Reanimation: Wenn Kinder Leben retten

10.10.2013 | Medizin

Für die Einführung von verpflichtendem Reanimationsunterricht für Kinder in Schulen spricht sich Univ. Doz. Michael Baubin, Vorsitzender des Austrian Resuscitation Council (ARC) anlässlich des European Cardiac Arrest Awareness Day am 16. Oktober aus.Von Barbara Wakolbinger

Würden anwesende Ersthelfer sofort reagieren und eine Herz-Druck-Massage beginnen, könnten pro Jahr 1.000 Menschen mit Herz-Kreislauf-Stillstand in Österreich zusätzlich gerettet werden, rechnet Univ. Doz. Michael Baubin, Vorsitzender des Austrian Resuscitation Council (ARC), vor. Die Daten des deutschen Reanimationsregisters, an dem sich Innsbruck als erster österreichischer Notarztstützpunkt beteiligt, sind erschreckend: Nur 15 Prozent der Bevölkerung unternehmen im Falle eines Herz-Kreislauf-Stillstands überhaupt den Versuch, zu reanimieren. Damit ist der deutschsprachige Raum zusammen mit Regionen Spaniens das Schlusslicht innerhalb des europäischen Herz-Lungen- Wiederbelebungs-Registers, in dem die 20.000 deutschsprachigen Reanimationsdatensätze aus 140 Notarztbereichen mit denen anderer Länder verglichen werden. In Schweden und den Niederlanden hingegen ergreifen bis zu 60 Prozent der Ersthelfer Maßnahmen zur Reanimation. In diesen Ländern wird bereits seit mehr als 20 Jahren – in Norwegen sogar seit 1961 – Herz-Lungen-Wiederbelebung (CPR) verpflichtend in der Schule unterrichtet. Zusammen mit dem ARC und Initiativen wie „Leben retten“ oder dem Verein „Puls“ möchte er auch in Österreich verpflichtenden Reanimations-Unterricht in der Schule einführen. „Ebenso wie Kinder Fahrrad fahren oder schwimmen lernen, sollen sie wie selbstverständlich auch Reanimation erlernen“, erklärt Baubin. Nur so kann die Bereitschaft zur Lebensrettung antrainiert werden und auch Jahre später noch zum Einsatz kommen.

Start im Kindergarten

Baubin hat dafür bereits ein Konzept ausgearbeitet. Bereits im Kindergarten oder in der Volksschule sollte mit Erste- Hilfe-Basics wie den Notrufnummern oder dem Erlernen der stabilen Seitenlage begonnen werden. Reanimation müsste dann spätestens gegen Ende der Pflichtschule – also bei den Zwölf- bis 14-Jährigen – mit drei Schulstunden verpflichtend in den Lehrplan aufgenommen werden. Schon ab diesem Alter können Kinder wirksame Reanimationsmaßnahmen durchführen. „Es geht nicht um die Kraft. Es geht um das Gewicht und die Technik der Helfer“, so der Experte. Bereits ab einem Gewicht von etwa 40 bis 45 Kilogramm kann die Herz-Druck-Massage bei richtigem Training suffizient durchgeführt werden. Kurz vor Schulabschluss – also im vorletzten Jahr einer weiterführenden Schule oder Lehre – sollen die Jugendlichen ihr Wissen nochmals auffrischen und dann auch den Einsatz des automatisierten Defibrillators (AED) trainieren. Zusammen mit der Wiederholung bei Zivildienst oder Bundesheer beziehungsweise im Zuge anderer Ausbildungen wird das Wissen weiter vertieft.

In der Vergangenheit hat man sich in Österreich zu einseitig auf Freiwilligkeit und auf die verpflichtenden Erste-Hilfe- Kurse im Zuge des Führerscheins verlassen, ist Baubin überzeugt. Modelle für den verpflichtenden Reanimations-Unterricht gibt es viele: Manche Länder lassen alle Schulen an einem festgelegten Tag üben, andere verteilen zusätzlich Gratispuppen und Videos zum Üben zu Hause, wodurch auch weitere Familienmitglieder erreicht werden. „Wichtig ist, dass die Praxis im Vordergrund steht. Auf eine Einheit Theorie sollen fünf Einheiten Praxis folgen“, weiß Baubin. Geübt werden sollte in Kleingruppen von bis zu acht Teilnehmern pro Instruktor. Die Inhalte kommen besser an und werden ernster genommen, wenn nicht etwa der Mathematiklehrer allein unterrichtet, sondern auch Notärzte und Sanitäter, die bereits Reanimationen durchgeführt haben, mithelfen. „Noch verlassen sich die Österreicher zu gerne auf den Anruf bei der Leitstelle und das dichte Rettungsnetz“, erklärt Baubin die niedrige Reanimationsrate durch Ersthelfer. Doch genau jene drei Minuten, die der Anruf in der Leitstelle sowie die Alarmierung von Rettungsdienst und Notarzt dauern, sind der Toleranzzeitraum des Gehirns bei zerebraler Hypoxie. Berechnet man den Anfahrtsweg der Rettung mit sechs bis acht Minuten, ist ein Überleben des Patienten ohne Ersthelfer-Reanimation mit guter Qualität unwahrscheinlich.

Rund 65 Prozent aller Fälle, in denen es zu einem Herz-Kreislauf-Stillstand kommt, ereignen sich zu Hause, wo der Kreis der anwesenden Personen meist klein ist. Diese Patienten haben daher deutlich schlechtere Überlebenschancen als die 16 Prozent der Betroffenen, bei denen es in der Öffentlichkeit oder am Arbeitsplatz zu einem Herz-Kreislauf-Versagen kommt. Man nimmt an, dass es in Österreich insgesamt bis zu 10.000 Mal pro Jahr zu einem außerklinischen Herz- Kreislauf-Stillstand kommt. „Davon können bisher bis zu zehn Prozent gerettet werden. Diese Zahl ist über Jahre hinweg stabil geblieben“, schildert Baubin. Deutlich gebessert hat sich allerdings die Überlebensqualität der Patienten: Befanden sich vor 20 Jahren 70 Prozent der Betroffenen, die überlebt haben, in den pflegebedürftigen CPC (Cerebral Performance Categorie)-Klassen III bis IV, so können heute bis zu 70 Prozent der Überlebenden in ihren Beruf zurückkehren (CPC I) oder selbst für sich sorgen (CPC II). „Die durchschnittliche Anzahl der Überlebenden ist bislang nicht wesentlich gestiegen, sehr wohl aber die Qualität des Überlebens“, unterstreicht der Experte. Dies ist vor allem auf die Umsetzung der Reanimationsleitlinien und das Konzept der Post Resuscitation Care zurückzuführen. Dieses beinhaltet ein standardisiertes Vorgehen mit 12-Kanal-EKG direkt am Notfallort, Blutzucker- und pH-Einstellung, milder Hypothermie und Akut-Herzkatheter und die frühe neurologische Beurteilung.

Das Europäische Parlament fordert – auf Initiative des European Resuscitation Council – in einer Deklaration aus dem Jahr 2012 nicht nur die Einführung einer europäischen Woche zur Sensibilisierung für das Thema Herzstillstand, sondern auch „EU-weit harmonisierte Rechtsvorschriften, damit Ersthelfer, die medizinisch nicht geschult sind und freiwillig Hilfe bei akuten Herzproblemen leisten, nicht haftbar gemacht werden“.

Unterstützung und Anleitung für Ersthelfer kann es aber auch per Telefon geben. In Tirol wurde vor kurzem eine Studie zum Dispatch Life Support durch einen erfahrenen Leitstellendisponenten am Telefon durchgeführt. „Es hat sich gezeigt, dass die Leitstellenmitarbeiter 75 Prozent der anwesenden potentiellen Ersthelfer dazu motivieren konnten, Maßnahmen zu setzen“, schildert der ARC-Vorsitzende. Die Anleitung durch das geschulte Personal wirkt dabei besonders Stress-reduzierend auf den Ersthelfer; die Qualität der gesetzten Wiederbelebungsmaßnahmen lässt sich per Telefon allerdings nicht kontrollieren. „Man muss die Maßnahmen schon einmal gelernt haben, um sie dann nach Anleitung wieder wirkungsvoll anzuwenden“, sagt Baubin.

Tipp:
www.arc.or.at

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 19 / 10.10.2013