Standpunkt – Präs. Artur Wechselberger: Kernkompetenzen

15.12.2013 | Standpunkt

© Dietmar Mathis

Drohender Ärztemangel bei statistischem Ärzte-Überschuss, Kompetenzausweitung der Pflege, Apotheker als „Gesundheits- nahversorger“: Themen aus Medienberichten der letzten Wochen. Anlass genug, um Inhalte sowie Zentral- und Grenzbereiche ärztlichen Handelns aber auch anderer Gesundheitsberufe zu überdenken, Kompetenzen zu hinterfragen. Worin bestehen die tiefliegenden Fähigkeiten, Fertigkeiten und Handlungen der Ärzteschaft, die nachhaltigen Wert für unsere Patientinnen und Patienten aber auch für die Gesellschaft schaffen? Worin die nur schwer nachahmbaren Ressourcen, die ärztlichen Angeboten und Leistungen Konkurrenzlosigkeit und Zukunftssicherheit versprechen? Von welchem Leistungsangebot sollen oder müssen wir uns zurückziehen, um Zeit zu finden, die Kernkompetenzen zu stärken und weiter zu entwickeln, um unsere Dienstleistungen als qualitativ hochwertiges Ergebnis tief wurzelnden Potentials den Angeboten nicht-ärztlicher Mitbewerber erfolgreich gegenüber
zu stellen?

Ein undifferenzierter Verweis auf OECD-Daten, die Österreich einen Spitzenplatz – was die Anzahl der Ärzte betrifft – bescheinigen und einen Ärztemangel als Mär erscheinen lassen, muss hellhörig machen. Was ist die Ursache eines relativen Ärztemangels bei absoluten Höchstzahlen? Der falsche Einsatz und damit die Vergeudung von erworbenem Wissen und Können sind ein Teil einer Antwort; der in der Statistik erkennbare Mangel bei den Pflegeberufen ein Hinweis auf eine mögliche Kausalität. Ebenso die Berichte, wonach 30 bis 40 Prozent der Arbeitszeit von Ärztinnen und Ärzten mit Dokumentation und Verwaltung gefüllt und so der Arbeit im Bereich der Kernkompetenzen entzogen werden. Kompetenzen, die ein fundiertes und schwieriges Studium begründet und denen eine langjährige postpromotionelle Ausbildung Festigkeit verliehen haben, liegen auch dann brach, wenn lückenhafte Leistungskataloge und hemmende Honorarsysteme die extramurale Patientenversorgung behindern.

Allein diese kurze Auflistung von Fehlentwicklungen und Versäumnissen zeigt Wege auf, welche Potentiale in Zeiten eines Ärztemangels gehoben werden könnten. Solange ein Staat Ärzte die Arbeiten der Pflege und der Bürokratie erledigen lässt, hat er seine Aufgabe, vorhandene Ressourcen sinnvoll zu nützen, nicht erfüllt. Solange wir uns an Arbeiten klammern, die nur marginal zu unseren Kompetenzen gehören, vergeuden wir Potential unserer Kernkompetenz, ohne wesentlichen Mehrwert für unsere Patienten.

Es ist das Wesen eines freien Berufs, individuelle Dienstleistungen auf höchstem fachlichen Niveau, unbeeinflusst durch äußere Interessen, unter Wahrung der Persönlichkeitsrechte zu erbringen. Das Berufsrecht stärkt die Intimität des Behandlungsvertrages durch das Arztgeheimnis. Es gibt den Ärzten aber auch den Raum, ärztliche Tätigkeiten zu delegieren, um damit persönliche Kernkompetenzen zur Kernkompetenz einer Organisation werden zu lassen. Ein Prozess, der notwendig ist, damit ärztliche Problemlösungskompetenz und die Fähigkeit zum vernetzten Denken in einem arbeitsteiligen Versorgungssystem Breitenwirkung zeigen können und ärztliche Sozialkompetenz die Organisation führen und den Patienten dienen kann.

Kernkompetenzen sind die Fähigkeiten, die uns und unsere Unternehmen in die Lage versetzen, wesentlichen Kundennutzen zu schaffen. Dieser zeigt sich in den direkten Effekten für unsere Patienten wie auch in einem indirekten Benefit für die Gesellschaft. Die Dienstleistungen selbst gehören nicht zu den Kernkompetenzen. Sie werden allerdings dann den erwarteten Mehrwert für den Kunden stiften, wenn sie sich von der Kernkompetenz, vom kollektiven Wissen einer Organisation ableiten.

Kernkompetenzen zu kopieren ist schwierig, auch braucht es viel Zeit und Ressourcen, sie aufzubauen. Wir Ärzte haben diese Kompetenzen besonders im Bereich der Diagnostik, der Behandlung und der Beratung. Um zukunftsfähig zu sein, müssen wir diese allerdings ausbauen, stärken und vor allem freispielen.

Artur Wechselberger
Präsident der Österreichischen Ärztekammer

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 23-24 / 15.12.2013