Gesundheitsreform: Vom Papier zur Praxis

25.03.2013 | Politik


Dass es vom Reformpapier hin zu konkreten Ansätzen für die Praxis noch ein langer Weg ist, machten Experten bei einer Podiumsdiskussion unter dem Titel „Wie setzen wir die Gesundheitsreform um?“ deutlich. Denn die wirkliche Arbeit beginnt erst.
Von Marion Huber

Mit der mittlerweile siebenten Podiumsdiskussion setzte die Karl-Landsteiner-Gesellschaft Mitte März 2013 die Veranstaltungsreihe „Zukunft Gesundheit“ fort. Diskutiert wurde diesmal über die aktuelle Gesundheitsreform – wobei Univ. Prof. Bernhard Schwarz, Präsident der Karl-Landsteiner-Gesellschaft, eingangs anregte, nicht die Theorie, sondern konkrete Ansätze in den Mittelpunkt der Diskussion zu stellen. Denn bei allen Versuchen von Gesundheitsreformen in Österreich äußerte Schwarz die Hoffnung, dass „sich diesmal tatsächlich in der Praxis etwas ändert“. Dass die Krux gerade im Detail liegt, wurde im Rahmen der Diskussion schnell klar: Bis konkrete Pläne auf dem Tisch liegen, ist es noch ein weiter Weg und bedeutet noch jede Menge Arbeit.

„Vieles an Gutem und Exzellentem und zugleich maßgebliche, substantielle Kritikpunkte“ sieht Josef Probst, Generaldirektor im Hauptverband der österreichischen Sozial-versicherungsträger, im österreichischen Gesundheitssystem. Der oft geäußerten Kritik, es gebe zu viele Akteure, konnte er nicht beipflichten: „Ich kann Ihnen keine Freude machen. Die Anzahl der Akteure kann man nicht maßgeblich verringern.“ Der „zurecht harschen Kritik“ (Probst), dass eine Hand nicht weiß, was die andere tut, könne man nicht damit begegnen, eine Hand abzuschaffen. Man müsse Abstimmungsgremien einführen. Zum einen brauche es den politischen Willen zur Kooperation, zum anderen eine Organisationsstruktur. Daher sei der Bundeszielsteuerungsvertrag zwischen den drei politisch Verantwortlichen Bund, Länder und Hauptverband das wichtigste Instrument der Gesundheitsreform, so Probst. Darin sollen konkrete Ziele festgelegt werden, wie etwa die stationären Aufenthalte bei Augenoperationen auf eine Zahl X zu minimieren. Was Probst aber ausdrücklich als Beispiel verstanden wissen will, denn „ausverhandelt ist noch nichts“.

Dass die Reform keine Gesundheitssondern im Kern eine Finanzreform ist, hielt Christoph Reisner, Präsident der Ärztekammer für Niederösterreich, einmal mehr fest. Zwar brauche es Veränderungen im System; wie aber die Strukturen und Schnittstellen nach der Reform aussehen werden, wisse er nicht: „Ich glaube, wir alle am Podium wissen es nicht.“ In den „maßgeblichen Gremien“ seien nämlich nur Politik und Krankenkassen vertreten. „Die Ärztekammer spielt in diesem Spiel nicht mit“, resümierte Reisner. Die nieder- österreichische Ärztekammer stehe zwar für Veränderungen zur Verfügung, aber „ich habe das Gefühl, dass wir in der niederösterreichischen GKK momentan keinen kooperativen Partner haben.“

Arbeit beginnt erst

Von den Patientenanwälten kam deswegen das ‚Ja‘ zur Reform, weil die Strukturen sonst „für die nächsten 20 Jahre wieder total versteinert sein würden“, gab Gerald Bachinger, Sprecher der Patientenanwälte Österreichs, zu bedenken. Entwicklungsbedarf – und zwar noch vor dem Bundeszielsteuerungsvertrag auf der gesetzlichen Ebene – sieht aber auch er: „Wir haben jetzt nur Papier auf dem Tisch. Wir haben gute Vorhaben und Ziele. Aber das Eingemachte, die wirkliche Arbeit wird in den nächsten Monaten und Jahren erst folgen müssen.“ Die Absichtserklärungen müssten erst auf den Boden der Realität gebracht werden. Und dabei würden auch die ÖÄK und die Patientenanwaltschaft noch einiges einbringen können, so die Hoffnung von Bachinger.

In seinen 32 Jahren als niedergelassener Allgemeinmediziner in Oberösterreich hat Erwin Rebhandl, Bezirksärztevertreter der Ärztekammer Oberösterreich, viele Ansätze von Gesundheitsreformen erlebt, die allesamt „immer irgendwo stecken geblieben sind“. Kern einer zielführenden Reform stellt für ihn das „Primary Health Care“-Modell dar. „Hätten wir es 1978, als die WHO es entwickelt hat, nicht in der Schublade verschwinden lassen sondern umgesetzt, müssten wir heute nicht hier sitzen“, meint Rebhandl.

Ein entscheidender Punkt bei der Umsetzung der Gesundheitsreform sind die Strukturen: Sie werden sich von Bundesland zu Bundesland und zwischen Stadt und Land unterscheiden müssen, zeigten sich die Diskutanten überzeugt. Was es jedoch noch zusätzlich braucht: Anreize. Das Tätigkeitsprofil des Hausarztes muss verändert, seine Rolle aufgewertet und das Honorierungssystem reformiert werden. Entschließt sich die Politik etwa dazu, Hausapotheken sterben zu lassen, müsse sie Ärzte in entlegenen Gebieten anders unterstützen, betonte Rebhandl: „Der Ball liegt ganz klar bei der Politik: Sie muss kreativ denken.“ Schon Studenten müsste man mit der Lehrpraxis und einer besseren Ausbildung vorbereiten und motivieren.

Wie kontrovers die Ansichten über Strukturen und Aufgaben von Hausärzten sind, wurde am Beispiel Disease Management Programm Typ 2-Diabetes deutlich. Während Bachinger Kassenärzte dazu verpflichten will, solche Programme anzubieten, hat etwa die Ärztekammer Niederösterreich das Diabetes-Programm Therapie Aktiv gekündigt, weil „die Ergebnisse der Patienten schlichtweg nicht besser geworden sind“, erklärte Reisner. Auch Univ. Prof. Peter Fasching, Leiter der 5. Medizinischen Abteilung am Wilhelminenspital in Wien, sieht durch solche Programme lediglich Verbesserungen in der Dokumentation, nicht jedoch im Outcome für den Patienten.

Einig war man sich jedenfalls darin, dass der niedergelassene Bereich gestärkt werden müsse. Was das laut dem vorliegenden Reformpapier genau heißen soll, ist für Bachinger unklar. Ziel müsse aber eine Versorgungspyramide mit breiter Basis – also beim Hausarzt – und schmaler Spitze sein. Wie kann es nun im Sinn der Reform gelingen, die Patienten an den Hausarzt zu binden? „Der Patient als Laie soll die Versorgungsstufe nicht wählen können“, forderte Bachinger und plädierte dafür, endlich über die „heilige Kuh der freien Arztwahl“ zu diskutieren. Zustimmung kam von Univ. Prof. Manfred Maier, Leiter der Abteilung für Allgemein- und Familienmedizin des Zentrums für Public Health Wien. In Österreich würde man freie Arztwahl mit der Wahl der Versorgungsebene verwechseln. „Bei uns heißt freie Arztwahl, dass man immer überall hingehen kann, wo man sich einbildet, hingehen zu wollen – etwa am Samstag um zwei Uhr nachts mit Kopfschmerzen auf die Neurologische Ambulanz im AKH“, wie Maier ausführte. Das halte kein System aus, ist er überzeugt. „Aber es fehlt der politische Wille, die unpopuläre Entscheidung zu treffen, ‚Best Practice‘-Modelle umzusetzen.“

Diese „Beliebigkeit“ ist auch für Probst nicht vernünftig. Jedoch erteilt er Tendenzen, zu regeln, wer wann wohin gehen darf, eine klare Absage. Um die Patienten „ohne Regulierungswut im Dschungel von Angeboten zu leiten“ schlug Bachinger ein Service nach dem Beispiel des britischen NHS Direct vor, das rund um die Uhr telefonisch, mobil oder online erreichbar ist. So könne man Kosten sparen, weil viele Fälle etwa schon am Telefon geklärt werden könnten.

Eine verbesserte Versorgung an der Basis hätte nicht nur für die Patienten sondern auch aus ökonomischer Sicht Vorteile, so Rebhandl: Unnötige Krankenhausaufenthalte gingen zurück und Behandlungskosten würden gesenkt. Seine Conclusio: „Man muss in Primary Health Care investieren. Dann sinken die Ausgaben auf der sekundären und tertiären Ebene und man spart im Gesamtsystem.“

Teil-Optimismus

Probst versicherte, die Verantwortlichen würden „sich bemühen, nichts Wichtiges zu vergessen“. Schon mit ein „paar guten Items, die zu einer Verbesserung führen, wäre die Reform ganz gut gelungen“. „Teiloptimistisch“ zeigte sich Rebhandl, wenn der Mut vorhanden ist, neue Wege zu gehen. Als Ärztekammer-Präsident appellierte Reisner,
die Ärzte nicht zu vergessen, die in diesem System arbeiten. Weil „der Schuh am
meisten bei der Bürokratie drückt“, hofft er, dass die Gesundheitsreform keine weitere Ver- Bürokratisierung nach sich zieht, sondern den Beruf des Landarztes wieder attraktiv macht. Und Bachinger nähert sich der Reform mit „einem guten Schuss Zweck-Optimismus“. Der neue Reformversuch habe sich nach unzähligen vorangegangenen Versuchen einen Vertrauensvorschuss verdient, meint er: „Den möchte ich geben.“

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 6 / 25.03.2013