Angst­stö­run­gen: Angst im Alter ist anders

25.10.2014 | Medizin

© Mauritius

Angst­stö­run­gen: Angst im Alter ist anders


Neben Demenz und Depres­sion sind Angst­stö­run­gen die häu­figs­ten psych­ia­tri­schen Erkran­kun­gen im Alter. Ältere Men­schen wer­den haupt­säch­lich von Ängs­ten im Hin­blick auf den mög­li­chen kör­per­li­chen und geis­ti­gen Ver­fall geplagt. Bei eini­gen ent­wi­ckelt sich dar­aus eine behand­lungs­be­dürf­tige Erkran­kung.
Von Alex­an­dra Schlömmer

Angst ist nicht nur ein eigen­stän­di­ges Stö­rungs­bild, son­dern wich­tige Kom­po­nente vie­ler psy­chi­scher und soma­ti­scher Pro­bleme“, erklärt Her­bert Bach­ler, Arzt für All­ge­mein­me­di­zin, Psy­cho­the­ra­pie und Psy­cho­ana­lyse in Inns­bruck. Viele älter wer­dende Men­schen freuen sich auf einen neuen Lebens­ab­schnitt, aber Alt­wer­den macht auch Angst. „Wir spre­chen dabei von Senio­ren 65+“, so Bach­ler. Woher diese Ver­lust­ängste kom­men? „Wir ken­nen eine Viel­zahl an mög­li­chen Aus­lö­sern, die gemein­sam mit bestimm­ten Fak­to­ren der psy­chi­schen Struk­tur des Men­schen eine Angst­stö­rung bewir­ken können.“ 

Mög­li­che Stres­so­ren im Alter sind etwa Ver­witwung, Ver­lust sozia­ler Kon­takte, Abnahme der Mobi­li­tät, Umzug in Betreu­tes Woh­nen, Sta­tus­ver­lust durch Pen­sio­nie­rung, finan­zi­elle Pro­bleme, kör­per­li­che Erkran­kun­gen, gerin­gere sen­so­ri­sche Kapa­zi­tät, kogni­tive Stö­run­gen aber auch Wech­sel- oder Neben­wir­kun­gen durch den „Medi­ka­men­ten-Cock­tail“.

Zahl­rei­che kon­krete Ängste kön­nen mit zuneh­men­dem Lebens­al­ter ent­ste­hen. Zu den alters­spe­zi­fi­schen Ängs­ten zählen:

  • Angst vor Abhän­gig­keit von ande­ren bei Ver­lust der Selbst­stän­dig­keit durch Krank­heit oder Unfall;
  • Ver­lust­angst: Furcht vor dem Ver­lie­ren nahe ste­hen­der Men­schen (oder vor Einsamkeit);
  • Das Gefühl von Wert­lo­sig­keit bei Ver­lust kör­per­li­cher Fähigkeiten;
  • Angst vor Leidensphasen;
  • Angst vor dem Tod;
  • Existenzangst;
  • Angst vor Stürzen;
  • Angst, wehr­los zu sein (Ein­bre­cher);
  • Angst, die Kon­trolle über sich zu ver­lie­ren (Hirn­funk­ti­ons­ver­luste).

Diese Ängste sind unter Umstän­den nur schwer zu bekämp­fen, weil sie häu­fig nicht unbe­grün­det sind. Außer­dem ist die Dia­gnose von Angst­stö­run­gen im Alter schwie­ri­ger zu stel­len. Mit einer Kom­bi­na­tion aus Medi­ka­men­ten und Psy­cho­the­ra­pie kön­nen auch Angst­stö­run­gen im Alter the­ra­piert wer­den. Alters­ge­rechte Bewe­gungs­pro­gramme und Ent­span­nungs­tech­ni­ken ergän­zen die medi­ka­men­tö­sen und psy­cho­the­ra­peu­ti­schen Maß­nah­men. Dazu zählen:

  • Das ver­ste­hende und stüt­zende Gespräch (wenn mög­lich Ange­hö­rige einbeziehen);
  • Psy­cho­the­ra­pie;
  • Milieu­the­ra­pie, das heißt Schaf­fen eines „the­ra­peu­ti­schen Milieus“ durch alters­ge­rech­tes Anpas­sen der Umge­bung und durch eine spe­zi­elle Hal­tung der Bezugspersonen;
  • bei begin­nen­den demen­ti­el­len Erkran­kun­gen ergän­zen­des kogni­ti­ves Training;
  • kör­per­li­che Bewe­gung und Behand­lung von kör­per­li­chen Begleiterkrankungen;
  • ergän­zende Behand­lung (Ergo­the­ra­pie, Musik­the­ra­pie, Lichttherapie, …).

Wenn unbe­dingt notwendig:

  • Behand­lung mit Psy­cho­phar­maka (Anti­de­pres­siva, Neu­ro­lep­tika, Tran­qui­li­zer, „mood stabilizer“);
  • Phar­ma­ko­the­ra­pie von kogni­ti­ven Stö­run­gen mit Antidementiva

„Viele ältere Pati­en­ten pro­fi­tie­ren durch eine Anlei­tung zur Selbst­hilfe. Dabei ist es wich­tig, Angst als nor­ma­les und sinn­vol­les Gefühl zu beschrei­ben, das Den­ken, Füh­len, Ver­hal­ten und kör­per­li­che Reak­tio­nen beein­flusst“, beschreibt Katha­rina Pils, Lei­te­rin des Insti­tuts für Phy­si­ka­li­sche Medi­zin und Reha­bi­li­ta­tion des SMZ Sophien­spi­tal in Wien. Ihr Haupt­au­gen­merk im wis­sen­schaft­li­chen Bereich liegt auf der Ent­wick­lung von Stan­dards beim Sturz und den Sturz­fol­gen, Bench­marks im Bereich der Ger­ia­trie, aber auch in der Gesund­heits­för­de­rung für ältere Men­schen: „Altern ist keine Krank­heit. Lebens­qua­li­tät und Lebens­zu­frie­den­heit müs­sen auch im Alter erhal­ten blei­ben.“ Zu den Mög­lich­kei­ten der Selbst­hilfe emp­fiehlt die Exper­tin regel­mä­ßige kör­per­li­che Akti­vi­tät kom­bi­niert mit geis­ti­ger Akti­vi­tät und sozia­len Kontakten.

Eine wich­tige Rolle spielt auch der All­ge­mein­me­di­zi­ner: Er hat den Vor­teil, im Regel­fall seine Pati­en­ten schon seit vie­len Jah­ren zu ken­nen und zu beglei­ten. So kön­nen psy­cho­so­ziale Fehl­ent­wick­lun­gen recht­zei­tig detek­tiert wer­den und Ver­än­de­run­gen im Lebens­um­feld der Betrof­fe­nen meist recht­zei­tig abge­spro­chen, Lebens­pla­nun­gen geklärt sowie Iso­la­tion und Ver­ein­sa­mung abge­mil­dert wer­den. Der Alte­rungs­pro­zess und selbst das Ster­ben und der Tod kön­nen als unab­ding­ba­rer Teil des Lebens aktiv zum Thema wer­den und für die wei­tere Lebens­ent­wick­lung auch see­lisch adap­tiert wer­den. „Hier sehe ich auch eine zen­trale Auf­gabe in der Beglei­tung durch den Haus­arzt. Bis ins hohe Alter darf man sich die Frage stel­len, was ich mir von mei­ner noch zur Ver­fü­gung ste­hen­den Lebens­zeit erwarte“, sagt Bachler.

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 20 /​25.10.2014