Neue orale Antikoagulantien (NOAC): Verfälschte Laborbefunde

10.04.2013 | Medizin

Die neuen oralen Antikoagulantien beeinflussen Gerinnungsparameter. Wird die Einnahme solcher Substanzen nicht dem Labor kommuniziert, können die so entstandenen Befunde als Zeichen für Verbrauchskoagulopathie, Hämophilie oder Verdacht auf Lupus-Antikoagulans fehlinterpretiert werden.Von Elisabeth Gerstendorfer

Konkret geht es um zwei neue Substanzen: Dabigatran (Pradaxa®) und Rivaroxaban (Xarelto®). Beide hemmen gezielt einzelne Gerinnungsfaktoren – Dabigatran den Faktor IIa und Rivaroxaban den Faktor Xa. Und beide können zu Verfälschungen gängiger Gerinnungstests führen und pathologische Veränderungen anzeigen, die bei Nichtwissen um ihre Einnahme im Labor zu Fehlinterpretationen und in weiterer Folge zu Fehltherapien führen können.

Für viele Patienten bringen die neuen Antikoagulantien (NOAC = neue orale Anti-Coagulantien) zur Thromboseprophylaxe oder Therapie der venösen Thromboembolie eine Erleichterung in der Therapie wegen der Möglichkeit der oralen Verabreichung. Auch die regelmäßige Überwachung der Patienten, wie sie bei den klassischen oralen Antikoagulantien Phenprocoumon (Marcoumar®) und Acenocoumarol (Sintrom®) Standard ist, entfällt. Nur in Einzelfällen – besonders in Notfallsituationen – sollte der Blutspiegel der neuen oralen Antikoagulantien gemessen werden. „Anfangs waren die neuen oralen Antikoagulantien nur prophylaktisch nach Hüft- und Knieoperationen zugelassen. Mittlerweile können sie auch bei Patienten mit Vorhofflimmern eingesetzt werden“, sagt Univ. Prof. Peter Quehenberger, Leiter des Gerinnungslabors am Wiener AKH. Die Indikationen würden häufiger, sodass ein sehr breites Patientenkollektiv bestehe, das die neuen oralen Antikoagulantien über einen längeren Zeitraum einnehme, führt er weiter aus. Auch bei Patienten mit tiefen Venenthrombosen oder Lungenembolien kommen die neuen Substanzen zum Einsatz.

„Dabigatran ist ein direkter Thrombin-Inhibitor. Da fast jeder Gerinnungstest Thrombin-abhängig ist, kommt es bei der Einnahme zu einem Einfluss auf das jeweilige Testsystem“, so Quehenberger. Selbst Spuren von Dabigatran führen zu einer Verlängerung der Thrombinzeit wie auch der aktivierten partiellen Thromboplastinzeit (aPTT) und, in geringerem Ausmaß, der Prothrombinzeit (PTZ). Auch die Fibrinogen-Bestimmung wird durch Dabigatran beeinflusst. Quehenberger: „Durch das Medikament kann der Mangel eines Einzelfaktors am Laborbefund aufscheinen, obwohl kein echter Mangel vorliegt. Vor allem aPTT-abgeleitete Tests für die Faktoren VIII, IX, XI und XII werden beeinflusst.“ Bei der Einnahme von Rivaroxaban wiederum verlängert sich die Prothrombinzeit, die partielle Thromboplastinzeit wird hingegen viel schwächer beeinflusst. Der Einfluss auf die Gerinnungstests fällt also bei Rivaroxaban geringer aus, dennoch scheinen nicht vorhandene pathologische Veränderungen auf.

Wird vor einer Blutabnahme dem Labor nicht kommuniziert, dass der Patient neue orale Antikoagulantien einnimmt, kann es zu Fehlinterpretationen der Gerinnungsbefunde kommen. Möglich ist etwa die Interpretation der Werte als Zeichen für Verbrauchskoagulopathie, Hämophilie oder der Verdacht auf Lupus-Antikoagulans. Es kann auch vorkommen, dass eine Resistenz gegen aktiviertes Protein C (APC-R) falsch negativ erscheint und ein Patient mit Faktor V-Leiden-Mutation nicht erkannt wird. „Die möglichen Konsequenzen dieser verfälschten Befunde können nicht nur zu Verunsicherung beim Patienten führen, sondern auch Fehlreaktionen in Form von falschen Therapien auslösen. Wenn wir Plasmen im Labor bekommen, müssen wir wissen, ob und welche neuen oralen Antikoagulantien genommen werden“, sagt Univ. Doz. Walter Michael Halbmayer, Facharzt für Labordiagnostik und Humangenetik im Krankenhaus Wien-Hietzing.

Vorgangsweise bei Interferenzen

Um Interferenzen der neuen oralen Antikoagulantien mit Gerinnungstests entsprechend interpretieren zu können, muss der Einsender dem Labor folgende Informationen bekanntgeben: Name des Antikoagulans, Zeitpunkt der letzten Einnahme und Zeitpunkt der Blutabnahme. Das erfordere ein Umdenken, betont Halbmayer. Da bei diesen neuen Substanzen kein Labormonitoring mehr notwendig ist, fehle oft das Bewusstsein, dass Labormediziner informiert werden müssen. „Die neuen oralen Antikoagulantien sind gut, aber ein richtiges Umgehen damit ist sehr wichtig. Die Freistellung von einer regelmäßigen Überwachung besagt nicht, dass diese Substanzen frei von ärztlicher Kontrolle sind“, so Halbmayer. Auch bei den etablierten Antikoagulantien Marcoumar und Heparin kann es zu Interferenzen kommen; bei letzterem allerdings erst ab einer äußerst hohen Dosis, wie sie nur auf der Intensivstation verabreicht wird. Bei den neuen oralen Antikoagulantien sind Veränderungen der Blutgerinnung aber bereits bei geringen Mengen möglich.

Die Überwachung der Einnahme von neuen oralen Antikoagulantien kann erforderlich werden, wenn sich die Nierenfunktion des Patienten aufgrund unterschiedlicher Ursachen verschlechtert, was beispielsweise bei älteren Patienten mit einer Durchfallserkrankung schnell passieren kann. Auch eine Überdosierung kann eine genaue Überwachung des Spiegels der neuen oralen Antikoagulantien notwendig machen, da in diesem Fall Blutungsgefahr besteht. Eine regelmäßige Überwachung, wie sie bei Marcoumar üblich ist, sei aber nicht erforderlich.

Zur Kontaktaufnahme zwischen Labor und Einsender kommt es meist nur bei unplausiblen Werten, wenn etwa der Befund nicht mit anderen Ergebnissen zusammenpasst. Ein Beispiel: Die Gabe von Heparin führt zu einer langen aPTT und PTZ. Bei Dabigatran – vor allem bei sehr geringen Mengen – ist die PTT nur sehr gering verlängert (circa drei bis vier Sekunden). Die Thrombinzeit hingegen kann über dem Fünffachen des normalen Werts (mehr als 100 Sekunden) liegen. Dieser Unterschied deutet darauf hin, dass eine Heparingabe ausgeschlossen werden kann und eine andere Medikation vorliegt. Zwar gibt es Labortests, welche die neuen oralen Antikoagulantien spezifisch nachweisen können. Diese sind jedoch noch nicht darauf ausgerichtet, therapeutische Konsequenzen abzuleiten. „Die Anwendung dieser Tests kann in gewissen Notfallsituationen sinnvoll sein. Für Routine-Gerinnungstests sind sie aber nicht vorgesehen“, sagt Quehenberger.

Neue orale Antikoagulantien (NOAC)

Die neuen oralen Antikoagulantien Dabigatran (Pradaxa®) und Rivaroxaban (Xarelto®) hemmen gezielt einzelne Gerinnungsfaktoren – Dabigatran den Faktor IIa und Rivaroxaban den Faktor Xa – und können gängige Gerinnungstests verfälschen. In weiterer Folge kann es zu fehlerhaften Befundinterpretationen kommen, die einerseits zur Verunsicherung beim Patienten führen und andererseits auch fehlerhafte Therapieansätze zur Folge haben können. Der Einsender muss dem Labor daher folgende Informationen bekannt geben:

  • Name des Antikoagulans
  • Zeitpunkt der letzten Einnahme
  • Zeitpunkt der Blutabnahme

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 7 / 10.04.2013