Kinder- und Jugendpsychiatrie: Zwischen Stillstand und Hoffnung

25.01.2013 | Politik

Zarte Ansätze gibt es ja schon, dass die fachärztliche Betreuung mit Kinder- und Jugendpsychiatern in Österreich nun doch endlich Realität wird. Aber davon, dass die Versorgung flächendeckend zufriedenstellend erfolgt, ist man noch weit entfernt. Von Ruth Mayrhofer

In Niederösterreich läuft die Sache prinzipiell vorzüglich: Immerhin können seit 1. April 2012 Leistungen von Fachärzten für Kinder- und Jugendpsychiatrie über die Gebietskrankenkasse abgerechnet werden. Vier Ordinationen im blau-gelben Bundesland – in St. Pölten, Wiener Neustadt, Purkersdorf und Mödling – betreuen derzeit Betroffene. Die fünfte, ausverhandelte Kassenstelle in Mistelbach harrt allerdings noch der Besetzung. „Leider ist es uns auf Grund des Fachärztemangels noch nicht gelungen, einen Kollegen oder eine Kollegin für diese Position zu finden“, bedauert Charlotte Hartl, Bundesfachgruppenobfrau für Kinder- und Jugendpsychiatrie in der ÖÄK. „Aber wir bleiben am Ball“, betont sie im Gespräch mit der ÖÄZ.

Probleme gibt es derzeit in Wien. Die Wiener Gebietskrankenkasse ziert sich, den Vertrag für zwei vorgesehene Kassenstellen zu errichten. Woran das liegt? Hartl: „Ich gehe von politischen Gründen aus. Am Geld kann es bei nur zwei Kassenstellen ja nicht liegen. Das wäre lächerlich.“ Also heißt es schlicht: Warten.

Auch in der Steiermark sind Fachärzte für Kinder- und Jugendpsychiatrie rar. So wären derzeit insgesamt 15 Kassenstellen notwendig; tatsächlich gibt es jedoch keine einzige! Dabei wäre dringender Versorgungsbedarf gegeben: Legt man entsprechende Zahlen aus Deutschland auf die Steiermark um, wären rund 9,6 Prozent der jungen Steirer behandlungsbedürftig. 23.000 junge Steirer erhalten aber kaum eine ärztliche Versorgung.

Positives ist hingegen aus Tirol zu vermelden: Für 2013 gelten zwei Kassenstellen im Fach Kinder- und Jugendpsychiatrie als gesichert. Allerdings sind bei der TILAK drei Stellen im Bereich Kinder- und Jugendpsychiatrie vakant. Und aus Kärnten kommen zumindest positive Signale; die Kärntner Gebietskrankenkasse hat ebenfalls für 2013 Verträge für zwei Kassenstellen für Fachärzte im Bereich Kinder- und Jugendpsychiatrie zumindest in Aussicht gestellt. Charlotte Hartl: „Das ist zwar noch nicht in Stein gemeißelt, aber es ist grundsätzlich ein Schritt in die richtige Richtung, der zu begrüßen ist.“

Insgesamt liegt – betrachtet man den Gesamt-Bedarf an niedergelassenen Vertrags-Fachärzten für Kinderund Jugendpsychiatrie – in Österreich die Situation nach wie vor im Argen. Denn wie aus einem 2009 veröffentlichten Bericht des Ludwig Boltzmann-Instituts für Health Technology Assessment (HTA) hervorgeht, wären für eine einwandfreie Versorgung hierzulande bis zu 30 Therapiezentren, 800 Betten beziehungsweise Tagesklinikplätze und rund 100 niedergelassene Fachärzte nötig. Wichtig dabei: Ausschließlich Kassenpraxen können im niedergelassenen Bereich Betroffenen, die weniger begütert sind, einen niederschwelligen Zugang zu einer zielführenden Therapie ermöglichen.

Interview: Kinder- und Jugendpsychiatrie als Gratis-Leistung?

Ein Paradebeispiel dafür, wie Ärzte nur aufgrund ihres Engagements Gratis-Leistungen für das System erbringen, sieht der Kurienobmann der niedergelassenen Ärzte in der ÖÄK, Johannes Steinhart, im Bereich Kinder- und Jugendpsychiatrie, wie er im Gespräch mit Agnes M. Mühlgassner erklärt.

ÖÄZ: Woran liegt es, dass in Wien die beiden geplanten Kassenstellen für Fachärzte für Kinder- und Jugendpsychiatrie noch immer nicht umgesetzt sind?
Steinhart: Das liegt daran, dass es noch immer keinen fertigen Leistungskatalog gibt und es liegt auch am Honorar. Die GKK will eine Deckelung, was mit dem Leistungsanfall und mit fairer Verrechnung nichts zu tun hat. Speziell in diesem Fach geht es ja um Zuwendung und nicht um irgendeine Technik, durch die irgendetwas billiger wird. Unsere grundsätzliche Position war, dass wir beispielsweise in Wien fünf bis sechs Stellen für Kinder- und Jugendpsychiatrie bekommen. Das ist aber auf Dauer gesehen sicher zu wenig. Wenn wir von einem Mangel von rund 100 Fachärzten im Bereich Kinder- und Jugendpsychiatrie in ganz Österreich ausgehen, so bedeutet das für Wien, dass hier rund 25 bis 30 Fachärzte fehlen.

Durch den Mangel an Fachärzten für Kinder- und Jugendpsychiatrie, der sich österreichweit abzeichnet, müssen zwangsläufig Allgemeinmediziner in der Versorgung einspringen. Welche Forderung knüpfen Sie daran? Oder sehen Sie eine andere Möglichkeit, dem schon jetzt akuten Versorgungsmangel unmittelbar entgegenzusteuern?
Wir haben mit der GKK vereinbart, dass sie bei der Konsultation eines Wahlarztes einen Kostenzuschuss leisten müsste, und das schon seit 1. Jänner 2012. Sie ist aber dazu nach wie vor nicht bereit. Es gibt also keine Abgeltung, wenn jemand in den privatärztlichen Bereich ausweicht. Und bei den Allgemeinmedizinern ist es ja so, dass es derzeit gar keine entsprechende Position gibt, die sie abrechnen könnten. In meinen Augen ist das ein Paradebeispiel dafür, wie Ärzte nur aufgrund ihres Engagements Gratis-Leistungen im System erbringen. Mittlerweile werden ja schon rund ein Viertel aller Leistungen von Allgemeinmedizinern gratis erbracht – wegen der Deckelung.

Österreichs Jugendliche nehmen in der EU nach wie vor eine unrühmliche Spitzenposition ein was Alkoholmissbrauch und Nikotinabhängigkeit anlangt. Was ist zu tun?
Da herrscht wieder einmal die typisch österreichische Vogel-Strauss-Politik: Um die wirklich aktuellen Probleme kümmert sich niemand, auch für die Aufklärung und Prävention gibt es kein Geld. Anstatt mehrere Millionen Euro für ELGA auszugeben, wäre Minister Stöger berufen, in diesem konkreten Bereich etwas weiter zu bringen – und nicht bei so fragwürdigen Dingen wie der sogenannten Gesundheitsreform.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 1-2 / 25.01.2013