Die afrikanische Steppe als perfekter Ort für ein Rehabilitationsprogramm: Bei „Daktari“ sollen komplette Isolation und der Umgang mit Tieren ehemals Drogenabhängigen dabei helfen, abstinent zu bleiben.
Von Barbara Wakolbinger
Bezirk Otjiwarongo, Namibia: Eine kleine Ansammlung von Häusern unterbricht die Weite der afrikanischen Steppe. Sandboden, nur spärlich mit Vegetation bewachsen, Ziegen leben hier ebenso wie Geparde und Pferde. Das nächste Dorf liegt 50 Kilometer entfernt, die nächste Stadt noch wesentlich weiter: Im Rehabilitationszentrum „Daktari“ werden Suchtkranke aus Österreich, Deutschland und der Schweiz betreut. Ein Jahr lang geben sie freiwillig ihren Alltag in Europa auf, um in Afrika ein dauerhaft abstinentes Leben zu führen.
Die Abgeschiedenheit und die große Entfernung von zu Hause sollen helfen, die Sucht unter Kontrolle zu bringen. Diese Idee hatte „Daktari“-Gründer Immo Rüegg 1997, als er unter dem Eindruck der Drogenerkrankung seines Sohnes das Projekt startete. Ziel der tiergestützten Therapie ist es, Suchtkranke mit möglichst wenig Reizen zu konfrontieren und ihnen die Möglichkeit zu geben, sich selbst, ihr Umfeld und den Umgang mit Drogen zu reflektieren. Ausflüge und die Mitarbeit bei sozialen Projekten in Afrika bieten Abwechslung im Alltag und die Erfahrung, für andere Menschen da zu sein – so umreißt die Leiterin des „Abstandsprojektes“, Ruth Rüegg, das Konzept von „Daktari“.
Niedrige Abbruchquote
Ein ganz besonderer Vorteil des Programms sei die niedrige Abbruchquote, meint Rüegg. Denn zumindest spontane Impulse, die Therapie abzubrechen, können in Gesprächen und in Krisenbewältigungs-Sitzungen aufgefangen werden. „Wir sind vielleicht nicht besser als andere Rehabilitationsprogramme. Aber wir können rein durch die Geographie ein Jahr Abstinenz weitgehend gewährleisten.“ Damit sei auch die Chance auf bleibende Abstinenz höher.
„Unsere Therapie lebt und stirbt mit der Nachsorge“, sagt Rüegg. Bereits während der Zeit auf der „Daktari“-Farm wird über die Rückkehr in das normale Leben gesprochen und die individuelle Nachbetreuung vereinbart. In Gesprächen gehe es um das ganz persönliche Gefahrenpotential für einen Rückfall, der tägliche Drogen-freie Alltag wird geübt. Ziel ist es auch, ein möglichst breites Kontaktnetzwerk aufzubauen, um einen möglichen Absturz sofort abzufangen. Besonders wichtig sei, dass die Nachsorge direkt nach der Rückkehr aus Namibia beginnt; in Österreich fehle es jedoch noch an Kontakten zu Institutionen und Ärzten. Nach eigenen Angaben sind 60 Prozent der ehemaligen Teilnehmer des „Daktari“-Programms abstinent und stabil. Das erklärt sich Leiterin Rüegg auch mit der niedrigen Abbruchquote.
Univ. Prof. Wolfgang Fleischhacker, Direktor des Departments für Psychiatrie und Psychotherapie an der Medizinischen Universität Innsbruck, kann in Programmen wie „Daktari“ grundsätzlich Vorteile erkennen: Denn einerseits würden Patienten, die sich auf eine derartige Reise einließen, eine hohe Motivation, wirklich abstinent zu bleiben, an den Tag legen. „Der zweite Vorteil ist, dass auf diese Art und Weise Menschen aus dem pathogenen Milieu, in dem sie sich vielfach befinden, herauskommen. Dieses Milieu wirkt oft verstärkend im Sinne der Wiederaufnahme eines Drogen- oder Alkoholkonsums, weil die ganze Umgebung so sozialisiert ist und es teils auch wenig andere Perspektiven gibt“, so Fleischhacker.
Wichtigste Voraussetzung für einen Aufenthalt bei „Daktari“ ist, dass der körperliche Entzug beendet ist sowie die vorhandene Motivation, die Therapie zu machen, erklärt Rüegg. Ein Motivationsschreiben und persönlicher Kontakt im Voraus sollen beweisen, dass die Therapie nicht etwa nur auf Druck der Eltern begonnen wird. Motivation brauchen die Teilnehmer auf jeden Fall, denn der Alltag ist streng strukturiert: Auf „Daktari“ ist man Selbstversorger; das heißt neben Holz sammeln und Kochen stehen Einzel- und Gruppengespräche, das Versorgen der Tiere und kreative Phasen auf dem Programm. Die Pferde und andere Tiere bieten die Möglichkeit zu Körpertherapie, am Wochenende gibt es auch Ausflüge in das Umland. „Wichtig ist auch, dass jeder Teilnehmer Zeit mit sich selbst verbringt, etwa bei den kreativen Aufgaben“, erzählt Rüegg.
Ein Jahr Isolation
Zwölf Monate dauert das Programm, eine Verlängerung ist nur in Ausnahmefällen möglich, denn die Rückkehr in den Alltag soll nicht aufgeschoben werden, unterstreicht Lukas Nicinski, der als Arbeitstherapeut auf „Daktari“ ist. Diese Struktur beurteilt auch Fleischhacker positiv, denn oft würde Suchtkranken jegliche Fähigkeit zur Strukturierung ihres Lebens verloren gehen. „Im Rahmen eines solchen Programmes können neue Aufgaben übernommen werden, die auch Sinn vermitteln und neue Lebensqualität hervorrufen. Damit wird es möglich, dass Patienten eine neue Dimension in ihrer zukünftigen Lebensgestaltung sehen“, so Fleischhacker.
Problematisch könnten seiner Aussage nach Rehabilitationsprogramme jedoch immer dann werden, wenn sich bei nicht ausreichender Führung und Kontrolle innerhalb der Programmstrukturen repressive Subkulturen entwickeln, in denen stärkere Teilnehmer Schwächere dominieren. „Bestimmte Persönlichkeitsstrukturen finden sich in solchen Programmen nicht gut zurecht. Ihnen darf man dann den Abbruch auf keinen Fall in repressiver Art verweigern.“
Betreuung in der Kleingruppe
Zwölf Teilnehmer mit einem Durchschnittsalter von 25 Jahren betreut das Team um Rüegg und Nicinski gleichzeitig. In den kommenden Jahren soll das Programm auf 14 Plätze erweitert werden. „Das ist eine gute Anzahl, um den Überblick zu behalten und die Gruppe zu organisieren“, erklärt Rüegg. Denn natürlich gebe es ab und zu Reibungsflächen zwischen Betreuern und Teilnehmern, so Nicinski. Dann wird diskutiert, darüber gesprochen und immer wieder die Frage gestellt: Was ist wirklich wichtig? Immer stehe jedoch der Teilnehmer im Mittelpunkt. Auch Fluchtversuche kommen vor. Die Teilnehmer seien jedoch meist spätestens bei Einbruch der Dunkelheit zurück auf der Farm. „Nach drei bis vier Wochen möchte fast jeder Teilnehmer abbrechen, wenn der Suchtdruck zu groß wird“, berichten Rüegg und Nicinski unisono. Die psychologisch betreute Überwindung dieser Krise kann jedoch gleichzeitig auch hilfreich sein: In den 16 Jahren seit Bestehen der Institution haben über 90 Prozent aller Teilnehmer die Therapie planmäßig abgeschlossen.
Entfernung und Eigenreflexion
Yvonne Riemer, Leiterin der Ambulanz für Abhängigkeitserkrankungen (Drogenambulanz) an der Medizinischen Universität Innsbruck hat bereits Patienten an „Daktari“ vermittelt. „Die große Entfernung von jeglicher Drogenszene, der intensive Kontakt mit den Tieren, für die die Patienten auch Verantwortung übernehmen müssen und das eher luxusfreie Leben, das zwangsweise zu mehr Eigenreflexion führt, hat sich äußerst positiv auf den Therapieerfolg ausgewirkt“, weiß Riemer.
Billig ist der Aufenthalt in der namibischen Wüste fernab von pathogenem Umfeld und Suchtdruck jedoch nicht: 150 Euro pro Tag verrechnen Rüegg und ihr Team. Das sei zwar wesentlich günstiger als vergleichbare Programme in Europa, allerdings trägt die Krankenkasse diese Kosten nicht. Die Teilnehmer müssen selbst für Flug und Tagessatz aufkommen. In Deutschland wird der Aufenthalt zumindest für Jugendliche finanziert, in der Schweiz übernehmen häufig Gemeinden die Kosten für das Programm. Die österreichischen Krankenkassen stünden Rehabilitationen im Ausland dagegen eher skeptisch gegenüber, so Rüegg.
24 Stunden am Tag und sieben Tage in der Woche Kontakt zwischen Betreuern und Teilnehmern – das kann auch zur Belastung werden. Deshalb nehmen alle „Daktari“- Teammitglieder regelmäßige Supervision in Anspruch. Auch freie Tage müssen eingehalten und am besten außerhalb der Farm verbracht werden. Dennoch erklärt Rüegg: „Ich mache das seit 17 Jahren und inzwischen ist es kein Job mehr, sondern eine Lebensform.“
Interview – „Ich wollte nur weg” Sebastian Wegerer* war 16, als er begann, Drogen zu konsumieren: Heroin, Substitol und Benzodiazepine. Nach mehreren erfolglosen Therapien in Österreich entschied sich der heute 24-Jährige vor zwei Jahren für einen Aufenthalt auf „Daktari“, einer abgelegenen Farm in Namibia. Wie es ihm dabei gegangen ist und wie ‚Realitätstraining’ aussieht, hat er Barbara Wakolbinger erzählt. Wie sind Sie und die Betreuer mit diesem Abbruch-Impuls umgegangen? Wo liegen die großen Schwierigkeiten des Entzugs? Der Alltag ist streng strukturiert, man lebt auf engstem Raum zusammen. Kommt es da manchmal zu Problemen? Was waren die größten Herausforderungen, wie Sie wieder in die Nähe einer städtischen Infrastruktur zurückgekommen sind? Wird man in Afrika auf diese Situation vorbereitet?
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© Österreichische Ärztezeitung Nr. 4 /25.02.2013