Originalarbeit: Medizinische Simulation bringt Sicherheit

25.01.2014 | Medizin

Simulationstrainings erhöhen auch die Sicherheit des Patienten. Dem Ungeübten vermittelt Simulationstraining die Grundlagen notfallmedizinischer Techniken; notfallmedizinisch Versierte können Behandlungsabläufe verbessern und standardisieren.
Von Raphael van Tulder und Michael Zimpfer*

Derzeit gibt es in Österreich fünf von der Österreichischen Gesellschaft für Anästhesiologie, Reanimation und Intensivmedizin (ÖGARI) zertifizierte Zentren für medizinische Simulation: Institut für medizinische Simulation (Leitung: Prim. Dr. Helmut Trimmel), Simulationszentrum des SMZ Ost Wien (Univ. Prof. Dr. Walter Klimscha), MEDSIMWien (Dr. Hüpfl), MEDSIMLINZ (Dr. Lukas Drabauer) und das Simulationszentrum Feldkirch (Dr. Christian Walleczek). Auch die Berufsrettung der Stadt betreibt ein Simulationsfahrzeug (Leitung: Dr. Gerhard Klune), in dem präklinische Szenarien bei fahrendem Rettungsfahrzeug trainiert werden können.

Einen besonderen Stellenwert in der medizinischen Simulation haben sicherlich kinderspezifische Szenarien. Hier bietet die Firma Sim Characters (Leitung: Dr. Jens Schwindt) verschiedene speziell auf Neugeborene und Kinder zugeschnittene Simulationsformate.

In Deutschland sterben pro Jahr circa 50.000 Patienten an Fehlern in der Medizin. In den USA geht eine rezente Studie davon aus, dass zwischen 210.000 und 400.000 Menschen jährlich an einem medizinischen Fehler versterben. Die Todesursache „Fehler in der Medizin“ zählt damit zu den zehn häufigsten Todesursachen. 70 Prozent der Fehler in der Medizin sind auf sogenannte „human factors“ zurückzuführen. Unzulänglichkeiten aufgrund von „human factors“ können durch intensives Training vermieden werden.

Im Jahr 1978 führte der Absturz einer Linienmaschine zum Umdenken in der Luftfahrt. Ursache dieses Flugunfalles mit zehn Toten war ein Versagen im Bereich der „human factors“: ein Kommunikationsproblem zwischen Pilot und Co-Pilot. Daraufhin wurde ein psychologisches Schulungsprogramm – Crisis Resource Management (CRM) – entwickelt. CRM-Programme beschreiben Inhalte zur Reduzierung von Schadenspotentialen der durch „human factors“ ausgelösten Zwischenfälle. Das Prinzip des CRM beruht darauf, alle vorhandenen Ressourcen durch Koordination zur Erhöhung der Sicherheit auszunutzen. Dazu werden Techniken und Verfahren geschult, um „human errors“ zu erkennen und ihnen zu entgehen.

1992 wurde das Konzept des CRM erstmals in der Medizin eingeführt und fortan als Anaesthesia Crisis Resource Management (ACRM) angewandt. Seither hält das CRM-Training auch in vielen anderen, vor allem akutmedizinischen Bereichen Einzug. In den letzten Jahren werden in der medizinischen Ausbildung zunehmend neue Kursmodule unter Verwendung von kybernetischen Patientensimulatoren angeboten. Seit die erste Puppe für medizinische Simulation – Resusci Anne – in den 1960er Jahren auf den Markt gebracht wurde, gab es zahllose technische Weiterentwicklungen. Konnten zu Beginn lediglich EKG-Bilder generiert werden, können die modernen „full scale-high end“-Produkte Vitalwerte produzieren, Atmung mit CO2-Ausstoß generieren, verschiedene Atemmuster und dazugehörige Pathologien simulieren, Pupillenphänomene darstellen u.v.a. mehr. Auch invasive Maßnahmen wie Thorakotomie, Tracheotomie etc. können realitätsnah durchgeführt werden. Die Teilnehmer können, da in der Puppe Lautsprecher und Mikrophon integriert sind, mit dem Patientensimulator „kommunizieren“; ebenso werden Medikamente registriert.

Medizinische Simulationstrainings sind dadurch gekennzeichnet, dass geschulte und in ihrem Fach kompetente Trainer (Anästhesisten, Internisten, Unfallchirurgen, Notfallmediziner etc.) – vielfach mit Unterstützung von Psychologen – die Teilnehmer in realistische Szenarien bringen. Diese „psychological fidelity“ führt dazu, dass die Teilnehmer deutlich schneller und besser lernen.

Neben dem Briefing gibt es auch ein ausführliches Debriefing. Dabei werden in einem fachlich korrekten und konstruktiven Klima Wissenslücken, klinische Fertigkeiten, Entscheidungsprozesse, Teamwork und „human factors“ angesprochen und analysiert.

Notfallmedizinisch relevante Szenarien können nach Belieben präklinisch als auch innerklinisch – je nach dem Arbeitsumfeld der Teilnehmer – dargestellt werden wie zum Beispiel Versorgung eines polytraumatisierten Patienten, komplikationsbehaftete Geburt oder aber auch das Setting eines Herzkatheterlabors oder einer Herz-OP sowie das Schnittstellenmanagement am Beispiel einer Übergabe in der Notaufnahme. Turnusärzte können ebenso wie Allgemeinmediziner oder Anästhesisten in fachlich angepassten Trainings unterrichtet werden.

Medizinische Simulation stellt speziell für Jungärzte eine Möglichkeit dar, sie auf ein höheres Kompetenzlevel zu heben, bevor sie am Patienten tätig werden. Medizinische Simulation ermöglicht es auch, den Fortschritt eines Lernprozesses anhand eines standardisierten Szenarios zu demonstrieren und zu überprüfen. Dabei stellt die medizinische Simulation einen sicheren Weg dar, um den Wissenstransfer von simplen zu komplexen „technical skills“ aber auch von „non-technical skills“ wie Kommunikation, Teamwork und den noch komplexeren Entscheidungsfindungsprozess zu unterstützen. Simulation bietet damit auch die Möglichkeit, interaktiv zu lehren.

„Non technical skills“ forcieren

In komplexen und Risiko-behafteten Situationen ist menschliches Verhalten ähnlich. Da menschliches Handeln auf mentalen Modellen von bereits Erlebtem basiert, ergeben sich zwangsläufig fehlerhafte Folgerungen – sogenannte Fixierungsfehler – wenn die mentalen Modelle nicht mit der vorliegenden Situation übereinstimmen. Zu den „non technical skills“ zählen Entscheidungsfindung in komplexen Situationen auch bei Unsicherheiten, Priorisierung von Problemen, Transfer von kritischen Informationen und effektive Kommunikation, situative Aufmerksamkeit und die kognitive Kompetenz seine Aufmerksamkeit gezielt zu lenken, Umgang mit Fixierungsfehlern, Teambuilding und Training sowie Teamwork.

Erscheinen die Grundsätze von CRM vordergründig auch noch so intuitiv, müssen sie dennoch intensiv geübt werden, um im Notfall effektiv umgesetzt werden zu können. CRM in Kombination mit Patientensimulation soll dem „circulus vitiosus“ eines medizinischen Notfalles vorbeugen. Das Lernen am Patientensimulator soll dazu beitragen, dass im Notfall tatsächlich freie kognitive Ressourcen zur Verfügung stehen. Der Teamgedanke ist ein wesentlicher Bestandteil des angewandten CRM. Veraltete klinisch-hierarchische Strukturen sind im Notfall wenig hilfreich.

Literatur bei den Verfassern

*) Dr. Raphael van Tulder, Adiuvare OG; o. Univ. Prof. Dr. Michael Zimpfer, MBA; Ordinarius an der Universitätsklinik für Anästhesie, Allgemeine Intensivmedizin und Schmerztherapie am AKH Wien, Währinger Gürtel 18-20, 1090 Wien

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 1-2 / 25.01.2014