Rationierung von Hüftendoprothesen: Reform-Vorgeschmack

10.04.2013 | Politik

„Exemplarisch“ für den aktuellen Trend, dass zunehmend nach ökonomischen und nicht ausschließlich nach medizinischen Kriterien darüber entschieden wird, welche Therapie ein kranker Mensch bekommt, so bezeichnet ÖÄK-Präsident Artur Wechselberger das Sparvorhaben der oberösterreichischen gespag (Gesundheits-und Spitals-AG) bei Hüftprothesen. Bekanntlich will sie die teuersten und langlebigsten Hüftprothesen (Keramik- Keramik-Paarungen) nur noch fünf Prozent der Patienten zur Verfügung stellen. Etwa 75 Prozent der Betroffenen sollen laut gespag-Protokoll künftig hochvernetzte Polyethylen-Inlays plus Keramik-Köpfen erhalten. Bei circa 20 Prozent der Patienten – jenen die 75 Jahre und älter sind – gebe es zwei Möglichkeiten für „kostengünstigere Versorgung“: hochvernetztes Polyethylen-Inlay plus Metallkopf und Standard Polyethylen-Inlay plus Keramikkopf. Rund 700.500 Euro sollen so bei künstlichen Gelenken eingespart werden, wie gespag-Vorstand Harald Geck bestätigte. Von einer Kontingentierung will man dennoch nicht sprechen; es handle sich lediglich um eine Zieldefinition, die eine interne Arbeitsgruppe ausgegeben habe. Wechselberger dazu: „Es muss vor einer Entwicklung gewarnt werden, bei der die Verwalter öffentlicher Gelder auf Kosten von Patienten den Sparstift bei der Versorgungsqualität ansetzen, und nicht mehr die Ärzte nach den Bedürfnissen der Kranken und dem aktuellen Stand der medizinischen Entwicklung entscheiden dürfen.“

Medizinische Indikation entscheidet

Gesundheitsminister Alois Stöger forderte in einer ersten Stellungnahme, dass „nach medizinisch-fachlichen, nicht nach ökonomischen Kriterien zu entscheiden ist, welches Arzneimittel oder Medizinprodukt“ eingesetzt wird. Alle Menschen müssten die optimale Behandlung bekommen, und zwar in der höchsten Qualität. Dieser Forderung stimmt Johannes Steinhart, Vize-Präsident der ÖÄK und Obmann der Bundeskurie Niedergelassene Ärzte, in einer ersten Reaktion zu – und gibt gleichzeitig zu bedenken, dass „die aktuellen Strategien von Gesundheitspolitik und Sozialversicherern genau in die gegenteilige Richtung“ gehen. Auch im niedergelassenen Bereich würden Krankenkassen „massiven Druck“ bei der Verschreibung von teuren Medikamenten ausüben und die ärztliche Entscheidungsfreiheit hinsichtlich einer optimalen Therapie einschränken. Man könne nicht früh genug vor weiteren Rationalisierungen und damit Leistungseinschränkungen warnen.

Am Beispiel Oberösterreich sieht der Präsident der Ärztekammer Wien, Univ. Prof. Thomas Szekeres, die Bedenken der Ärztekammer bestätigt: „Es wird dort nicht reformiert, sondern gespart, ohne Rücksicht auf soziale, gesundheits- und medizinbezogene Fakten und Argumente.“ Der Präsident der Ärztekammer Niederösterreich, Christoph Reisner, befürchtet ebenfalls, dass es durch die Gesundheitsreform „massive Einschnitte“ in die medizinische Versorgung geben wird.

Dass der Anteil an langlebigen Keramik-Prothesen nur noch fünf Prozent betragen soll, halten sowohl Univ. Prof. Alexander Giurea, Generalsekretär der Österreichischen Gesellschaft für Orthopädie und orthopädische Chirurgie, als auch Univ. Prof. Martin Dominkus, Vorstand der 2. Orthopädischen Abteilung am Orthopädischen Spital Speising in Wien, für zu niedrig. Weitaus realistischer sei ein Bedarf von 20 bis 25 Prozent.

Detail am Rande: Erst im Vorjahr hatte die gespag einen umstrittenen zusätzlichen Vorstandsposten etabliert. Jährliche Kosten: rund 180.000 Euro.
MH

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 7 / 10.04.2013