Gesund­heits­öko­nom: Beruf ohne Ausbildung?

10.10.2013 | Politik

In Öster­reich kann sich jeder, der das möchte, als Gesund­heits­öko­nom bezeich­nen. Es han­delt sich dabei um keine geschützte Berufs­be­zeich­nung und eine stan­dar­di­sierte Aus­bil­dung oder einen Stu­di­en­gang dafür gibt es nicht, obwohl Bedarf an qua­li­fi­zier­ten Exper­ten besteht.
Von Bar­bara Wakolbinger

Spricht in den Medien jemand über das öster­rei­chi­sche Gesund­heits­sys­tem und die Finan­zen, ist das Insert mit der Bezeich­nung Gesund­heits­öko­nom meist nicht weit. Denn der Gesund­heits­öko­nom ist in Öster­reich keine geschützte Berufs­be­zeich­nung, es gibt kei­nen Berufs- oder Berech­ti­gungs­vor­be­halt. „Bei uns kann sich jeder, wie es ihm passt, als Gesund­heits­öko­nom bezeich­nen und oft pas­siert das auch. Dem­entspre­chend sieht dann auch manch­mal die Qua­li­tät der Aus­sa­gen aus“, kri­ti­siert Wil­helm Frank vom ARWIG (Arbeits­kreis für wis­sen­schafts­ba­sierte Gesund­heits­ver­sor­gung), einer Exper­ten­ge­mein­schaft für wis­sen­schaft­li­che Ana­ly­sen und Pla­nun­gen im Gesund­heits­be­reich. Frank arbei­tet seit rund 20 Jah­ren als Wirt­schafts­wis­sen­schaf­ter im Gesund­heits­be­reich für Minis­te­rien, Unter­neh­men und wis­sen­schaft­li­che Insti­tute. Die Gesund­heits­öko­no­mie-Bran­che in Öster­reich beschreibt er als bunt: Oft wür­den die Exper­ten aus den unter­schied­lichs­ten Fach­ge­bie­ten stam­men. Als Grund­vor­aus­set­zung für den Beruf des Gesund­heits­öko­no­men braucht es aber laut Frank zumin­dest ein wirt­schaft­li­ches Stu­dium. „Öko­no­mie ist eine kom­plexe Auf­ga­ben­stel­lung, die Gesund­heit eben­falls und zusam­men kann man kei­nes­falls von einer bana­len Ange­le­gen­heit spre­chen“, ist der Wirt­schafts­wis­sen­schaf­ter über­zeugt. Eine stan­dar­di­sierte Aus­bil­dung oder einen Stu­di­en­gang gibt es zu die­sem kom­ple­xen Fach­ge­biet in Öster­reich aller­dings nicht. Ver­ein­zelt set­zen wis­sen­schaft­li­che Mit­ar­bei­ter an wirt­schafts- und sozi­al­wis­sen­schaft­li­chen Insti­tu­ten Schwer­punkte; man­che Kurse ver­spre­chen den Weg zum Gesund­heits­öko­nom sogar in drei Tagen. Frank selbst hat vor 30 Jah­ren Sozial- und Wirt­schafts­wis­sen­schaf­ten mit Schwer­punkt Metho­dik stu­diert. Nach ers­ten gesund­heits­öko­no­mi­schen Pro­jek­ten folg­ten 25 Jahre „trai­ning on the job“, wie er erzählt.

Feh­lende Definition

Die Defi­ni­tion des­sen, was Gesund­heits­öko­no­mie ist – sowohl im Sprach­ge­brauch als auch in wis­sen­schaft­li­cher Hin­sicht – ist nicht immer ganz ein­fach, erklärt Ao. Univ. Prof. August Österle vom Insti­tut für Sozi­al­po­li­tik der Wirt­schafts­uni­ver­si­tät Wien und Lei­ter des For­schungs­in­sti­tuts für Gesund­heits­öko­no­mie. Oft mischen sich in den Fach­be­reich der Gesund­heits­öko­no­mie auch Fra­gen des Gesund­heits­ma­nage­ments und der Betriebs­wirt­schaft wie etwa die Füh­rung eines Kran­ken­hau­ses. „Die Öko­no­mie setzt sich aller­dings klas­si­scher­weise eher mit den volks­wirt­schaft­li­chen Dimen­sio­nen des Gesund­heits­sys­tems aus­ein­an­der“, so Österle, des­sen For­schungs­schwer­punkt schon seit Jah­ren genau in die­sem Fach­ge­biet liegt. „Man­gels bis­he­ri­ger Aus­bil­dungs­mög­lich­kei­ten ist das Feld noch nicht aus­rei­chend defi­niert“, glaubt auch Univ. Prof. Gott­fried Haber, Lei­ter des Zen­trums für Manage­ment im Gesund­heits­we­sen an der Donau-Uni­ver­si­tät Krems. Haber selbst kam über die Volks­wirt­schafts­lehre – er unter­suchte regio­nal­öko­no­mi­sche Effekte von Gesund­heits­ein­rich­tun­gen – zur Gesund­heits­öko­no­mie. Heute geht es für ihn in der Gesund­heits­öko­no­mie vor allem um The­men, „die nicht nur für ein­zelne Ein­hei­ten des Gesund­heits­sys­tems rele­vant sind, son­dern auch volks­wirt­schaft­li­che und poli­ti­sche Dimen­sio­nen haben“.

Eine insti­tu­tio­nelle Ver­an­ke­rung der Gesund­heits­öko­no­mie gibt es im wis­sen­schaft­li­chen Betrieb in Öster­reich kaum. Inter­es­sierte Stu­den­ten müs­sen sich ihre Kurse selbst zusam­men­su­chen und ihre Abschluss­ar­bei­ten auf gesund­heits­öko­no­mi­sche The­men­stel­lun­gen aus­rich­ten, denn einen auf Gesund­heits­öko­no­mie abge­stimm­ten Bache­lor oder Mas­ter gibt es der­zeit noch nicht. „Da braucht es schon viel Eigen­in­itia­tive“, meint Österle, den es selbst über ein Stu­dium der Inter­na­tio­na­len Betriebs­wirt­schaft, ein Dok­to­rat der Volks­wirt­schafts­lehre und einen Sozi­al­po­li­tik- Schwer­punkt in den Bereich der Gesund­heits­öko­no­mie ver­schla­gen hat.

Ganz anders sieht das hin­ge­gen im inter­na­tio­na­len Ver­gleich aus: In Groß­bri­tan­nien und auch den Nie­der­lan­den gibt es eine ansehn­li­che Tra­di­tion von gesund­heits­öko­no­mi­schen Zen­tren; diese bie­ten auch sys­te­ma­ti­sche Aus­bil­dun­gen an. In Öster­reich fehlt diese Tra­di­tion und damit auch die Aus- und Wei­ter­bil­dungs­mög­lich­kei­ten. Ver­su­che, die Gesund­heits­öko­no­mie brei­ter zu eta­blie­ren, seien bis jetzt eher ergeb­nis­los ver­lau­fen, berich­tet Österle. „Bei der Aus­ein­an­der­set­zung mit gesund­heits­po­li­ti­schen Fra­gen wird man zukünf­tig auch den makro­öko­no­mi­schen Bereich stär­ker vor Augen haben müs­sen. Der Bedarf wird also wach­sen“, glaubt der Lei­ter des For­schungs­be­reichs Gesund­heits­öko­no­mie an der Wirt­schafts­uni­ver­si­tät Wien. Ein­ge­setzt wer­den könn­ten die neuen Exper­ten über­all dort, wo Gesund­heits­po­li­tik gemacht wird: bei Sozi­al­ver­si­che­rungs­trä­gern, in Minis­te­rien und öffent­li­cher Ver­wal­tung und Zusam­men­schlüs­sen von Kran­ken­an­stal­ten, aber auch in pri­va­ten Unternehmen.

Stu­di­en­gang Health Economics

Seit kur­zem gibt es an der Donau-Uni­ver­si­tät Krems eine Spe­zia­li­sie­rung in Gesund­heits­öko­no­mie, 2014 soll ein spe­zi­el­ler Stu­di­en­gang „Health Eco­no­mics“ star­ten, berich­tet Haber. Bereits jetzt wird über eine gesamte Aus­bil­dungs­schiene vom Bache­lor bis zum Dok­to­rat der Gesund­heits­öko­no­mie nach­ge­dacht. „Das ist eine Markt­lü­cke – nicht nur in Öster­reich, son­dern auch in Deutsch­land“, erklärt er. Bis jetzt sei die Arbeit in den Dis­zi­pli­nen Medi­zin, Betriebs­wirt­schafts­lehre und Volks­wirt­schafts­lehre sehr getrennt ver­lau­fen. Schnitt­stel­len gibt es kaum, die gegen­sei­tige Skep­sis war groß. „Heut­zu­tage braucht es den Blick auf das große Ganze, den Sys­tem­kon­text, aber auch Ideen zur kon­kre­ten Umset­zung im Detail und den Nut­zen, den ich dar­aus ziehe“, umreißt Haber die Auf­ga­ben eines moder­nen Gesund­heits­öko­no­men, der in den immer mehr inte­grier­ten Sys­te­men des öster­rei­chi­schen Gesund­heits­we­sens arbei­ten möchte. Da es der­zeit noch keine stan­dar­di­sierte Aus­bil­dung gibt, setzt die Szene stark auf Selbst­re­gu­la­tion, meint Frank. Pro­mi­nente Schein-Exper­ten gibt es laut dem Wirt­schafts­wis­sen­schaf­ter zwar genug, diese wür­den aber von Exper­ten­krei­sen weit­ge­hend igno­riert. „Die Szene hat sich inzwi­schen klar posi­tio­niert. Von unqua­li­fi­zier­ten Gesund­heits­öko­no­men wen­det man sich schnell ab.“ Aber auch die Medien wür­den zu schnell zum Label Gesund­heits­öko­nom grei­fen, kri­ti­siert Frank.

Und wäh­rend in Fach­krei­sen ent­schie­den wer­den könne, ob die Aus­sa­gen Sinn machen, sei die Öffent­lich­keit zu einer sol­chen Ent­schei­dung kaum fähig. „Es basie­ren der­zeit unglaub­lich viele Aus­sa­gen auf Tri­vi­al­rech­nun­gen. Das irri­tiert das Gesund­heits­sys­tem enorm“, resü­miert Frank.

Gewoll­tes Missverständnis?

Wäh­rend die weni­gen ech­ten Exper­ten noch um die inhalt­li­che Posi­tio­nie­rung der Gesund­heits­öko­no­mie rin­gen, ist sie im poli­ti­schen All­tag schon längst zur Hand­lungs­ma­xime gewor­den. Sie dient ebenso als Recht­fer­ti­gung für die so genannte Gesund­heits­re­form wie als Vor­wand für die zuneh­mende Bevor­ran­gung der Öko­no­mie in Kran­ken­häu­sern und ande­ren Gesundheitseinrichtungen.

Die Ver­mi­schung und unpro­fes­sio­nelle Ver­wechs­lung ver­schie­de­ner betriebs­wirt­schaft­li­cher und volks­wirt­schaft­li­cher Aspekte haben poli­ti­sches Sys­tem. Die Öko­no­mie beherrscht die Bran­che: Die Kran­ken­kas­sen jubeln über Gewinne, die Spi­tä­ler rit­tern um die Opti­mie­rung der Erträge und beide über­bie­ten sich in ihren Bemü­hun­gen um Ein­spa­run­gen. Die Umle­gung betriebs­wirt­schaft­li­cher Aspekte auf die Füh­rung von Spi­tä­lern – die Maxi­mie­rung der Erträge und Mini­mie­rung der Kos­ten – bedeu­tet nichts ande­res als Ver­knap­pung von Per­so­nal und Aus­stat­tung bei gleich­zei­ti­ger Aus­wei­tung des Leis­tungs­an­ge­bo­tes. Die Ergeb­nisse lie­gen auf der Hand: sys­te­ma­ti­sche Über­be­an­spru­chung von Ärz­ten und Pfe­ge­per­so­nal, zusätz­li­che Betreu­ungs­auf­ga­ben für Ambu­lan­zen und „neue inno­va­tive Ver­sor­gungs­ein­hei­ten“ in der Orga­ni­sa­ti­ons­ho­heit der Spi­tä­ler, Gefähr­dung der Behand­lungs­qua­li­tät und der Pati­en­ten­si­cher­heit. Das Gewinn­stre­ben der Sozi­al­ver­si­che­run­gen wie­derum schlägt sich in Ver­trags­re­strik­tio­nen sowie über­di­men­sio­nier­ter Büro­kra­tie und Kon­trolle nie­der. Die­ses Gebräu an falsch ver­stan­de­ner Öko­no­mi­sie­rung führt zu Ent­mo­ti­vie­rung, Resi­gna­tion, zu einer Ver­trau­ens­krise zwi­schen Ärz­ten, Sozi­al­ver­si­che­run­gen und Kran­ken­an­stal­ten. Und schließ­lich zum sich bereits jetzt abzeich­nen­den Ärztemangel.

Die­ser Trend steht der finanz­wis­sen­schaft­lich volks­wirt­schaft­li­chen Logik dia­me­tral ent­ge­gen: Geht es doch hier um die „opti­male Allo­ka­tion der Res­sour­cen“ – also um die Bereit­stel­lung von Gesund­heits­leis­tun­gen dort, wo sie bei defi­nier­ter Qua­li­tät zu ver­gleichs­weise güns­tigs­ten Kos­ten erbracht wer­den kön­nen. Die kon­se­quente Ent­las­tung der Spi­tä­ler und die Über­nahme ihrer Auf­ga­ben durch den nie­der­ge­las­se­nen Bereich könnte dem Sys­tem nach über­ein­stim­men­der Berech­nung der Volks­wirte Agnes Streiss­ler und Gott­fried Haber Hun­derte Mil­lio­nen Euro jähr­lich spa­ren. Doch die Umset­zung lässt wei­ter auf sich war­ten. Bleibt zuletzt die Frage, ob sie über­haupt im Macht­in­ter­esse der betei­lig­ten „Stake­hol­der“ aus Bund, Län­dern und Sozi­al­ver­si­che­run­gen liegt.
(Mar­tin Stickler)

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 19 /​10.10.2013