Spitalswesen in Österreich: Die Fehler im System

10.11.2013 | Politik

Die Probleme im österreichischen Spitalswesen sind nicht neu: Die Bundeskurie angestellte Ärzte in der ÖÄK weist schon seit Langem darauf hin. Kurienobmann Harald Mayer fordert von den für den Gesundheitsbereich zuständigen Politikern Lösungen ein.

Die Brennpunkte im österreichischen Spitalswesen: Die Spitalsambulanzen sind übervoll, die Arbeitszeiten in den Spitälern sind noch immer zu lang, die Ausbildung der Turnusärzte erschöpft sich in Administration und Dokumentation und nicht zuletzt: die Medizin ist weiblich. Die Folgen machen sich bemerkbar: Immer mehr Ärztinnen und Ärzte – nicht nur junge – wandern ab. „Die Bundeskurie angestellte Ärzte hat in den letzten Jahren immer wieder auf diese Probleme hingewiesen. Geändert hat sich allerdings nichts“, stellt der Bundeskurienobmann der angestellten Ärzte, Harald Mayer, ernüchtert fest. „Entweder wurden von der Politik überhaupt keine Maßnahmen ergriffen oder es waren die falschen.“ So waren die Ärzte etwa bei der Planung der aktuellen Gesundheitsreform nicht eingebunden.

Der Ärztemangel in den Spitälern wird allmählich sichtbar und spürbar – eine Besserung ist nicht in Sicht. Denn aufgrund der Ärzte-Bedarfsstudie – basierend auf Zahlen aus dem Jahr 2008 – werden im Jahr 2030 rund 14 Prozent mehr Ärzte benötigt; in absoluten Zahlen heißt das umgerechnet für die Spitäler rund 3.000 Ärztinnen und Ärzte zusätzlich. Mayer dazu: „Das sind Besorgnis-erregende Zahlen, wenn man bedenkt, dass es schon jetzt beispielsweise in der Chirurgie zu wenig Ärzte gibt.“ Aber auch ein anderes Ergebnis der Ärzte-Bedarfsstudie sollte nach Ansicht von Mayer den für die Gesundheitspolitik zuständigen Vertretern zu denken geben: Ein Viertel aller Medizinstudenten würde nach Abschluss des Studiums am liebsten im Ausland arbeiten. Der wachsende Bedarf an Ärzten in Österreich wird nicht einmal dann abgedeckt werden können, wenn alle Absolventen des Medizinstudiums in Österreich bleiben.

Abhilfe: bei der Ausbildung ansetzen

Wie man Abhilfe schaffen kann, ist für Mayer klar: „Die Ausbildung der jungen Kolleginnen und Kollegen muss verbessert werden, und zwar rasch.“ Konkret bedeutet das: die Umsetzung des von der ÖÄK erarbeiteten Turnusärzte-Tätigkeitsprofils, eine stärkere Gewichtung der praktischen Ausbildung, die Anstellung von Administrations-Assistenten, das „Bedside teaching“ Realität werden lassen. Will man diese Jungärzte dann weiterhin für eine Tätigkeit als Spitalsarzt gewinnen, müssen die Arbeitsbedingungen insgesamt verbessert werden. „Derzeit lässt sich die Arbeitssituation insgesamt ja am besten mit den Begriffen Verknappung, Ausbeutung und Arbeitsverdichtung beschreiben“, so Mayer. So fordert die Bundeskurie schon seit vielen Jahren eine gesetzliche Beschränkung der Höchstarbeitszeit auf 25 Stunden pro Dienst, wie dies erst kürzlich am Wiener AKH umgesetzt wurde.

Auch bei der Entlastung der übervollen Spitalsambulanzen fehlen die konkreten Maßnahmen der Politik, kritisiert Mayer. Dabei könnten – Schätzungen zufolge – zwischen 60 und 70 Prozent der Patienten, die eine Spitalsambulanz aufsuchen, auch von einem niedergelassenen Allgemeinmediziner oder Facharzt behandelt werden. Mayer dazu: „Hier muss endlich etwas getan werden, damit die Patientenströme entsprechend gesteuert werden.“ Dazu muss entweder der niedergelassene Bereich mit Gruppenpraxen und verlängerten Ordinationszeiten ausgebaut werden oder aber es müssen Akutambulanzen vorgelagert werden, wo die Entscheidung darüber getroffen wird, ob ein Patient tatsächlich ins Spital muss. Des Weiteren müsse der Entwicklung, dass die Medizin weiblich wird, Rechnung getragen werden, fordert Mayer. Immerhin sind bereits zwei Drittel der Turnusärzte Frauen. Neue, flexible Arbeitszeitmodelle sind ebenso notwendig wie Kinderbetreuungs-Einrichtungen in Spitälern.

Und wenn die Politik schon Rahmen-Gesundheitszeile ausarbeite, sollten diese – noch dazu wenn Ziel Nr. 10 u.a. gute Arbeitsbedingungen für die Gesundheitsberufe fordert – auch für Ärzte gelten, betont der oberste Spitalsärzte-vertreter in der ÖÄK. „Auf die Gesundheit der Spitalsärztinnen und Spitalsärzte muss mehr geachtet und größerer Wert gelegt werden. Nur so kann die hohe Qualität der medizinischen Versorgung aufrechterhalten werden.“

„Raubbau“ an Ärzte-Gesundheit

Denn an der Gesundheit von Spitalsärzten werde „Raubbau“ betrieben, so Mayer. So hat eine von der Medizinischen Universität Graz im Jahr 2011 unter österreichischen Ärzten durchgeführte Studie ergeben, dass das Burnout-Risiko von Spitalsärzten zwischen 50 und 60 Prozent liegt. Zum Vergleich: Mit 40 Prozent ist das Risiko für Richter, Wirtschaftstreibende und Wirtschaftstreuhänder, ein Burnout zu erleiden, deutlich geringer.

Mayer abschließend: „In der Ärzte-Bedarfsstudie hat man ganz konkrete Punkte formuliert, was zu tun ist. Bis jetzt hat noch niemand etwas getan, damit sie umgesetzt werden. Es wird höchste Zeit, dass das geschieht.“
AM

Empfehlungen der Ärzte-Bedarfsstudie

• Entlastung der Ärzteschaft von Verwaltungs- und Dokumentationsaufgaben

• Steigerung der Attraktivität des ärztlichen Berufes durch Reduktion administrativer Belastung

• Sinnvoller Einsatz des Personals entsprechend der Qualifikation

• Steuerung des Zustroms zu den Ambulanzen

• Leistungsgerechte Entlohnung

• Einhaltung der Arbeitszeithöchstgrenzen

• Attraktivere Ausbildung

• Neue Karrieremodelle

• Flexible, dem jeweiligen Lebensabschnitt angepasste Arbeitszeitmodelle

• Ausgeglichene Work-Life-Balance

• Kinderbetreuungsplätze errichten

• Erhalt der Arbeitsfähigkeit älterer Spitalsärztinnen und Spitalsärzte

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 21 / 10.11.2013