Interview – Prof. Herwig Kollaritsch: Ebola: „Keine archaische Angst schüren!“

10.11.2014 | Medizin

„Keine archaische Angst schüren!“

Wieso man Ebola noch immer nicht im Griff hat und wieso die Kontrollen an Flughäfen sinnlos sind, erklärt Univ. Prof. Herwig Kollaritsch, Leiter der Abteilung Epidemiologie und Reisemedizin am Institut für Spezifische Prophylaxe und Tropenmedizin an der MedUni Wien, im Gespräch mit
Marion Huber.


ÖÄZ: Sie waren Anfang September im ÖÄZ-Interview davon überzeugt, dass sich Ebola ‚ganz sicher nicht‘ flächendeckend ausbreiten werde. Wie sehen Sie das aus heutiger Sicht?

Kollaritsch: Dem ist auch heute nichts hinzuzufügen. Ich bin nach wie vor der festen Überzeugung – und die teile ich mit allen, die mit der Materie näher vertraut sind -, dass eine flächendeckende Ausbreitung von Ebola außerhalb der aktuellen Endemiegebiete nicht zu erwarten ist. Wir haben gesehen, dass kleinräumige Ausbrüche sogar unter relativ widrigen Umständen sehr gut in den Griff gebracht werden können – wenn man sich an die Spielregeln hält. Ein wunderbares Lehrbeispiel dafür ist Nigeria.

In Nigeria und auch im Senegal hat die WHO kürzlich die Ebola-Epidemie offiziell für beendet erklärt.
In Nigeria ist die Problematik eigentlich schon dadurch gegeben, dass es der bevölkerungsreichste Staat in Afrika überhaupt ist. Auch weil es, was seine Gesamtstrukturen betrifft, noch stark hinter dem herhinkt, was westlicher Standard wäre und das Land auch etwa durch die Terrorgruppe Boko Haram politisch instabil ist. Trotzdem hat man in Nigeria die Situation, dass nach einem importierten Fall auch Sekundärfälle aufgetreten sind, souverän gemanagt. Man hat gezeigt, dass es geht. Und wir wissen alle, dass es geht, wenn man gezielt interveniert und eine entsprechende Infrastruktur aufbaut. Die WHO hat das auch mit entsprechender Anerkennung als ‚Weltklasse-Lehrstück‘ gewürdigt, wie man einen kleinräumigen Ausbruch in den Griff bekommt.

Warum gelingt das in den anderen betroffenen Staaten bislang nicht?
Weil genau diese Dinge fehlen: Sie haben keine Infrastruktur und außerdem ein Gesundheitssystem, das fast inexistent ist und dem die Bevölkerung nicht vertraut. Die Menschen haben kein Zutrauen zur westlichen Medizin. Sie leben lieber die traditionellen Vorstellungen, die sie haben. Diese traditionellen Riten, Bestattungen und Manipulationen sind ideal, um etwa Ebola zu übertragen. Außerdem haben wir jetzt drei betroffene Länder mit unterschiedlichen Befehlshierarchien, unterschiedlicher Struktur und Infrastruktur. Das kann nicht gutgehen. Das einzig Mögliche und Richtige, wie der Westen helfen kann, ist das, was die USA jetzt machen: Sie schicken ‚Infrastruktur‘ in die Gebiete, Leute, die etwas davon verstehen und Equipment, um ein einigermaßen funktionierendes System zu schaffen, um Patienten aufzufinden und zu isolieren.

An verschiedenen Flughäfen in Europa und den USA wurden Kontrollen für Reisende aus Ebola-Gebieten eingeführt; in Frankreich wurde ein Schnelltest entwickelt. Wie effektiv sind solche Maßnahmen, um eine Ausbreitung zu verhindern?
Der Schnelltest ist sicher hilfreich, aber weniger bei uns als vor Ort. Die Kontrollen auf den Flughäfen sind meiner Ansicht nach völlig sinnlos. Ein Ebola-Kranker ist schwer krank und hat nur ein schmales Zeitfenster, um sich noch selbstständig fortzubewegen. Dass die Krankheit genau im Zeitfenster vom Einchecken am Flughafen bis zur Ankunft am Ziel ausbricht, ist ein Szenario, das zwar theoretisch denkbar ist, aber so gut wie gar nicht vorkommt, wie die Praxis bisher gezeigt hat.

Zuletzt wurden zwei Impfstoffe von der WHO als ‚vielversprechend‘ eingestuft. Wie weit ist man da? Wann ist ein breiter Einsatz denkbar?
Auch wenn man jetzt so weit ist, dass zwei Impfstoff-Kandidaten so vielversprechend sind, dass man davon ausgehen kann, dass sie einen Geimpften tatsächlich schützen, so müssen sie trotzdem die Basics einer pharmazeutisch korrekten Herstellung nachvollziehen und die Kriterien der Arzneimittel-Sicherheit erfüllen, wenn man schon keine weiteren Studien am Menschen durchführt. Es gibt Leute, die sagen, es wird 2015 einen Impfstoff geben. Erstens: Das Jahr 2015 ist lang und wenn, würde ich sagen, erst gegen Ende 2015. Aber auch das ist meiner Meinung nach zu optimistisch. Ein Experte aus der Impfstoff-Herstellung hat kürzlich gesagt 15 bis 24 Monate. Das klingt für mich schon ein bisschen realistischer.
Zweitens muss ich sagen: Wenn wir noch 24 Monate brauchen, um die Epidemie in den betroffenen Ländern einzudämmen, ist das ohnehin ein Armutszeugnis. Erfreulich ist natürlich, dass jetzt ein massiver Druck herrscht, einen solchen Impfstoff zur klinischen Reife zu entwickeln, sodass man künftig entsprechende Instrumente in der Hand hat. Wobei ich trotzdem vor der Illusion warne, dass es dann leicht sein wird, einen Impfstoff in einem Gebiet wie Westafrika flächendeckend einzusetzen. Die Bevölkerung vertraut der westlichen Schulmedizin einfach nicht.

Welche Rolle spielt die Medien-Berichterstattung in der Ebola-Epidemie?

Die Medien schüren diese archaische Angst vor Ebola. Sogar US-Präsident Obama, der sich hüten müsste, sich mit den Medien anzulegen, hat kürzlich die US-amerikanischen Medien zur Vernunft aufgerufen. Diese Botschaft kann ich auch den österreichischen Medien nur ans Herz legen. Es ist völlig unverantwortlich, aus der Epidemie in Afrika eine Allgemeingefährdung abzuleiten. Natürlich werden wir einzelne Fälle in Europa und den USA haben. Aber wenn so etwas passiert, dann nur deshalb, weil wir in unseren Breiten nicht auf den Umgang mit solchen Patienten trainiert sind. Trockenübungen und Simulationen sind schön und gut, aber der Ernstfall ist etwas ganz anderes. Wenn man im Schutzanzug einen Fehler bei der Manipulation oder Dekontamination macht, dann kann eine Infektion leider vorkommen. Das kann nicht ausgeschlossen werden. Aber Sie sehen, wie lange diese Epidemie schon dauert und wie sich die Bewegungsströme abspielen und dass das für uns überhaupt keine Konsequenz hat.

Wie soll man in Österreich damit umgehen – realistisch betrachtet?
Prognosen zu erstellen, wie lange die Epidemie noch dauern wird und wie viele Fälle es noch geben wird, ist absolut unmöglich. Das ist ein Wettlauf mit der Zeit. Das wird vom Aufbau von entsprechenden Einrichtungen abhängen, um die Patienten zu isolieren und zu betreuen und vom Vertrauen, das die Bevölkerung aufbauen muss. All das braucht Zeit, das geht nicht von heute auf morgen. Man muss sehr wohl ein wachsames Auge auf die Entwicklungen der Epidemie in Afrika haben, darf aber eines nicht vergessen: Die Epidemie ist relativ weit weg und in einem völlig anderen Umfeld entstanden als das bei uns der Fall ist oder jemals möglich wäre. Man kann die Situation nicht 1:1 auf Europa oder die USA umlegen: Zu sagen, ‚das kann bei uns auch so passieren‘, ist einfach unzulässig und schlicht falsch.

Ebola-Epidemie: die Fakten

24. März: Französische Experten identifizieren den Ebola-Erreger als Auslöser für eine Erkrankungswelle mit 61 Toten in Guinea.

25. bis 31. März: Erste Verdachtsfälle werden auch aus Liberia und Sierra Leone gemeldet; in Guinea wird der Gesundheitsnotstand ausgerufen. Die WHO (Weltgesundheitsorganisation) bestätigt die ersten zwei Fälle in Liberia am 31. März.

8. April: WHO-Gesundheitsexperte Keiji Fukuda bezeichnet die Epidemie als „einen der herausforderndsten Ebola-Ausbrüche, mit dem wir es je zu tun hatten“.

26. Mai: Sierra Leone meldet den ersten Ebola-Toten.

26. Juni: Die WHO warnt vor einem Übergreifen der Epidemie auf weitere Staaten und „der Möglichkeit einer weiteren internationalen Ausbreitung“.
Die Zahl der Toten seit Jahresbeginn liegt bei 399.

25. Juli: In Nigeria wird der erste Ebola-Todesfall – ein aus Liberia eingereister Mann – bestätigt.

3. August: Erstmals werden Ebola-Patienten in die USA ausgeflogen und behandelt.

7. August: Der erste Ebola-Patient – der spanische Missionar Miguel Pajares – wird nach Europa geflogen; er wird in Madrid behandelt.

8. August: Die WHO erklärt die Ebola-Epidemie zum Notfall für die öffentliche Gesundheit. Nigeria ruft den nationalen Notstand aus.

12. August: Experten der WHO erklären den Einsatz von experimentellen Medikamenten für vertretbar.

27. August: Ein erster Ebola-Patient wird in Deutschland auf der Isolierstation des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf behandelt.

29. August: Im Senegal wird die erste Ebola-Infektion bei einem aus Guinea stammenden Mann bestätigt.

16. bis 26. September: Die USA wollen 3.000 Soldaten nach Westafrika entsenden. Die Weltbank beschließt eine Hilfszahlung von 105 Millionen Dollar; der Internationale Währungsfonds (IWF) stellt 130 Millionen Dollar zur Verfügung. Erste Teams der UN-Sondermission (UNMEER) zur Bekämpfung der Ebola-Epidemie treffen in Westafrika ein.

30. September: Bei einem aus Liberia eingereisten Mann im USBundesstaat Texas wird das Ebola-Virus diagnostiziert.

6. Oktober: Aus Madrid wird die erste Ebola-Ansteckung außerhalb Westafrikas gemeldet – eine Krankenschwester, die einen Ebola-Patienten behandelt hat.

7. Oktober: Die EU richtet eine Luftbrücke in die westafrikanischen Ebola-Gebiete ein.

9. bis 12. Oktober: Großbritannien führt an den Londoner
Flughäfen Heathrow und Gatwick sowie am Eurostar-Zugterminal Kontrollen für Reisende aus Ebola-Gebieten ein; landesweit wird dort ein Ebola-Ausbruch simuliert. In den USA wird auf mehreren Flughäfen – u.a. die New Yorker Flughäfen John F. Kennedy und Newark sowie Chicago O’Hare – ein Screening der Passagiere eingeführt.

12. Oktober: Bei einer Krankenschwester wird die erste Ebola-Infektion innerhalb der USA (Texas) bestätigt.

17. Oktober: Die WHO erklärt den Ebola-Ausbruch im Senegal offiziell für beendet.

20. Oktober: Nach dem Senegal wird auch Nigeria von der WHO offiziell als Ebola-frei erklärt.

23. Oktober: In Mali tritt bei einem Mädchen aus Guinea erstmals Ebola auf.
Die EU ernennt bei ihrem Gipfel in Brüssel einen Koordinator im Kampf gegen Ebola, den künftigen zypriotischen EU-Kommissar für humanitäre Hilfe und Krisenmanagement, Christos Stylianides.

24. Oktober: Die EU verdoppelt ihre Hilfen für den Kampf gegen die Epidemie auf mindestens eine Milliarde Euro.

31. Oktober: Seit Ausbruch der Epidemie haben sich laut WHO mehr als 13.500 Menschen mit Ebola infiziert; mehr als 4.900 sind gestorben.

Reisebeschränkungen:
Kanada, Australien und Saudi-Arabien haben die Einreise aus Guinea, Liberia und Sierra Leone verboten.
In den USA sind Reisebeschränkungen zum Streitthema im Kongress-Wahlkampf geworden: die Republikaner fordern einen Visa-Bann, Präsident Obama lehnt ihn ab. Einreisende sollten untersucht, aber nicht isoliert werden.
Nordkorea hingegen stellt alle Einreisende – egal ob aus betroffenen Ländern, den USA oder Europa – für 21 Tage unter Quarantäne.
In weiteren Ländern wie etwa Frankreich, Großbritannien, Griechenland, Spanien und Portugal wurden auf den Flughäfen verschärfte Kontrollen und Screenings eingeführt.
Keine speziellen Untersuchungen und Beschränkungen für Flugpassagiere gibt es in Norwegen, Dänemark, Schweden, Finnland sowie Deutschland und Österreich.

Stand: 4. November 2014

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 21 / 10.11.2014