautäquivalente können so jedes Monat vollautomatisch produziert werden. Modelle menschlicher Haut sind abgesehen von ethischen Gründen Tiermodellen auch aufgrund der besonderen Beschaffenheit menschlicher Haut überlegen.

Ausblick

Die Weiterentwicklung der 3-D-Drucker könnte künftig eine essentielle Rolle in der regenerativen Medizin spielen. Mittels verschiedener Verfahren, bei denen Biomaterialien schichtweise aufgetragen oder zum Beispiel mittels Laser aus einem Block ausgefräst werden, können beliebige Formen angefertigt werden. Es gibt auch bereits Technologien, bei welchen fertige Zellsuspensionen zum Druck verwendet werden können. Auch Forschung im Bereich der Co-Kultivierung verschiedener Zelltypen, um die natürliche Umgebung optimal nachzuahmen, birgt das Potential für einen Durchbruch besonders im Bereich der Vaskularisierung.

Der Markt für Produkte aus Tissue Engineering und Regenerativer Medizin ist einer der am schnellsten wachsenden Sektoren im Bereich medizinischer Produkte. Bei einem momentanen Marktvolumen von etwa zwei Milliarden Dollar und einer jährlichen Wachstumsrate von neun Prozent ist davon auszugehen, dass 2017 die Drei-Milliarden-Dollar-Marke erreicht wird.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 10 / 25.05.2014