Arbeits­be­din­gun­gen in Spi­tä­lern: Dis­kre­panz zwi­schen Ideal und Realität

15.12.2013 | Politik

Sel­ten klaf­fen Anspruch und Wirk­lich­keit so aus­ein­an­der wie bei den Arbeits­be­din­gun­gen in Öster­reichs Spi­tä­lern. Wäh­rend in den Rah­men­ge­sund­heits­zie­len gute Arbeits­be­din­gun­gen als zen­tra­ler Punkt für qua­li­ta­tiv hoch­ste­hende Gesund­heits­leis­tun­gen fest­ge­hal­ten sind, ist die Rea­li­tät der­zeit eine völ­lig andere.


Gute Arbeits­be­din­gun­gen kön­nen einen wesent­li­chen Bei­trag zu einer qua­li­ta­tiv hoch­ste­hen­den Gesund­heits­ver­sor­gung leis­ten“ – so steht es jeden­falls in den Rah­men­ge­sund­heits­zie­len, die Ende Juni 2012 von der Bun­des­ge­sund­heits­kom­mis­sion beschlos­sen wur­den und die von der Poli­tik gerne zitiert wer­den. Die genannte For­mu­lie­rung fin­det sich im Gesund­heits­ziel Nr. 10 unter dem Titel: „Qua­li­ta­tiv hoch­ste­hende und effi­zi­ente Gesund­heits­ver­sor­gung für alle nach­hal­tig sicherstellen.“

Der­zeit sind die Arbeits­be­din­gun­gen für die Ange­hö­ri­gen von Gesund­heits­be­ru­fen „ganz sicher nicht“ als gut zu bezeich­nen, erklä­ren der oberste Spi­tals­ärz­te­ver­tre­ter in der ÖÄK, Harald Mayer, und die Prä­si­den­tin des Gesund­heits- und Kran­ken­pfle­ge­ver­ban­des (ÖGKV), Ursula Froh­ner. Sehen sich doch beide Spit­zen­ver­tre­ter mit der Tat­sa­che kon­fron­tiert, dass die Ange­hö­ri­gen der jewei­li­gen Berufs­gruppe einen Groß­teil ihrer Zeit nicht mehr mit den Tätig­kei­ten ver­brin­gen, für die sie eigent­lich aus­ge­bil­det wur­den. Anstatt etwa die Nah­rungs­auf­nahme bei Pati­en­ten mit Schluck­stö­run­gen zu über­wa­chen oder Ange­hö­rige auf die bevor­ste­hende Spi­tal­sen­tals­sung von hoch­gra­dig Pfle­ge­be­dürf­ti­gen vor­zu­be­rei­ten, sind Ange­hö­rige des geho­be­nen Diens­tes für Gesund­heit- und Kran­ken­pflege mit Ter­min­ver­ein­ba­run­gen und Lager­hal­tung beschäf­tigt – und Ärzte ver­schwen­den ihre Zeit mit über­bor­den­der Büro­kra­tie, die von Sekre­ta­ri­ats­per­so­nal über­nom­men wer­den kann, was gleich­zei­tig auch das Pfle­ge­per­so­nal ent­las­ten würde, um Auf­ga­ben des mit­ver­ant­wort­li­chen Tätig­keits­be­reichs wie etwa Blut­ab­nah­men zu übernehmen.

Wie es zu die­sem Shift gekom­men ist? Mayer und Froh­ner sehen die Ursa­che dafür im Per­so­nal­man­gel, von dem Ärzte wie Pfle­ge­fach­kräfte glei­cher­ma­ßen betrof­fen sind. Die For­de­rung nach zusätz­li­chem Per­so­nal in bei­den Berei­chen ist daher nahe­lie­gend, kann jedoch nur ein Teil der Lösung sein. So sieht Froh­ner auch zusätz­li­che Per­spek­ti­ven, die sich durch das neue MAB­Ge­setz (Medi­zi­ni­sche Assis­tenz-Berufe) erge­ben. „Dadurch eröff­nen sich Mög­lich­kei­ten, die Auf­ga­ben in den jewei­li­gen Berufs­grup­pen bes­ser ver­tei­len zu können.“

Nichts­des­to­trotz ist es ihrer Ansicht nach auch not­wen­dig, mehr Per­so­nal für den mas­si­ven Arbeits­auf­wand, den admi­nis­tra­tive Tätig­kei­ten erfor­dern, ein­zu­stel­len; ebenso aber auch zusätz­li­che Ser­vice- und Rei­ni­gungs­kräfte. Froh­ner kann sich ganz gene­rell einen Sys­tem­wech­sel vor­stel­len – indem man dazu über­geht, ähn­lich wie es schon der­zeit für Ange­hö­rige des Pfle­ge­fach­per­so­nals und bei Ärz­ten üblich ist, zeit­lich fle­xi­ble Dienst­zei­ten ein­zu­füh­ren. Mayer hat dazu bereits ganz kon­krete Über­le­gun­gen ange­stellt. Ärzte etwa arbei­ten in der Regel bis zu 72 Stun­den pro Woche – fle­xi­bel, wäh­rend hin­ge­gen Büro- oder Rei­ni­gungs­kräfte 40 Stun­den fix tätig sind. Der Vor­schlag des Spi­tals­ärz­te­ver­tre­ters: Dienst­ver­träge so gestal­ten, dass auch Sekre­ta­ri­ats­per­so­nal fle­xi­bel ein­ge­teilt wer­den kann.

Damit würde man zwei posi­tive Effekte auf ein­mal erzie­len, betont Mayer: „Zum einen steht dann eine Büro­kraft auch am Sonn­tag, wo so wie an jedem ande­ren Tag auch eine Unzahl von Schreib­ar­bei­ten anfällt, zur Ver­fü­gung.“ Als Aus­gleich hät­ten sie dann einen freien Tag unter der Woche. Außer­dem – und für Mayer ein ent­schei­den­der Aspekt – wären Ärz­tin­nen und Ärzte rasch und nach­hal­tig mehr für ärzt­li­che Tätig­keit freigespielt.

Auch in ande­rer Hin­sicht gilt es anzu­set­zen, wenn Froh­ner etwa meint, dass Per­so­nal­schlüs­sel nach den not­wen­di­gen Kom­pe­ten­zen einer Ver­sor­gungs­ein­heit aus­ge­rich­tet wer­den müs­sen – seien doch die Anfor­de­run­gen an eine Pfle­ge­fach­kraft auf einer Inten­siv­sta­tion völ­lig anders als auf einer inter­nen Abtei­lung. Mayer wie­derum betont, dass ältere Ärzte der­zeit schon zum Teil Tätig­kei­ten, die eigent­lich Auf­ga­ben der in Aus­bil­dung ste­hen­den Jung­ärzte wären, über­neh­men, „nur damit das Sys­tem noch wei­ter auf­recht erhal­ten wer­den kann“.

Grund­le­gende Umstrukturierung

Um diese fun­da­men­ta­len struk­tu­rel­len Män­gel zu besei­ti­gen, müsse es rasch zu einer grund­le­gen­den Umstruk­tu­rie­rung im Spi­tals­we­sen kom­men, so Froh­ner und Mayer uni­sono. Der „fal­sche Weg“, so Mayer, sei es, ein­fach pau­schal Bet­ten ein­zu­spa­ren. Und wei­ter: „Wenn man sich die demo­gra­phi­sche Ent­wick­lung in Öster­reich anschaut, muss jedem klar sein, dass der Bedarf an medi­zi­ni­scher und pfle­ge­ri­scher Betreu­ung ver­mut­lich mehr wer­den wird – und nicht weni­ger.“ Schon des­we­gen sei der zu beob­ach­tende Trend, beim Per­so­nal zu spa­ren, der fal­sche Ansatz.

Die Aus­wir­kun­gen der aktu­el­len Ent­wick­lung – immer mehr Pati­en­ten bei einer gleich­blei­ben­den oder ten­den­zi­ell abneh­men­den Zahl an Ärz­ten und Pflege fach­kräf­ten – sind mitt­ler­weile auch wis­sen­schaft­lich doku­men­tiert. Einer kürz­lich vom Mei­nungs­for­schungs­in­sti­tut IFES unter öster­rei­chi­schen Spi­tals­ärz­tin­nen und Spi­tals­ärz­ten durch­ge­führte Stu­die hat u.a. erge­ben, dass sich 74 Pro­zent der Befrag­ten nicht vor­stel­len kön­nen, mit 65 Jah­ren unter die­sen Arbeits­be­din­gun­gen noch im Kran­ken­haus zu arbeiten.

Ver­geu­dete Ressourcen

Nicht anders die Situa­tion beim Pfle­ge­fach­per­so­nal: 68 Pro­zent des Pfle­ge­per­so­nals in Akut-Kran­ken­häu­sern sind – einer Stu­die aus dem Jahr 2010 zufolge – mit ihrem Arbeits­platz gene­rell unzu­frie­den. Das ist noch nicht alles: In Öster­reich geht man – laut einer Unter­su­chung des Lud­wig-Boltz­mann-Insti­tuts – davon aus, dass Pfle­ge­fach­per­so­nal ledig­lich zwi­schen vier und sechs Jah­ren im Pfle­ge­be­reich tätig ist. Froh­ner dazu: „Hier sollte man sich end­lich auch Gedan­ken dar­über machen, wel­che enor­men Res­sour­cen ver­geu­det wer­den, wenn hoch qua­li­fi­zierte Kräfte und am Beginn ihres Berufs­le­bens hoch moti­vierte Mit­ar­bei­ter nur so kurz in ihrem gelern­ten Beruf arbei­ten.“ Denn wie in vie­len ande­ren Berei­chen gelte auch hier: Erst mit den Jah­ren habe man die Erfah­rung, die dann – spe­zi­ell in einem so sen­si­blen Bereich wie der Gesund­heit – erst rich­tig zum Tra­gen komme.

Damit die qua­li­ta­tiv hoch­ste­hende Gesund­heits­leis­tung in Öster­reich auch wei­ter­hin sicher­ge­stellt ist, braucht es ent­spre­chende Rah­men­be­din­gun­gen, unter­strei­chen Froh­ner und Mayer. Mayer wei­ter: „Ein Spar­kurs, wie er nun im Zuge der Gesund­heits­re­form kom­men soll, wird die Situa­tion in den Spi­tä­lern wei­ter ver­schär­fen – sowohl für die Pati­en­ten als auch für die Ärzte und das Pfle­ge­fach­per­so­nal.“
AM

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 23–24 /​15.12.2013