Alternativer Drogenentzug „Daktari“: Abstinent in Namibia

25.02.2013 | Politik

Die afrikanische Steppe als perfekter Ort für ein Rehabilitationsprogramm: Bei „Daktari“ sollen komplette Isolation und der Umgang mit Tieren ehemals Drogenabhängigen dabei helfen, abstinent zu bleiben.
Von Barbara Wakolbinger

Bezirk Otjiwarongo, Namibia: Eine kleine Ansammlung von Häusern unterbricht die Weite der afrikanischen Steppe. Sandboden, nur spärlich mit Vegetation bewachsen, Ziegen leben hier ebenso wie Geparde und Pferde. Das nächste Dorf liegt 50 Kilometer entfernt, die nächste Stadt noch wesentlich weiter: Im Rehabilitationszentrum „Daktari“ werden Suchtkranke aus Österreich, Deutschland und der Schweiz betreut. Ein Jahr lang geben sie freiwillig ihren Alltag in Europa auf, um in Afrika ein dauerhaft abstinentes Leben zu führen.

Die Abgeschiedenheit und die große Entfernung von zu Hause sollen helfen, die Sucht unter Kontrolle zu bringen. Diese Idee hatte „Daktari“-Gründer Immo Rüegg 1997, als er unter dem Eindruck der Drogenerkrankung seines Sohnes das Projekt startete. Ziel der tiergestützten Therapie ist es, Suchtkranke mit möglichst wenig Reizen zu konfrontieren und ihnen die Möglichkeit zu geben, sich selbst, ihr Umfeld und den Umgang mit Drogen zu reflektieren. Ausflüge und die Mitarbeit bei sozialen Projekten in Afrika bieten Abwechslung im Alltag und die Erfahrung, für andere Menschen da zu sein – so umreißt die Leiterin des „Abstandsprojektes“, Ruth Rüegg, das Konzept von „Daktari“.

Niedrige Abbruchquote

Ein ganz besonderer Vorteil des Programms sei die niedrige Abbruchquote, meint Rüegg. Denn zumindest spontane Impulse, die Therapie abzubrechen, können in Gesprächen und in Krisenbewältigungs-Sitzungen aufgefangen werden. „Wir sind vielleicht nicht besser als andere Rehabilitationsprogramme. Aber wir können rein durch die Geographie ein Jahr Abstinenz weitgehend gewährleisten.“ Damit sei auch die Chance auf bleibende Abstinenz höher.

„Unsere Therapie lebt und stirbt mit der Nachsorge“, sagt Rüegg. Bereits während der Zeit auf der „Daktari“-Farm wird über die Rückkehr in das normale Leben gesprochen und die individuelle Nachbetreuung vereinbart. In Gesprächen gehe es um das ganz persönliche Gefahrenpotential für einen Rückfall, der tägliche Drogen-freie Alltag wird geübt. Ziel ist es auch, ein möglichst breites Kontaktnetzwerk aufzubauen, um einen möglichen Absturz sofort abzufangen. Besonders wichtig sei, dass die Nachsorge direkt nach der Rückkehr aus Namibia beginnt; in Österreich fehle es jedoch noch an Kontakten zu Institutionen und Ärzten. Nach eigenen Angaben sind 60 Prozent der ehemaligen Teilnehmer des „Daktari“-Programms abstinent und stabil. Das erklärt sich Leiterin Rüegg auch mit der niedrigen Abbruchquote.

Univ. Prof. Wolfgang Fleischhacker, Direktor des Departments für Psychiatrie und Psychotherapie an der Medizinischen Universität Innsbruck, kann in Programmen wie „Daktari“ grundsätzlich Vorteile erkennen: Denn einerseits würden Patienten, die sich auf eine derartige Reise einließen, eine hohe Motivation, wirklich abstinent zu bleiben, an den Tag legen. „Der zweite Vorteil ist, dass auf diese Art und Weise Menschen aus dem pathogenen Milieu, in dem sie sich vielfach befinden, herauskommen. Dieses Milieu wirkt oft verstärkend im Sinne der Wiederaufnahme eines Drogen- oder Alkoholkonsums, weil die ganze Umgebung so sozialisiert ist und es teils auch wenig andere Perspektiven gibt“, so Fleischhacker.

Wichtigste Voraussetzung für einen Aufenthalt bei „Daktari“ ist, dass der körperliche Entzug beendet ist sowie die vorhandene Motivation, die Therapie zu machen, erklärt Rüegg. Ein Motivationsschreiben und persönlicher Kontakt im Voraus sollen beweisen, dass die Therapie nicht etwa nur auf Druck der Eltern begonnen wird. Motivation brauchen die Teilnehmer auf jeden Fall, denn der Alltag ist streng strukturiert: Auf „Daktari“ ist man Selbstversorger; das heißt neben Holz sammeln und Kochen stehen Einzel- und Gruppengespräche, das Versorgen der Tiere und kreative Phasen auf dem Programm. Die Pferde und andere Tiere bieten die Möglichkeit zu Körpertherapie, am Wochenende gibt es auch Ausflüge in das Umland. „Wichtig ist auch, dass jeder Teilnehmer Zeit mit sich selbst verbringt, etwa bei den kreativen Aufgaben“, erzählt Rüegg.

Ein Jahr Isolation

Zwölf Monate dauert das Programm, eine Verlängerung ist nur in Ausnahmefällen möglich, denn die Rückkehr in den Alltag soll nicht aufgeschoben werden, unterstreicht Lukas Nicinski, der als Arbeitstherapeut auf „Daktari“ ist. Diese Struktur beurteilt auch Fleischhacker positiv, denn oft würde Suchtkranken jegliche Fähigkeit zur Strukturierung ihres Lebens verloren gehen. „Im Rahmen eines solchen Programmes können neue Aufgaben übernommen werden, die auch Sinn vermitteln und neue Lebensqualität hervorrufen. Damit wird es möglich, dass Patienten eine neue Dimension in ihrer zukünftigen Lebensgestaltung sehen“, so Fleischhacker.

Problematisch könnten seiner Aussage nach Rehabilitationsprogramme jedoch immer dann werden, wenn sich bei nicht ausreichender Führung und Kontrolle innerhalb der Programmstrukturen repressive Subkulturen entwickeln, in denen stärkere Teilnehmer Schwächere dominieren. „Bestimmte Persönlichkeitsstrukturen finden sich in solchen Programmen nicht gut zurecht. Ihnen darf man dann den Abbruch auf keinen Fall in repressiver Art verweigern.“

Betreuung in der Kleingruppe

Zwölf Teilnehmer mit einem Durchschnittsalter von 25 Jahren betreut das Team um Rüegg und Nicinski gleichzeitig. In den kommenden Jahren soll das Programm auf 14 Plätze erweitert werden. „Das ist eine gute Anzahl, um den Überblick zu behalten und die Gruppe zu organisieren“, erklärt Rüegg. Denn natürlich gebe es ab und zu Reibungsflächen zwischen Betreuern und Teilnehmern, so Nicinski. Dann wird diskutiert, darüber gesprochen und immer wieder die Frage gestellt: Was ist wirklich wichtig? Immer stehe jedoch der Teilnehmer im Mittelpunkt. Auch Fluchtversuche kommen vor. Die Teilnehmer seien jedoch meist spätestens bei Einbruch der Dunkelheit zurück auf der Farm. „Nach drei bis vier Wochen möchte fast jeder Teilnehmer abbrechen, wenn der Suchtdruck zu groß wird“, berichten Rüegg und Nicinski unisono. Die psychologisch betreute Überwindung dieser Krise kann jedoch gleichzeitig auch hilfreich sein: In den 16 Jahren seit Bestehen der Institution haben über 90 Prozent aller Teilnehmer die Therapie planmäßig abgeschlossen.

Entfernung und Eigenreflexion

Yvonne Riemer, Leiterin der Ambulanz für Abhängigkeitserkrankungen (Drogenambulanz) an der Medizinischen Universität Innsbruck hat bereits Patienten an „Daktari“ vermittelt. „Die große Entfernung von jeglicher Drogenszene, der intensive Kontakt mit den Tieren, für die die Patienten auch Verantwortung übernehmen müssen und das eher luxusfreie Leben, das zwangsweise zu mehr Eigenreflexion führt, hat sich äußerst positiv auf den Therapieerfolg ausgewirkt“, weiß Riemer.

Billig ist der Aufenthalt in der namibischen Wüste fernab von pathogenem Umfeld und Suchtdruck jedoch nicht: 150 Euro pro Tag verrechnen Rüegg und ihr Team. Das sei zwar wesentlich günstiger als vergleichbare Programme in Europa, allerdings trägt die Krankenkasse diese Kosten nicht. Die Teilnehmer müssen selbst für Flug und Tagessatz aufkommen. In Deutschland wird der Aufenthalt zumindest für Jugendliche finanziert, in der Schweiz übernehmen häufig Gemeinden die Kosten für das Programm. Die österreichischen Krankenkassen stünden Rehabilitationen im Ausland dagegen eher skeptisch gegenüber, so Rüegg.

24 Stunden am Tag und sieben Tage in der Woche Kontakt zwischen Betreuern und Teilnehmern – das kann auch zur Belastung werden. Deshalb nehmen alle „Daktari“- Teammitglieder regelmäßige Supervision in Anspruch. Auch freie Tage müssen eingehalten und am besten außerhalb der Farm verbracht werden. Dennoch erklärt Rüegg: „Ich mache das seit 17 Jahren und inzwischen ist es kein Job mehr, sondern eine Lebensform.“

Interview – „Ich wollte nur weg“

Sebastian Wegerer* war 16, als er begann, Drogen zu konsumieren: Heroin, Substitol und Benzodiazepine. Nach mehreren erfolglosen Therapien in Österreich entschied sich der heute 24-Jährige vor zwei Jahren für einen Aufenthalt auf „Daktari“, einer abgelegenen Farm in Namibia. Wie es ihm dabei gegangen ist und wie ‚Realitätstraining’ aussieht, hat er Barbara Wakolbinger erzählt.

ÖÄZ: Das Konzept von ‚Daktari‘ sieht einen einjährigen Aufenthalt auf einer Farm in Namibia vor – ohne Kontakt zur Zivilisation, dafür mit einem umfassenden Therapieprogramm. Wie ist es Ihnen dabei gegangen?

Wegerer: Die ersten drei Monate wollte ich nur weg. Ich bin damals nicht ganz freiwillig nach Afrika gegangen, sondern schon mit einem gewissen Druck von zu Hause. Deshalb haben sich für mich die ersten paar Monate etwas schwierig gestaltet. Denn man kann dort nicht einfach weggehen und einfach mal schnell sagen ‚Ich hab’ keine Lust mehr’, sondern man ist im Nirgendwo. Das ist aber schnell ein Vorteil: Mit der Zeit lernt man, sich auf wichtige Dinge zu konzentrieren. Nicht so wie in Österreich, wo man auch während einer Therapie ständig abgelenkt wird.

Wie sind Sie und die Betreuer mit diesem Abbruch-Impuls umgegangen?
Man kann nicht einfach Koffer packen und weggehen. Das funktioniert nicht. Ich habe dann versucht, mit ihnen zu reden und gesagt ‚ich will nicht, bitte lasst mich wieder nach Hause’. Man hat mich bei ‚Daktari‘ aber nicht aufgegeben, sondern gesagt: ‚Wir wollen dich weiter hier behalten und wir ziehen das jetzt mit dir durch’. Im Laufe der Zeit hat es dann angefangen, Spaß zu machen. Nach sechs Monaten habe ich es akzeptiert und versucht, das Beste daraus zu machen. Es hat mir besser gefallen und ich habe auch gemerkt, es ist mir besser gegangen. Normalerweise ist die Zeit dort nach zwölf Monaten vorbei. Ich habe noch um drei Monate verlängert. Das war sicher eine gute Entscheidung. Im Nachhinein bereue ich es nicht. Das war eine der besten Erfahrungen, die ich in meinem Leben gemacht habe.

Wo liegen die großen Schwierigkeiten des Entzugs?
Ich habe in Österreich schon Therapien durchgemacht und auch beendet, aber man ist einfach gleich wieder in der Nähe einer Stadt. Das ist in Afrika eben nicht der Fall. So kann man sich ganz auf sich selbst konzentrieren und mit sich selbst beschäftigen, was natürlich manchmal auch anstrengend und nervig sein kann. Es ist isoliert, man ist wirklich abseits der Zivilisation. In der Nacht gibt es keinen Strom und es gibt auch kein fließendes warmes Wasser. Das zwingt einen dazu, sich Aktivitäten zu suchen. Ich habe mit der Zeit begonnen, Sport zu machen. Ich bin joggen gegangen, es gab eine Kletterwand und einen Fitnessraum. Am Anfang ist es aber ein ziemlicher Schock. Es gibt ja auch kein Telefon, man hat keinen Empfang und Internet ist auch nur schlecht möglich.

Der Alltag ist streng strukturiert, man lebt auf engstem Raum zusammen. Kommt es da manchmal zu Problemen?
Man ist ständig mit den Betreuern in Kontakt. Das ist natürlich schwierig, weil man manchmal in Konflikte gerät, aber es bewirkt auch eine ganz andere Beziehung und eine andere Bindung. Es hat dann schon fast etwas Familiäres. Auch zwischen den Teilnehmern kommt es zu Spannungen. Aber es bleibt einem nichts anderes über, als die Konflikte zu klären, denn man kann sich nicht aus dem Weg gehen.

Wie hat Ihr Leben nach dem Aufenthalt auf ‚Daktari’ ausgesehen?

Ich bin nach meinem Aufenthalt sofort in die Schweiz in die Nachbetreuung gefahren. Ein paar Monate verbringt man hier noch in einer betreuten Wohngemeinschaft, das ist ähnlich einer stationären Therapie. Wenn alles gut funktioniert, kommt man in eine sogenannte Außenwohngruppe. Das ist dann eigentlich eine Wohnung mit zwei bis drei Personen oder auch allein. Hier wird man nicht mehr rund um die Uhr betreut. Man arbeitet ganz normal bei einer Firma oder macht eine Lehre. Das ist eigentlich schon wie normales Leben nur mit einer gewissen Unterstützung und Kontrolle.

Was waren die größten Herausforderungen, wie Sie wieder in die Nähe einer städtischen Infrastruktur zurückgekommen sind?
Es war sehr schwierig. Das Problem ist, dass man sich von Afrika aus hier in Europa nichts aufbauen kann. Wenn man dann zurückkommt, da steht und wieder nichts hat, ist das Risiko eines Rückfalls sehr groß. Es war für mich sehr schwer, hier in der Schweiz zu sein, wo alles neu und anders war. Ich kannte mich überhaupt nicht aus. Zürich ist ziemlich nah und dort wird man auch häufig mit Alkohol oder Drogen konfrontiert. Das war anfangs wirklich nicht einfach.

Wird man in Afrika auf diese Situation vorbereitet?
Es ist ein Praktikum vorgesehen, das in einer größeren Stadt absolviert wird. Ich bin außerdem gemeinsam mit einem Betreuer in die Stadt gefahren, wo wir gezielt Orte gesucht haben, an denen getrunken wird oder Drogen konsumiert werden. Wir sind dort hingegangen und ich habe versucht, das auszuhalten, ohne dass man selbst irgendwas angreift. Wir haben es ‚Realitätstraining’ genannt. Aber eigentlich kann man es nicht vergleichen.

Sie haben auch in Österreich mehrfach Therapien absolviert und abgeschlossen. Was sind die größten Unterschiede?

In Afrika wird viel individueller auf jeden einzelnen eingegangen. Es wird nicht so schnell aufgegeben wie es bei manchen Therapiestationen hier ist. Der ganze Rahmen ist persönlicher. Die Therapien in Österreich haben es eigentlich nur noch schlimmer gemacht. Dort lernt man Leute kennen, die gar nicht freiwillig auf Entzug sind, sondern die das statt eines Gefängnisaufenthalts machen und gar nicht aufhören wollen. Die stellen einem dann weitere Personen vor und man kommt so in immer schlechtere Kreise. Ich habe dann erst richtig gelernt, wie man was macht. Wie ich zum Beispiel Heroin aufkoche, habe ich eigentlich in der Therapie gelernt.


*Name von der Redaktion geändert

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 4 / 25.02.2013