Ver­sor­gung im nie­der­ge­las­se­nen Bereich: Land ohne Medizin?

15.07.2013 | Politik

Bei der medi­zi­ni­schen Ver­sor­gung dro­hen Eng­pässe: In den nächs­ten zehn Jah­ren gehen 37 Pro­zent der All­ge­mein­me­di­zi­ner und 31 Pro­zent der nie­der­ge­las­se­nen Fach­ärzte in Pen­sion. Noch dra­ma­ti­scher ist diese Ent­wick­lung auf dem Land. Des­we­gen star­tet die ÖÄK unter dem Motto „Land­me­di­zin: Ärzt­li­che Ver­sor­gung sichern!“ eine Informationsoffensive.Von Agnes M. Mühlgassner

Jähr­lich gibt es in Öster­reich 22 Mil­lio­nen Erst­kon­sul­ta­tio­nen und 31 Mil­lio­nen Fol­ge­kon­sul­ta­tio­nen bei nie­der­ge­las­se­nen All­ge­mein­me­di­zi­nern sowie 14,2 Mil­lio­nen Erst-Kon­sul­ta­tio­nen und 6,7 Mil­lio­nen Folge-Kon­sul­ta­tio­nen bei nie­der­ge­las­se­nen Fach­ärz­ten. Jedoch gehen in den nächs­ten zehn Jah­ren 37 Pro­zent der All­ge­mein­me­di­zi­ner und 31 Pro­zent der nie­der­ge­las­se­nen Fach­ärzte in Pen­sion. Noch dra­ma­ti­scher wird sich diese Ent­wick­lung aber auf dem Land abzeich­nen: So geht in den nächs­ten fünf Jah­ren jeder vierte Land­arzt in Pen­sion, in zehn Jah­ren ist nur noch jeder zweite der jetzt akti­ven Land­ärzte tätig. Bei den Ärz­ten mit Haus­apo­the­ken gehen in den nächs­ten fünf Jah­ren 28,4 Pro­zent in Pen­sion, in den nächs­ten zehn Jah­ren sogar 58,3 Pro­zent. Wenn man bedenkt, dass 40 Pro­zent aller Kas­sen­me­di­zi­ner per defi­ni­tio­nem (All­ge­mein­me­di­zi­ner mit GKK-Ver­trag in einer Gemeinde mit bis zu maximal 3.000 Ein­woh­nern oder wer als einer von maximal zwei Kas­sen-All­ge­mein­me­di­zi­nern in einer Gemeinde eine Ordi­na­tion betreibt) Land­ärzte sind, wird das enorme Pro­bleme in der Ver­sor­gung mit sich bringen.

Wieso man sich dazu ent­schlos­sen hat, gerade in den Som­mer­mo­na­ten auf diese Pro­ble­ma­tik ver­stärkt auf­merk­sam zu machen, erklärt Gert Wie­gele, Lei­ter des Refe­rats für Land­me­di­zin und Haus­apo­the­ken in der ÖÄK, fol­gen­der­ma­ßen: „Genau jetzt, näm­lich unmit­tel­bar vor den Natio­nal­rats­wah­len im Herbst, haben wir die Chance, dass die Poli­tik uns hört. Wir wol­len, dass die Gesund­heit im Wahl­kampf ein Thema ist.“

Kon­kret fokus­sie­ren sich die For­de­run­gen auf drei Punkte:

  • Bes­sere Finan­zie­rung von län­ge­ren Öffnungszeiten;
  • Recht­li­che Hür­den für Haus­apo­the­ken beseitigen;
  • Fami­li­en­freund­li­che Arbeits­be­din­gun­gen für Ärz­tin­nen und Ärzte.

„Diese drei Punkte, die sich her­aus­kris­tal­li­siert haben, stel­len die Kern­pro­ble­ma­tik der Land­me­di­zin dar“, führt Wie­gele wei­ter aus. „Es müs­sen auch am Land ent­spre­chende Arbeits­be­din­gun­gen geschaf­fen wer­den, dass die medi­zi­ni­sche Ver­sor­gung der Men­schen in der Nacht und am Wochen­ende gesi­chert ist. Hier wird man Geld in die Hand neh­men müs­sen.“ Bei den Haus­apo­the­ken wie­derum sei es mit dem Beschluss im Natio­nal­rat gelun­gen, hier zumin­dest „die Not­bremse zu zie­hen“. Denn es sei ein Fakt, dass die ärzt­li­che Haus­apo­theke ein wich­ti­ges Stand­bein für einen Land­me­di­zi­ner sei. Ihm, Wie­gele, gehe es um die Siche­rung der Haus­apo­the­ken in jet­zi­gen Ein-Arzt-Gemein­den. „Und wir wer­den dar­auf hin­ar­bei­ten, dass auch Zwei-Arzt-Gemein­den durch Haus­apo­the­ker zu ver­sor­gen sind.“

Damit sich – spe­zi­ell Ärz­tin­nen – für Beruf und Fami­lie ent­schei­den kön­nen, brau­che es Zusam­men­ar­beits­for­men, die es Frauen ermög­li­chen, sich als Ärz­tin am Land nie­der­zu­las­sen: etwa Grup­pen­pra­xen. Oder aber auch, dass sich zwei Frauen eine Kas­sen­stel­len tei­len – in die­sem Fall müsste sicher­ge­stellt sein, dass beide Fami­lien dann davon leben kön­nen. Denn Fakt ist auch, dass der­zeit rund 80 Pro­zent aller Land­arzt­stel­len von Män­nern besetzt sind.

Weg von Lippenbekenntnissen

Was mit die­ser Infor­ma­ti­ons­of­fen­sive bezweckt wer­den soll, ist für Wie­gele klar: „Die Poli­tik soll end­lich ihre stän­di­gen Lip­pen­be­kennt­nisse von der Stär­kung des nie­der­ge­las­se­nen Bereichs umset­zen. Nur dann kommt es tat­säch­lich zu einer Ent­las­tung des sta­tio­nä­ren Bereichs.“ Und wei­ter: „Den Ball, den uns hier die Poli­tik zuge­spielt hat, näm­lich dass die Behand­lung am ‚Best point of ser­vice‘ erfol­gen soll, den neh­men wir gerne auf.“ Schließ­lich gehe es ja nicht darum, wo eine Leis­tung aus wirt­schaft­li­cher Sicht am bil­ligs­ten, son­dern darum, wo sie rasch, Pati­en­ten- und Wohn­ort-nahe erbracht werde und der Zugang dar­über hin­aus nie­der­schwel­lig ist.

Der Kuri­en­ob­mann der nie­der­ge­las­se­nen Ärzte in der ÖÄK, Johan­nes Stein­hart, sorgt sich ganz gene­rell um die hohe Qua­li­tät der medi­zi­ni­schen Ver­sor­gung der Bevöl­ke­rung auf dem Land, wenn er meint: „Es ist ein Fak­tum, dass wir zu wenig Land­ärzte haben. Man muss jetzt wirk­lich alles machen, damit unser gut funk­tio­nie­ren­des Gesund­heits­we­sen und auch die hohe Qua­li­tät der medi­zi­ni­schen Ver­sor­gung auf dem Land erhal­ten bleibt.“ Untrenn­bar damit ver­bun­den ist für ihn auch die ver­pflich­tende Aus­bil­dung in der Lehr­pra­xis: „Nur so kön­nen die jun­gen Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen einen Ein­druck davon bekom­men, wie die Tätig­keit eines Land­arz­tes tat­säch­lich aus­sieht, wie viel­fäl­tig sie ist und wie erfül­lend es sein kann, als Land­arzt Medi­zin zu betrei­ben.“

Gesetz gegen den Mangel

In Deutsch­land will man dem dro­hen­den Land­ärz­te­man­gel mit gesetz­li­chen Maß­nah­men gegen­steu­ern: Das am 1. Jän­ner 2012 in Kraft getre­tene Ver­sor­gungs­struk­tur­ge­setz soll Abhilfe schaf­fen. Die im Gesetz ent­hal­te­nen Neue­run­gen zie­len vor allem dar­auf ab, eine bes­sere Pati­en­ten-Ver­sor­gung zu gewähr­leis­ten. So sol­len etwa in unter­ver­sorg­ten Regio­nen neue Ver­sor­gungs­struk­tu­ren jen­seits der klas­si­schen Pra­xis­mo­delle orga­ni­siert wer­den. Dar­über hin­aus soll eine leis­tungs­ge­rechte Ver­gü­tung bewir­ken, dass sich die Bedin­gun­gen für Ärzte in struk­tur­schwa­chen Gebie­ten ver­bes­sern. Ebenso sol­len Maß­nah­men zur bes­se­ren Ver­ein­bar­keit von Beruf und Fami­lie getrof­fen werden.

„Arzt­pra­xen dort, wo Men­schen sie brauchen“

Und damit die Siche­rung der wohn­ort­na­hen, flä­chen­de­cken­den medi­zi­ni­schen Ver­sor­gung gege­ben ist, ist im Ver­sor­gungs­struk­tur­ge­setz auch die fle­xi­ble Aus­ge­stal­tung der Bedarfs­pla­nung vor­ge­se­hen. Oder wie es Bun­des­ge­sund­heits­mi­nis­ter Daniel Bahr for­mu­lierte: „Wir sor­gen dafür, dass Arzt­pra­xen dort zu fin­den sein wer­den, wo die Men­schen sie brauchen …“

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 13–14 /​15.07.2013