Interview – Christine Klien: Arbeitsmedizin: geänderter Fokus

10.09.2014 | Arbeitsmedizin, Medizin

Die Betreuung von Außendienstmitarbeitern, Büroarbeit sowie der chronisch Kranke in der Arbeitswelt sind die Themenschwerpunkte der diesjährigen Jahrestagung der Österreichischen Gesellschaft für Arbeitsmedizin in St. Pölten Ende September, sagt deren Präsidentin Christine Klien.

ÖÄZ: Welchen Stellenwert hat die Arbeitsmedizin heutzutage?
Klien: Ebenso wie die Arbeitswelt insgesamt ist auch die Arbeitsmedizin einem ständigen Wandel unterworfen. Schwere körperliche Belastungen am Arbeitsplatz gehen zurück, während hingegen psychomentale zunehmen. Dies bedeutet völlig neue Anforderungen an Qualifikation und Rollenverständnis des Betriebsarztes. Arbeitsmedizin erfordert Kommunikationstalent, Offenheit, Ausdauer und Geduld und viel diplomatisches Geschick. Erfreulich ist, dass Unternehmen das Potential der Arbeitsmedizin zunehmend nützen. ‚Nur‘ Arzt im Betrieb zu sein, ist zu wenig, Arbeitsmediziner betrachten den Menschen mit seiner Gesundheit und seinen Krankheiten und seinen physischen und psychischen Arbeitsbelastungen.

Zum Beispiel?
Während sich Anfang des 20. Jahrhunderts Fabriksärzte mit Tuberkulose und Mangelernährung befassten, liegt der Fokus heutzutage auf der Analyse von Arbeitsbelastungen. Unser Ziel ist es, dazu beizutragen, dass Arbeit nicht krank macht und Arbeitsbedingungen derart anzupassen, dass Menschen gesund im Arbeitsprozess bleiben und im Fall einer Erkrankung wieder eingegliedert werden können.

Welche Schwerpunkte gibt es bei der diesjährigen Tagung?
Schwerpunkt-Themen der Jahrestagung 2014 sind Büroarbeit, die Organisation der arbeitsmedizinischen Betreuung an ortsveränderlichen Arbeitsstätten sowie chronisch Kranke in der Arbeitswelt.

Worum konkret geht es beim Themenkomplex ‚Büroarbeit‘?
Dabei ist zum Beispiel gemeint, wie man Büroarbeit gestalten kann, ohne dass dadurch gesundheitliche Beschwerden verursacht werden. Es geht um ergonomische Bildschirmarbeitsgestaltung, aber auch um psychische Belastungen wie ständige Arbeitsunterbrechungen etc.

Die Wiedereingliederung von ehemals kranken Mitarbeitern in den Arbeitsprozess ist ja auch im Hinblick auf die demographische Entwicklung ein sehr brisantes Thema. Welche Aspekte werden hier zur Sprache kommen?
Hier geht es in unserer Beratung in erster Linie darum, Möglichkeiten zu suchen, den Betroffenen wieder in den Betrieb zu integrieren. Dazu ist sehr viel Kreativität notwendig, damit das auch gelingt. Aber hier ist in den letzten Jahren bei den Unternehmen ein Umdenkprozess eingetreten, so dass es mit der Unterstützung eines Arbeitsmediziners immer öfter gelingt, eine für beide Seiten, also sowohl für den Arbeitnehmer als auch für den Arbeitgeber, zufriedenstellende Wiedereingliederung zu schaffen.

Welche Themen versprechen, besonders interessant zu werden?
Das weitere Kongress-Programm bietet einen weiten Überblick über die relevanten Themen der Arbeitsmedizin und Veranstaltungen zu den Schwerpunktthemen. Im Tagungsprogramm sind außerdem die Arbeitspsychologie und arbeitsbedingte Belastungen, betriebliche Gesundheitsförderung und Prävention, Ergonomie, Weißfingerkrankheit und auch die Evaluierung von arbeitsbedingten psychischen Belastungen berücksichtigt. Das AUVA-Forum findet bereits zum dritten Mal statt und widmet sich diesmal den Bereichen Hand und Haut.

Worauf kommt es bei der Tätigkeit als Arbeitsmediziner besonders an?
Arbeitsmediziner werden nicht erst dann aktiv, wenn es zu spät ist und die Krankheit bereits eingetreten ist. Sie widmen sich den gesundheitlichen Fragen rund um die Arbeitswelt bereits im Rahmen der Vorbeugung. Im Vordergrund steht der Dialog mit Betrieben und deren Arbeitnehmern. Arbeitsmediziner analysieren berufsbedingte Gesundheitsprobleme und versuchen, Lösungen im Sinne arbeitender Menschen und der Unternehmen zu finden. Wichtig für Arbeitsmediziner ist, dass niedergelassene Ärzte noch mehr als bisher bei arbeitsbezogenen Beschwerden ihrer Patienten mit einem Arbeitsmediziner Kontakt aufnehmen.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 17 / 10.09.2014