Psychopharmaka in der Schwangerschaft: Das Für und Wider

10.05.2013 | Medizin

Werden Psychopharmaka in der Schwangerschaft abgesetzt, beträgt laut Experten das Risiko, in dieser Zeit oder nach der Geburt einen Rückfall zu erleiden, 50 bis 60 Prozent. Eine Entscheidung für oder gegen eine Konzeption wird jedenfalls nur auf Basis eines komplexen Abwägungsprozesses möglich sein.

Nicht nur die Frauen, die an einer psychiatrischen Erkrankung leiden, sind oft verunsichert, ob sie während der Schwangerschaft weiterhin Psychopharmaka einnehmen sollen oder nicht; auch Psychiatern, Gynäkologen und Allgemeinmedizinern geht es ähnlich, wenn die Betroffenen einen Kinderwunsch äußern oder ungeplant schwanger werden. Werden die Medikamente dagegen – mit oder ohne ärztlichen Rat – abgesetzt, kann das erhebliche Folgen für Mutter und Kind haben. Experten schätzen das Risiko, während der Schwangerschaft und nach der Geburt einen Rückfall zu erleiden, auf 50 bis 60 Prozent, bei bipolaren Störungen sogar auf bis zu 85 Prozent.

Die Zahl der Frauen mit einer psychiatrischen Erkrankung in der Anamnese, die einen Kinderwunsch haben, ist nicht unerheblich. Sie holen jedoch sehr oft keinen medizinischen Rat ein, wie Assoz. Prof. Katharina Leithner-Dziubas, Leiterin der Psychosomatischen Frauenambulanz an der Universitätsklinik für Psychoanalyse und Psychotherapie der Medizinischen Universität Wien bestätigt: „Das Thema ist nach wie vor mit sehr viel Scham belegt. Nur wenige Frauen erhalten eine adäquate psychotherapeutische Betreuung in der Schwangerschaft.“ Das Fehlen von Beratungseinrichtungen aber auch die Tatsache, dass Ärzte bei Frauen mit psychiatrischen Erkrankungen noch sehr oft dazu neigen, diesen die Entscheidung abzunehmen und von einer Schwangerschaft mit Hinweis auf die Folgeerscheinungen ganz abraten, spielen dabei eine weitere große Rolle. Dazu kommt die Problematik der Wahl der richtigen Medikation und deren optimale Dosierung sowie die daraus resultierende Verantwortung der Ärzte gegenüber der Patientin und dem Kind.

Aber nicht nur die Ärzte befinden sich in einer Konfliktsituation. Vor allem bei den betroffenen Frauen mischen sich die Angst über die Auswirkungen der Medikamente auf das Kind und die Befürchtung, dass sich die psychiatrische Erkrankung verschlechtert – nicht selten vor dem Hintergrund von entsprechenden Versuchen, die Medikation abzusetzen. Offensichtlich scheint sich langsam ein Problembewusstsein zu entwickeln. Univ. Prof. Anke Rohde, Leiterin der Gynäkologischen Psychosomatik an der Universitätsfrauenklinik Bonn, meint dazu: „In den letzten fünf bis acht Jahren sind immer mehr Patientinnen zu mir an die Klinik gekommen, die in dieser Hinsicht Rat gesucht haben. Allerdings gibt es meiner Erfahrung nach immer noch sehr wenige Ärzte, die bereit sind, dafür die Verantwortung zu übernehmen. Die Angst vor Fehlbildungen steht nach wie vor sehr im Vordergrund.“ Speziell dieses Verantwortungsbewusstsein wird den Ärzten in Zukunft aber abverlangt werden: Sowohl Rohde als auch Leithner-Dziubas berichten, dass sich viele der psychiatrisch erkrankten Frauen sehr sorgfältig mit ihrem Kinderwunsch, mit den Fragen der Medikation sowie dem teratogenen Risiko beschäftigen und eine qualifizierte Unterstützung einfordern.

Komplexer Entscheidungsprozess

Eine allgemeine Richtlinie oder Verordnung wird aufgrund der Einzelbeurteilung eines jeden Falles nur bedingt möglich sein; eine Entscheidung ist aber dann auf Basis eines komplexen Prozesses möglich, so die Expertinnen. Beide betonen, dass im Mittelpunkt jeder Therapie eine sorgfältige individuelle Risiko-Nutzen-Einschätzung stehen sollte. Bei einer geplanten Konzeption muss auf das Risiko und den Benefit der spezifischen Substanz auf Teratogenität, Absetzphänomene, Entwicklungsdefizite und Entwicklungsstörungen hingewiesen und mit der betroffenen Frau und deren Partner diskutiert werden. Die Umstellung von einer Kombinations- auf eine Monotherapie ist – wenn möglich – zu favorisieren. Außerdem ist die Anwendung von Präparaten mit möglichst vielen dokumentierten Schwangerschaftsverläufen, mit einer kurzen Halbwertszeit, in mehreren Einzelabgaben als auch eine Dosisreduktion gegen Ende der Schwangerschaft zu bevorzugen. Bei Spiegelabhängigen Medikamenten (zum Beispiel Lithium) empfiehlt es sich, regelmäßige Spiegelkontrollen durchzuführen.

Medikation absetzen?

Auch beim Eintreten einer ungeplanten Schwangerschaft ist davon abzuraten, die Medikation plötzlich abzusetzen. Nach dem 60. Tag ist das Risiko für eine Fehlbildung deutlich reduziert. Rohde dazu: „Bei einer ungeplanten Schwangerschaft, wenn die Patientin beispielsweise in der sechsten oder siebenten Schwangerschaftswoche kommt, ist zu überlegen, ob ein Absetzen der Medikamente überhaupt noch sinnvoll ist. Da die Organanlage beim Fötus schon weitgehend abgeschlossen ist, kann durch eine Veränderung bei der Medikation erst einmal gar nichts erreicht werden – außer, dass die Patientin vielleicht psychisch stabilisiert wird.“

Optimal wäre es, ohne Medikamente auszukommen, dies wird aber von Experten bei Erkrankungen mit einem hohen Rückfallrisiko, wie dies etwa bei bipolaren Störungen der Fall ist, nicht empfohlen. Speziell bei diesen Erkrankungen besteht das höchste Risiko für ein Rezidiv nach der Entbindung, was dann meist mit einem stationären Aufenthalt oder Problemen bei der Versorgung des Kindes bis hin zur Gefährdung verbunden ist. „Basierend auf den Erfahrungen der letzten Jahre habe ich den Eindruck, dass das Risiko bei der Einnahme von Psychopharmaka während der Schwangerschaft zu hoch eingeschätzt wird, während die Frage der Rückfallprophylaxe nach der Entbindung vernachlässigt wird“, so die Bonner Psychiaterin.

Die aktuelle Datenlage bestätigt die Einschätzung von Rohde. So gibt es in der Literatur nur wenige Hinweise, die einen Zusammenhang zwischen der Einnahme von Psychopharmaka und Missbildungen beim Fötus bestätigen. Sehr gut dokumentiert sind trizyklische Antidepressiva; sie haben sich als nicht teratogen erwiesen. SSRIs wurden in verschiedenen Studien gut erforscht und geben keinen eindeutigen Hinweis zu einer erhöhten Fehlbildungsrate. Gleiches gilt für Neuroleptika, wobei zunehmend die atypischen Neuroleptika wegen des besseren Nebenwirkungsprofils eingesetzt werden. Das gut erforschte Phasenprophylaktikum Lithium wurde einer Neubewertung unterzogen: Die Schwangerschaften verlaufen überwiegend komplikationslos, das Risiko einer Herzfehlbildung ist weitaus geringer als früher angenommen. Bei den Benzodiazepinen existieren Hinweise auf Auswirkungen auf den Fötus im ersten Trimenon; bei längerer Gabe in der späten Schwangerschaft besteht die Gefahr von Entzugssyndromen beim Neugeborenen. Die Antiepileptika Valproinsäure und Carbamazepin, die zur Prophylaxe eingesetzt werden, weisen mit circa fünf bis zehn Prozent das höchste teratogene Risiko auf, wobei die Valproinsäure zusätzlich die mentale Entwicklung der Kinder beeinflussen kann. Diese Substanzen sollten deshalb bei Frauen im gebärfähigen Alter ganz vermieden und – falls doch erforderlich – nur unter sicherer Kontrazeption gegeben werden.

Im Hinblick darauf, dass Reaktionen auf die Medikation bei jeder schwangeren Frau sehr unterschiedlich ausfallen können, sollte jeder Fall zwecks Verbesserung der Fallstudienlage dokumentiert und auch gemeldet werden. Eine sorgfältige Schwangerschaftsüberwachung und eine Ultraschallfeindiagnostik in der Frühschwangerschaft sowie eine koordinierte Zusammenarbeit zwischen Gynäkologie, Pädiatrie, Psychiatrie und Psychotherapie müsste eine unabdingbare Maßnahme sein, resümieren die beiden Expertinnen.
DK

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 9 / 10.05.2013