Register für Hüftendoprothesen: Pilotphase als Dauerzustand?

25.04.2013 | Politik

Während man in Deutschland neidvoll nach Österreich blickte, als hier 2002 mit den Vorbereitungen für die flächendeckende Implementierung eines Hüftendoprothesenregisters begonnen wurde, läuft in Deutschland mittlerweile seit Herbst 2012 der Probebetrieb. Hierzulande heißt es: bitte warten. Von Barbara Wakolbinger

Bei der Implementierung eines Registers für Hüftendoprothesen habe man sich vor allem die Modelle in Deutschland und in der Schweiz sehr genau angesehen. Dort würden nicht nur Daten der Krankenanstalten, sondern auch so genannte Routinedaten verwendet, erklärte Silvia Türk, Leiterin der Abteilung Qualitätsmanagement und Gesundheitssystemforschung im Gesundheitsministerium.

Bereits 2002 wurde in Österreich mit dem Aufbau eines österreichischen Hüftendoprothesenregisters als gemeinsames Projekt der Fachgesellschaft für Orthopädie und orthopädische Chirurgie (ÖGO) sowie des Österreichischen Bundesinstituts für Gesundheitswesen (ÖBIG) begonnen – und es befindet sich laut Auskunft der GÖG (Gesundheit Österreich GmbH) noch immer in der Pilotphase. Derzeit nehmen 26 Abteilungen aus mehreren Bundesländern auf freiwilliger Basis teil. Was eine Abdeckungsrate von knapp 15 Prozent bedeutet, wie Univ. Prof. Reinhard Windhager von der Universitätsklinik für Orthopädie am AKH Wien erklärt. Und er fügt hinzu: „Das ist bei Weitem nicht befriedigend. Wir haben von Anfang an eine verpflichtende Teilnahme gefordert.“ Aber die Krankenhausträger „sträuben sich“ – vor allem aufgrund des Datenschutzes.

Betrieben und betreut wird das Register vom BIQG, einem Geschäftsbereich der Gesundheit Österreich GmbH. Die Daten werden in eine Internetmaske eingegeben oder in einem Krankenhaus-Informationssystem gesammelt und periodisch mittels Webservice an die Gesundheit Österreich GmbH übermittelt. Laut BIQG sind derzeit rund 21.700 Operationen (Beginn: 2008) im Register dokumentiert. Der auf Grundlage des Medizinproduktegesetzes sowie der Medizinproduktebetreiberverordnung erhobene Datensatz ist zweigeteilt: Einerseits Daten über den Zeitpunkt der Operation, die verwendeten Einzelteile sowie über den Zeitpunkt der Entlassung aus dem Krankenhaus; andererseits auch – falls eine solche notwendig ist – die Gründe für eine Revisionsoperation.

Verbesserungsbedarf gebe es vor allem bei der Vollständigkeit der eingegebenen Daten. Türk ortet hier eine „Gratwanderung“ zwischen der Erhebung der Daten und den Datenschutzrechten der Patienten. Auf europäischer Ebene werde die Registerfrage unter anderem aus diesem Grund derzeit sehr kontroversiell diskutiert, wie sie weiter ausführt. Und: Register seien sehr kostenintensive Projekte.

Auf die pseudonymisierten beziehungsweise anonymisierten Daten hat nur die Gesundheit Österreich GmbH Zugriff; auf Anfrage erhalten die teilnehmenden Abteilungen Zugang zu den abteilungsspezifischen Auswertungen. Vergleiche werden – wie von Seiten des ÖBIG mitgeteilt wurde – derzeit aufgrund der geringen Teilnehmerzahl nicht ausgewertet. Seit 2008 läuft die Pilotphase des Registers; Windhager hingegen spricht von der „Roll-Out-Phase“. Derzeit werden Effizienz und Qualitätssicherheit evaluiert; ein Expertengremium unter der Leitung von Windhager berät beim Prozess. „Es ist eine mühsame und frustrierende Situation“, so der Experte, der schon die ersten Pläne für das Register als Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Orthopädie (OGÖ) verfolgt hat. Ein Hüftendoprothesenregister hält er für eine der wichtigsten Maßnahmen zur Überprüfung der Qualität. „Von den politischen Entscheidungsträgern wird immer Qualitätskontrolle verlangt. In der Umsetzung eines Registers erfährt man aber nicht immer die notwendige Unterstützung“, meint Windhager.

Problem Datenschutz

„Wir würden die Daten des Orthopädischen Krankenhauses Gersthof gerne einspeisen“, sagt Univ. Prof. Peter Ritschl, ärztlicher Leiter des Orthopädischen Krankenhauses Gersthof in Wien. Allerdings habe der Wiener Krankenanstaltenverbund datenschutzrechtliche Bedenken geäußert. „Daher sind uns die Hände gebunden, auch wenn das eine tolle Sache wäre.“ Derzeit gebe es im OP ein so genanntes Registerbuch, in dem Datum der Operation, Operateur sowie sämtliche Barcode-Etiketten der verwendeten Teile vermerkt werden.

Anders an der Universitätsklinik Graz. Hier werden die Daten gleich nach der Operation gesammelt und alle Teile der Hüftendoprothese sowie der Produzent und die Charge eingegeben. Auch etwaige Re-Operationen und ihr Grund werden eingetragen. Die Daten werden direkt an ein steirisches Prothesenregister übertragen, von wo die Daten an den Bund weitergegeben werden. „Wir hinken noch ein bisschen hinterher. Allerdings nicht was die Eingabe, sondern was die Auswertung betrifft“, sagt Univ. Prof. Andreas Leithner von der Universitätsklinik für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie in Graz. In anderen Ländern sind Auswertungen zu konkreten Modellen oder Verfahren wie etwa der Zementierung bereits alltäglich. „Das wird in Österreich auch noch länger nicht möglich sein, da wir spät begonnen haben“, erklärt Leithner.

Dem Bundes-Fachgruppenobmann für Orthopädie und orthopädische Chirurgie in der ÖÄK, Rudolf Sigmund, fehlt vor allem eine Eintragungsverpflichtung: „Könnte man alle verpflichten, hätten wir das Register schon lange“, ist Sigmund überzeugt. Momentan gebe nicht jeder ein – auch weil der Mehraufwand nicht abgegolten werde. Der Fachgruppenobmann schlägt daher die Beschäftigung von Dokumentationsassistenten vor. „Eigentlich hätten wir das Projekt schon vor sechs oder sieben Jahren finalisieren können“, sagt Sigmund. Früher hätten die deutschen Kollegen sogar ein bisschen mit Neid auf die österreichischen Fortschritte geschaut – und seien mit der Umsetzung schließlich wesentlich früher fertig. „Wenn wir Medizin mit Qualität machen wollen, muss man auch darauf schauen, dass so etwas umgesetzt wird.“

Vorbild Deutschland

Seit 2010 arbeitet man auf Initiative der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie auch in Deutschland an einem umfassenden Endoprothesenregister für Hüft- und Kniegelenke. Der Probebetrieb des Deutschen Endoprothesenregisters (EPRD) lief Ende Oktober 2012 an; 37 Krankenhäuser wurden als Testbetriebe ausgewählt. Ab der zweiten Jahreshälfte 2013 soll der Teilnehmerkreis flächendeckend ausgeweitet werden. Derzeit sind bereits Daten zu rund 3.000 Operationen erfasst. Neben den Patientendaten werden auch Daten der gesetzlichen Qualitätssicherung sowie die Abrechnungsdaten der Krankenkassen, so genannte Routinedaten, gesammelt. Die Patientendaten im EPRD werden ausschließlich in verschlüsselter Form gespeichert, die Klarnamen der betroffenen Patienten werden nicht an die Registerstelle weitergegeben. Die zwischengeschaltete Vertrauensstelle stellt sicher, dass keine Rückschlüsse auf konkrete Personen möglich sind. Außerdem muss jeder Patient der Datensammlung zustimmen. Einmal im Jahr erhält jedes der teilnehmenden Krankenhäuser einen Bericht, der statistische Daten wie etwa die Entwicklung der Zahl der Operationen und Gründe für Wechseloperationen enthält. Bei Bedarf können Patienten mittels EPRD rasch und gezielt über ihr Implantat informiert werden. Erste Auswertungsergebnisse sind für 2015 zu erwarten, insbesondere für so genannte Frühkomplikationen. Die volle Leistungsfähigkeit wird das Register nach Schätzung der Betreiber nach einer Laufzeit von fünf bis sieben Jahren erreicht haben.

Hüftendoprothesen: Zahlen und Fakten

Von Osteoarthrose, der weltweit häufigsten Gelenkserkrankung, sind etwa zwei Drittel der Menschen über 60 Jahren betroffen. Die Tendenz für Hüftoperationen ist steigend, vor allem aufgrund der ständig steigenden Lebenserwartung. Laut Statistik Austria werden im Jahr 2050 rund 500.000 mehr über 60-Jährige in Österreich leben als heute. Schätzungen von Experten zufolge werden in Österreich jährlich rund 16.000 bis 20.000 Hüftendoprothesen eingesetzt.

Ziel bei Implantaten ist es, möglichst hohe Stabilität bei möglichst wenig Abrieb zu erhalten. Derzeit wird in Österreich vor allem die Gleitpaarung Keramik auf Keramik verwendet. Sie weist im Vergleich zu alten Keramik-Polyethylen-Modellen die besseren Abriebwerte auf, ist aber „aufgrund einer Monopolstellung des Produzenten auch am teuersten“, sagt Leithner. Dieses Modell komme vor allem bei jungen Patienten in Frage, berge jedoch vor allem bei sportlichen Patienten ein gewisses Restrisiko für eine Fraktur. In Deutschland und der Schweiz werde deswegen bereits häufig auf eine Mischform, bei der der Kopf aus Keramik und das Inlay aus einem hochvernetzten Polyethylen besteht, zurückgegriffen. Hier sei der Abrieb wesentlich besser als bei vergleichbaren älteren Produkten. „Man kann derzeit schwer sagen, welches der beiden Produkte tatsächlich besser ist“, so Leithner. Klar ist der Preisunterschied: Er liegt pro Implantat bei bis zu 300 Euro. Eine Revisionsoperation koste jedoch viel mehr, ergänzt Ritschl. „Es kommt immer auf die Indikation und den einzelnen Patienten an. Die Entscheidung muss beim Arzt liegen“, erklärt Ritschl.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 8 / 25.04.2013