Turnusärztemangel: Ein Reality-Check

10.03.2013 | Politik

Egal ob Werbemaßnahmen auf Facebook, kreative Pendelansätze oder eine attraktivere Ausbildung: Vor allem kleine Spitalsstandorte versuchen auf diese Weise, Turnusärzte zu gewinnen. Einen Einblick in die Realität, wie Krankenhäuser dem Turnusärztemangel gegensteuern, ergibt eine stichprobenartige Umfrage der ÖÄZ.
Von Barbara Wakolbinger

„Früher hatten wir Wartelisten von ein bis zwei Jahren, jetzt gar keine mehr. Es wird immer schwieriger“, umreißt der ärztliche Leiter des Bezirkskrankenhauses Kufstein, Carl Miller, die Suche nach geeigneten Turnusärzten. In Kufstein arbeitet man vor allem daran, die Attraktivität des eigenen Krankenhauses zu verbessern und mehr Werbung dafür zu machen: auf der Krankenhaus-eigenen Homepage ebenso wie im sozialen Netzwerk Facebook. Noch sind 26 von 26 Turnusarztstellen besetzt, das könne sich aber „schlagartig“ ändern, so Miller. Im Westen Österreichs konkurriere man vor allem mit Deutschland und der Schweiz, wo viele junge Absolventen des Medizinstudiums nicht nur Facharztstellen, sondern auch bessere finanzielle Konditionen angeboten bekommen. „Schon jetzt wurden über die Betriebsvereinbarung die Arbeitszeiten besser geregelt. Fortbildungen können in der Dienstzeit besucht werden und jeder Turnusarzt hat einen Mentor“, erklärt Miller. Die Turnusarzt-Tätigkeitsprofile, mit denen verhindert werden soll, dass Turnusärzte als Laufburschen und Handlanger eingesetzt werden, seien in Kufstein bereits Standard. Die Turnusärztevertreter kommen einmal im Monat zu einem Jour fixe mit dem ärztlichen Leiter zusammen; im Rahmen dieses Gesprächs können Beschwerden und Anregungen angebracht werden. Betrachte man die Langzeitperspektive, fürchtet der ärztliche Leiter des Bezirkskrankenhauses in Kufstein bei gleichbleibender Situation vor allem Schwierigkeiten bei der Besetzung der Tiroler Kassenstellen.

Werbung auf allen Kanälen

Wesentlich dramatischer sieht die Situation im Landeskrankenhaus (LKH) Bludenz aus: Von 15 Turnusarztstellen sind derzeit gerade einmal sechs besetzt, berichtet der ärztliche Leiter des Krankenhauses, Matthias Scheyer. „Wir können nicht nachbesetzen, weil wir einfach niemanden mehr bekommen.“ Und dass, obwohl das LKH Bludenz aktiv nach Bewerbern sucht und etwa Anzeigen in Zeitungen schaltet, die in Wien und der Steiermark erscheinen, im Internet wirbt und direkt Studenten sowie Studienabgänger in Wien und Innsbruck für Bludenz zu begeistern versucht. Auch das Turnusärzte-Tätigkeitsprofil ist in Kraft „und wird auch eingehalten, da schauen wir drauf“, betont Scheyer. Auch das Land Vorarlberg setzt Maßnahmen: So ist etwa eine Gehaltsreform für Turnusärzte bereits auf dem Weg; langfristig könne auf diese Art und Weise – ist man überzeugt – dem Turnusärztemangel gegengesteuert werden. Kurzfristig behilft man sich in Bludenz mit jenen Turnusärzten, die ihre Ausbildung zwar schon abgeschlossen haben, aber dennoch gerne bleiben und kompensiert den Mangel mit Fach- und Assistenzärzten im Haus und von anderen Krankenhäusern.

Kleine Spitäler in Bundesländern ohne eigene medizinische Universitäten haben es schwer. Da muss manches Mal auch eine kreative Lösung gefunden werden, wie etwa im Krankenhaus Oberwart im Burgenland: Alle 32 Stellen sind hier besetzt – was vor allem am hohen Prozentsatz an steirischen Turnusärzten liegt. Weil die Wartezeit in Oberwart nahezu „null“ war, konnte man Medizinabsolventen aus dem benachbarten Bundesland gewinnen, berichtet Robert Bruckner, interimistischer ärztlicher Direktor des Krankenhauses in Oberwart. „Jetzt haben wir rund 15 steirische Turnusärzte, die aus Graz pendeln.“ In Fahrgemeinschaften kommen sie jeden Tag nach Oberwart; auch Wohnmöglichkeiten vor Ort werden unterstützt.

Vorteile haben auch Krankenhäuser, die sich in einem größeren Verbund befinden. Das LKH Bruck wählt seine Turnusärzte nicht selbst aus, vielmehr bewerben sich alle Interessenten in der Zentrale in Graz und werden zugeteilt. Das garantiert eine volle Auslastung der 22 Turnusarztstellen, wie der ärztliche Direktor des LKH Bruck, Heinz Luschnik, bestätigt. „Wir haben keinen Einfluss auf die Auswahl. Aber natürlich gibt es aufgrund der Ausbildungsentwicklung gewisse Ängste und auch einen internen Wettkampf der Spitäler um Turnusärzte.“ Denn auch hier spürt man den drohenden Mangel: Wo es früher lange Wartelisten gab, erhält heute jeder Absolvent relativ rasch einen Ausbildungsplatz. Damit auch in Zukunft der Strom der Bewerber nicht abreißt, gibt es eine permanent laufende Turnusärztebefragung, mit der die Zufriedenheit mit der Ausbildung ermittelt wird. Nach jeder absolvierten Abteilung wird ein Bogen ausgefüllt, dieser wird zentral ausgewertet. „Die Beteiligung könnte allerdings besser sein“, so Luschnik. Ganz ähnlich sieht die Situation auch im benachbarten Kärnten im LKH Villach aus: Hier werden Turnusärzte ebenfalls über die KABEG zentral zugeteilt. Zusätzlich beherbergt Villach auch viele Turnusärzte, die hier nur den Teil der Ausbildung absolvieren, der in kleineren Krankenhäusern nicht möglich ist. „Wir haben einen guten Ruf und daher auch keine Probleme. Die Leute kommen gerne zu uns“, erklärt der ärztliche Leiter des LKH Villach, Ralph Spernol.

Keine Uni, keine Bewerber

Oberösterreich gehört ebenso wie das Burgenland und Vorarlberg zu den Bundesländern, in denen es keine medizinische Universität gibt: Das macht das Anwerben von Jung-Medizinern noch schwieriger. Im LKH Steyr gibt es 45 Turnusarztstellen, derzeit sind zwölf Stellen nicht besetzt beziehungsweise teilweise mit Turnusärzten in Ausbildung zum Facharzt oder mit Sekundärärzten besetzt, das macht sieben offene Stellen. „Es ist sehr schwierig, in Oberösterreich gibt es kaum Kandidaten. Deshalb werben wir aktiv in Wien und versuchen auch, Maßnahmen zu treffen, um attraktiver zu werden“, erzählt die ärztliche Leiterin des LKH Steyr, Ingrid Federl. So wurden etwa i.v.-Tätigkeiten – soweit es der gesetzliche Rahmen zulässt – an die Pflege übergeben; auch im Bereich der administrativen Aufgaben hat man umstrukturiert. Das Turnusärzte-Tätigkeitsprofil sei vollständig umgesetzt; es werden sogar Tätigkeiten ausgelagert, die hier noch enthalten seien, erklärt Federl. Mit Werbeveranstaltungen an den Universitäten soll aufgezeigt werden, welche Möglichkeiten Steyr bietet. „Oft sind Studenten völlig verblüfft über die Größe des Hauses und des Angebots, wenn sie erst einmal hier sind“, meint Federl. Die derzeit offenen Turnusarztstellen versucht man mit laufender Umorganisation zu kompensieren. Einen Lichtblick könnte eine medizinische Universität in Oberösterreich sowie das klinisch-praktische Jahr darstellen, im Rahmen dessen Studenten Spitäler bereits während des Studiums kennenlernen können.

Ganz anders die Situation in Wien: Probleme bei der Suche nach Turnusärzten kennt man hier nicht. Wien ist somit das einzige Bundesland, in dem man in jedem Gemeindespital zwischen eineinhalb und zwei Jahren auf einen Turnusplatz wartet. Die Gründe dafür liegen nicht nur in der Größe der Krankenhäuser und der Infrastruktur der Großstadt, sondern ganz woanders: Die jungen Ärztinnen und Ärzte sind einfach bereits vor Ort – rund 60 Prozent der Medizinstudenten schließen ihr Studium in Wien ab. Durchschnittlich 230 Turnusplätze sind in Wien pro Jahr zu besetzen.

Die Situation am LKH St. Pölten-Lilienfeld zeigt schließlich noch einmal auf, wie viel Gewicht die Standortfrage bei der Suche nach Turnusärzten hat. „St. Pölten ist in einer begünstigten Situation. Wir sind ein großes Haus, können Turnusärzten sämtliche Fächer anbieten und haben eine günstige geographische Lage“, schildert Thomas Gamsjäger, ärztlicher Leiter des LKH St. Pölten-Lilienfeld. Alle 78 Turnusstellen sind besetzt. Die Situation am kleineren Partnerstandort Lilienfeld hingegen ist nicht so rosig: Hier sind vier der zwölf Stellen nicht besetzt. Deshalb soll den angehenden Ärzten vor allem das kleine Krankenhaus schmackhaft gemacht werden. Denn ein kleineres Haus habe durchaus auch Vorteile, ist Gamsjäger überzeugt: Die hochgradige Spezialisierung rücke in den Hintergrund, es gebe ein breites Spektrum an Patienten und auch der Umgang sei familiärer und übersichtlicher und somit auch das subjektive Betreuungsverhältnis besser. Beim Turnusärzte-Tätigkeitsprofil gebe es noch laufenden Verbesserungsbedarf, momentan sei die Umsetzung noch zu „uneinheitlich“, wie er erklärt.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 5 / 10.03.2013