Stressmanagement: Prävention statt Burn-out

10.02.2013 | Medizin


In jedem intensiven Beruf mit viel Menschenkontakten stößt man irgendwann an seine Grenzen. Zeitmanagement, die Reflexion der eigenen Tätigkeit und eingeplante Ruhepausen können u.a. dazu beitragen, hier wirkungsvoll gegenzusteuern.
Von Barbara Wakolbinger

Ein volles Wartezimmer, einige Patienten verspäten sich, andere kommen unangemeldet – dann ein Notfall: Die Patienten sind verärgert, die Sprechstundenhilfe überfordert, der Arzt gestresst. Stress, der zu Lasten der eigenen Ressourcen und damit langfristig auch der eigenen Gesundheit geht. So kann der Alltag in Ordination oder Klinik aussehen, muss er aber nicht, erklärt Carola Payer, Expertin für Zeit- und Selbstmanagement. Als Gründerin und Geschäftsführerin der Payer& Partner change agency hilft sie Ärzten im Einzelcoaching oder bei Vorträgen, ihre Zeit besser einzuteilen, Abläufe zu strukturieren und so das Wohlbefinden zu steigern.

Stress machen wir uns meistens selbst – davon ist Payer überzeugt. Um sich gar nicht erst in die Spirale von Zeitdruck, Überforderung und schlimmstenfalls Burn-out zu begeben, hat die Expertin einfache Modelle aufgestellt. „Systemisch betrachtet gibt es eigentlich gar keine äußeren Stressoren. Es geht immer darum, wie ich selbst mit Stresssituationen umgehe.“ Mithilfe des behavioristischen Modells von Reiz/Stimulus-Organismus-Reaktion (S-O-R) hat Payer ein simples Stressbewältigungsschema entworfen. „Mit einer Stresssituation konfrontiert, muss ich mir drei Fragen stellen: Kann ich meine Umwelt verändern, mich selbst oder vielleicht einfach meine Reaktion?“

Was tun bei Notfall?

Kommt beispielsweise ein Notfall in die Ordination, steht zunächst die eigene Reaktion aus: Statt unruhig zu werden, sollte eine schnelle und klare Entscheidung für oder gegen eine sofortige Behandlung getroffen werden. Wird der Patient behandelt, muss ihm die ganze und ungeteilte Aufmerksamkeit zuteil werden, andere Probleme werden vertagt. Beschweren sich wartende Patienten, kann eine Veränderung der Umwelt Abhilfe schaffen: Die Sprechstundenhilfe sollte für diesen Fall klare Anweisungen haben, wie die Patienten aufgeklärt und um Verständnis gebeten werden. „Es geht auch darum, die Qualität zu entwickeln, in jedem Augenblick bereit zu sein, neu nachzudenken. Ich darf mich nicht an einem fixen Plan festhalten“, meint Payer.

Aber nicht nur Notfälle verursachen Stress, auch langwierige Prozesse in einer Ordination identifiziert Payer als Zeitfresser. Damit nicht zu viel Zeit in administrativen Tätigkeiten verschwindet, sollte jedes Papier nur einmal angegriffen werden. Optimal wäre es, Gespräche mit einzutragen und gleich Rezepte oder Rechnungen auszustellen. So müsse sich niemand mehr mit dem Patienten beschäftigen, sobald er die Praxis verlassen hat. „Oft ist dieser Prozess des Abschließens auch für die Energie wichtig. Sobald alles eingetragen ist, habe ich mich auch schon innerlich verabschiedet und kann mich auf die nächste Behandlung konzentrieren.“ Investitionen in Management und ein gut getaktetes System würden sich lohnen.

„Ein wesentlicher Punkt ist es auch, zu überprüfen, wie gut ich meine Kernaufgaben erledige und was ich besser abgeben sollte“, meint Payer. Ein Augenarzt etwa sollte Sehtests an seine Assistenten delegieren und sich dann nur noch mit der wesentlichen Feinarbeit beschäftigen. Das schafft Zeit und nimmt auch Stress aus dem Warteraum. Die Expertin empfiehlt, die eigenen Prozesse regelmäßig zu durchleuchten, um Zeitgewinn und Zeitverlust, aber auch Energiegeber und Energiediebe einordnen zu können. „Wenn ich das über einen gewissen Zeitraum beobachte und aufschreibe, kann das sehr effektiv sein.“ Ziel ist es, die positiven Faktoren zu verstärken und die negativen zu verändern oder gänzlich zu streichen. „Reflexion und bewusstes Nachdenken sind ganz wesentliche Faktoren im Zeit- und Stressmanagement“, erklärt Payer.

Ruhepausen einplanen

Um in den nicht gerade seltenen Stressmomenten des Arztberufes Ruhe zu bewahren, braucht es eine gewisse innere Balance. „Gerade Ärzte neigen dazu, nicht gut auf sich zu achten und nicht genug in ihr eigenes Potenzial und ihre Regeneration zu investieren“, erzählt die Beraterin aus ihrer Erfahrung. Es fehle an Gegengewicht zum Alltag, der nicht nur mit viel Arbeit, sondern auch durch Familie oder hektische Freizeitaktivitäten überfrachtet sein kann. „Ganz wichtig ist für mich im Zeit- und Selbstmanagement auch das Erfüllen der eigenen Grundbedürfnisse“, so Payer. Genug Schlaf, gutes Essen und Zeit für Körperpflege sollten selbstverständlich sein. Daneben rät die Expertin zu fix eingeplanten Regenerationszeiten. Egal ob Gartenarbeit, Meditation oder Ausdauersport: „Man muss egoistisch sein und jeden Tag eine Zeit des Urlaubs einplanen. Nur für sich alleine.“

Diese Ratschläge auch im Alltag zu beherzigen, kann schwierig sein. Deshalb empfiehlt Payer, etwa direkt nach der Arbeit ins Yoga-Studio zu fahren oder Joggen zu gehen. Wer zuerst zuhause vorbeischaut, bleibt meist dort. Außerdem sollte man nicht in den Kategorien „Entweder-Oder“ denken: Kleine Kinder können beispielsweise in einem Laufwagen mitgenommen werden, ältere folgen am Rad. So wird die tägliche Laufrunde zur Familienaktivität. Auch Netzwerke spielen eine immer größere Rolle in der Bewältigung des Alltags: „Es ist gut, flexible Systeme zu schaffen – etwa ein Babysitternetzwerk. Außerdem muss gezielt immer wieder an der eigenen Elastizität gearbeitet werden. Das kann man üben und lernen.“

Von Perfektionisten und Chaoten

„Es gibt viele Wege, Stress anzupacken. Ich möchte nicht nur auf der technischen Ebene mit Zeitmanagement-oder Planungstechniken arbeiten, sondern auch mit dem Wesen einer Person. Daraus ergeben sich viele Stresstendenzen, ganz unabhängig von Beruf oder Rolle“, erläutert Payer.

Nach den vier Elementen unterscheidet die Zeitmanagement-Expertin Carola Payer vier Stresstypen: Feuer, Luft, Wasser und Erde – alle haben ihre Stärken und Schwächen und sind auf bestimmte Arten von Stress besonders anfällig (siehe Kasten). „Finden sich Menschen in diesen Symbolen wieder und erkennen sie ihre Grundtendenzen und Antreiber, ist es oft nur noch ein kleiner Schritt zur Stressvermeidung“, so Payer. Das sei speziell in einem Hochleistungsberuf wie dem medizinischen wesentlich, denn in jedem intensiven Beruf mit viel Menschenkontakt stoße man irgendwann an seine Grenzen. Ein funktionierendes System, die Reflexion der eigenen Tätigkeit und eingeplante Ruhepausen können dem wirkungsvoll vorbeugen.

Die vier Stress-Typen

Feuer-Typ
„Feuer-Typen haben zwar ihre Ziele klar vor Augen, neigen aber dazu, sich zu viel vorzunehmen. Sie sind intensiv, schnell, oft ungeduldig und wenig im Moment“, skizziert die Beraterin. Weil diese Stresstypen mit den Gedanken oft schon im nächsten Schritt seien, fehle es an Aufmerksamkeit und Präsenz. „Der Tag wird meist vollgestopft. Zwar haben Feuer-Typen viel Energie, doch auch sie brauchen manchmal eine Pause, sonst können Erschöpfungssymptome auftreten.“ Ihnen rät Payer, Pläne zu schreiben und Prioritäten zu setzen sowie die Zeit richtig abzuschätzen. Vor allem ist Geduld mit sich selbst, aber auch im Umgang mit anderen gefragt.

Erd-Typ
Gerade im Arztberuf würden sich jedoch auch viele Erd-Typen finden, weiß Payer. Sie sind gewissenhaft, sehr genau und fast schon penibel. Stress entsteht genau durch diese Detailgenauigkeit und die Angst vor Fehlern, die jede Menge Zeit kostet. Dabei könne die Freude am Leben manches Mal zu kurz kommen, warnt Payer. „Erd-Verhalten kann man auch sehr gut lernen, dahinter stecken Erwartungen und Vorstellungen, wie das System funktioniert.“ Denn viele Ärzte würden eigentlich gar nicht dem Erd-Typ entsprechen, aber dennoch sehr diszipliniert leben. Um hier gegenzusteuern, können mehr Entscheidungsfreude sowie die Konzentration auf Ergebnisse helfen.

Luft-Typ

Ganz anders Menschen mit hohem Luft-Anteil: Sie sind häufig inkonsequent und verzetteln sich, halten Termine nicht ein, schieben ihre Arbeit immer wieder auf und lassen sich leicht ablenken. Von der Akte zu einem E-Mail auf zum nächsten Patienten, ohne eines der Dinge ganz zu erledigen, das ist charakteristisch für Luft-Typen. Um dieses Verhalten in den Griff zu bekommen, stehe Struktur an erster Stelle, meint Payer. To-do-Listen, Ordnung am Schreibtisch und das konsequente Beenden von angefangenen Aufgaben sind hier unumgänglich.

Wasser-Typ

Empathische Menschen in Helferberufen finden sich häufig in der Kategorie der Wasser-Typen wieder. „Ärzte mit Wasser-Anteil kümmern sich fast schon zu viel um andere. Statt auf sich selbst zu achten, bleiben sie zu lange bei Patienten, können nicht nein zu Vorträgen oder Konferenzen sagen und hören sich auch jede Sorge der Sprechstundenhilfe an“, erklärt Payer. Zu wenig Egoismus – hier wird nicht das eigene Wohl, sondern immer das der anderen in den Vordergrund gestellt. Das erzeugt Überforderung, Druck und damit Stress. Um langfristig an ihrem Zeitmanagement zu arbeiten, empfiehlt die Expertin eine Beschleunigung der Prozesse, die Vermeidung von Zeitdruck und eine persönliche Veränderung hin zu mehr Vertrauen in sich selbst.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 3 / 10.02.2013