8. aks Sommerschule: Prävention kostet, bevor sie spart

15.08.2013 | Politik

Wie Vorarlberg mit der Vorsorge-Coloskopie Einsparungen von rund 34 Millionen Euro erzielen konnte und warum der aks (Arbeitskreis Vorsorge und Sozialmedizin) Vorarlberg – eine der fünf größten Gesundheits-Datenbanken weltweit – die Daten der Vorsorgeuntersuchung nicht mehr erhält, darüber wurde bei der 8. aks-Sommerschule im Juli in Bregenz diskutiert.Von Agnes M. Mühlgassner

Mehr Prävention und Gesundheitsförderung sind Kernpunkte der aktuellen Gesundheitsreform. So ist etwa die Implementierung eines Gesundheitsförderungsfonds, der für die Dauer von zehn Jahren mit 150 Millionen Euro dotiert ist, vorgesehen. Für ÖÄK-Präsident Artur Wechselberger eine „reine Absichtserklärung, etwas tun zu wollen“. Denn: „Anfangen kann man mit diesen Summen nichts.“ Nur zum Vergleich: Die Sportförderung in Österreich beträgt rund 130 Millionen Euro – jährlich. Das grundsätzliche Problem ortet Wechselberger darin, dass man hierzulande von Wahl zu Wahl denke, Public health, der ja künftig ein größerer Stellenwert eingeräumt werden soll, ebenso wie deren Auswirkungen jedoch eine längere Dauer hätten.

Ein aktuelles Beispiel für gelungene Prävention präsentierte Michael Jonas, Präsident der Ärztekammer Vorarlberg. Parallel mit der Einführung der Vorsorge neu im Jahr 2006 wurde in Vorarlberg die Vorsorge-Coloskopie angeboten. Dabei konnten im Zeitraum von Februar 2007 bis Dezember 2012 insgesamt 24 Prozent aller Personen aus der Zielgruppe erreicht werden. Ergebnis: Während vor der Einführung des Programms im Jahr 2007 pro Jahr noch 178 Neuerkrankungen von Dickdarmkrebs und damit die höchste Rate registriert wurde, ist diese nach einem vorübergehenden Anstieg von Frühstadien wieder rückläufig, was Jonas „als Erfolg dieses Programms“ wertet. „Einen Teil der Kosten für die Qualitätssicherung hat das Land Vorarlberg beigesteuert, da die soziale Krankenversicherung nicht in der Lage ist, die für ein qualitätsgesichertes Programm erforderlichen Kosten auszugeben“, so Jonas.

Auch in volkswirtschaftlicher Hinsicht erweist sich das Projekt als Erfolg: So konnten bis 2010 Einsparungen in der Höhe von 22 Millionen Euro pro Jahr für das Land Vorarlberg erzielt werden; hochgerechnet bis Ende 2012 beträgt die Ersparnis bereits 34 Millionen Euro pro Jahr. Das liegt unter anderem daran, dass vor der Einführung des Programms 2007 bei jedem zweiten diagnostizierten Fall bereits eine Metastasierung vorlag. Seit 2010 werden die erhobenen Daten jedoch nicht mehr ausgewertet. Warum? Weil dies auf dem persönlichen Engagement einiger weniger beruhte. Jonas dazu: „Auf Dauer kann es so aber nicht gehen. Dafür ist eine professionelle Institution notwendig, die diese Daten bekommt und auch auswertet.“ Seine Forderung: Bei allen künftigen Programmen muss auch dezidiert ein Finanzbudget für die Evaluierung zur Verfügung gestellt werden.

Bei den Daten spießt es sich auch noch in einem anderen Bereich: Seit der Einführung der Vorsorge neu im Jahr 2006 erhält der aks (Arbeitskreis Vorsorge und Sozialmedizin Vorarlberg) die Daten, die im Zuge der Vorsorgeuntersuchung erhoben werden, nicht mehr. „Eine wissenschaftliche Katastrophe“, wie der Leiter der aks-Stabstelle Wissenschaft, Hans Concin, erklärte. So zählt die Datenbank des aks-Vorarlberg laut einer weltweiten Erhebung der Universität Harvard zu den fünf größten weltweit. Davon war auch Concin überrascht: „Wir waren selbst beeindruckt, wie bedeutend unsere Datenbank ist.“ Nachsatz: „Und wir bekommen auch immer mehr internationale Anfragen zur Kooperation.“ Die Bemühungen, die Daten der Vorarlberger Vorsorgeuntersuchungen wieder für die anonyme Evaluierung zu erhalten, sind bereits im Gang. Erste Gespräche mit Vertretern der Vorarlberger Gebietskrankenkasse sowie mit dem Vorsitzenden im Hauptverband, Hansjörg Schelling, stimmen Concin diesbezüglich optimistisch.

Der Kurienobmann der niedergelassenen Ärzte der Ärztekammer Vorarlberg, Harald Schlocker, verweist darauf, dass nur mit Hilfe der Gesundheitskompetenz des Einzelnen eine „gute Prävention“ erreicht werden. „Die Politik muss zur Erkenntnis kommen, dass Investition in Prävention nicht nur Kosten verursacht, sondern dass dieses Geld gesundheitspolitisch und volkswirtschaftlich für die Zukunft gut angelegt ist.“ Er, Schlocker, wünsche sich ein Bekenntnis der Politik zur Gesundheitserziehung schon im Vorschulalter und dann auch später in der Schule. „Auch die Primary Health Care ist miteinzubeziehen, weil es nur in diesem Zusammenhang wirklich funktionieren wird“, so sein Fazit.

Insgesamt hätten sich die Ärzte bei Public health, die ja im Zuge der Gesundheitsreform aufgewertet werden soll, „ein bisschen ins Abseits drängen lassen“, analysiert Concin. „Wir haben heute Juristen, Wirtschaftsfachleute und alle möglichen Disziplinen, die sich um Public health kümmern. Es ist aber ganz klar, dass die spezifisch ärztlichen Fragen nur von uns Ärzten beantwortet werden können.“

Konkurrenz zwischen kurativem Bereich und Public health?

Der stellvertretende Kurienobmann der niedergelassenen Ärzte in Vorarlberg, Burkhard Walla, anerkennt, dass jetzt zwar Geld für die Gesundheitsförderung beschlossen worden sei, befürchtet jedoch „Riesen-Konkurrenz“: „So wie es jetzt aussieht, wird der Geldtopf insgesamt begrenzt und die Kosten gedämpft und es wird einen gewissen Verteilungskampf zwischen kurativer Medizin und Public health geben.“ Artur Wechselberger sieht in dieser Gefahr auch eine Chance, nämlich „wenn man den Ärzten klar macht, dass die Mittel, die in die Prävention investiert werden, nicht dem ärztlichen kurativen Bereich entzogen werden“. Wenn man den Ärzten klar mache, dass man sie für eine neue zusätzliche Aufgabe, die über die Individualbehandlung hinausgehe, ins Boot hole, dann würden sie kooperieren, ist Wechselberger überzeugt. „Dann ist diese Angst vor konkurrierenden Ausgaben nicht begründet“, so der ÖÄK-Präsident.

Michael Jonas gab sich zuversichtlich, dass „die Vorsorge immer weiter gehen wird“. Jedoch stelle sich die Frage, ob dies auch „zielgerichtet und effizient“ erfolge. Denn dann müssten auch Mittel zur Verfügung gestellt werden für neue Programme, die nicht nur auf lokaler Ebene, sondern auch national und international stattfinden. Sein Resümee: „Es braucht auch politischen Mut, um bestimmten gesellschaftlichen Strömungen entgegenzuwirken und da stimmt mich das Beispiel ‚Monsanto‘ sehr hoffnungsvoll.“ Für die ÖÄK nennt Artur Wechselberger folgende zwei Aspekte als vorrangig: Zum einen die Gesundheitsförderung als generelle Aufgabenstellung für die österreichische Gesundheitspolitik und zum anderen Maßnahmen, die unter Mitwirkung der Ärztinnen und Ärzte umgesetzt werden können – wie etwa Screenings -, zu fördern. Sollte es aktuellen Studien zufolge zutreffen, dass man mit einem BMI zwischen 25 und 29,9 gesünder ist, fände er es „absurd“, nach wie vor einen BMI zwischen 20 und 25 anzustreben. „Wir müssen die Dinge beim Namen nennen und belegen. Dann werden wir auch weiterkommen“, so Wechselberger abschließend.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 15-16 / 15.08.2013