Originalarbeit: Hodenhochstand und Hypospadie

25.04.2013 | Medizin


In Österreich werden noch immer zu viele Kinder zu spät orchidopexiert – obwohl die Inzidenz steigend ist. Da der Hodenhochstand mit einer eingeschränkten Spermatogenese vergesellschaftet ist und zu Infertilität führen kann, ist eine frühzeitige Behandlung – ab dem sechsten Lebensmonat – notwendig.
Von Alexander Springer*

Hodenhochstand und Hypospadie sind die häufigsten angeborenen Erkrankungen der männlichen Geschlechtsorgane. Vom Hodenhochstand sind circa ein Prozent, von der Hypospadie circa 0,3 Prozent aller Buben betroffen. Die Ursachen sind nicht vollständig geklärt. Der Deszensus des Hodens und die Bildung der Harnröhre hängen vom Androgen ab. Deswegen werden u.a. genetische und Umwelteinflüsse (endokrin wirkende Umweltsubstanzen) diskutiert. Daten weisen darauf hin, dass sowohl die Inzidenz von Hodenhochstand als auch von Hypospadie zunehmen. Die Mehrzahl der Hodenhochstände und Hypospadien treten isoliert auf; in seltenen Fällen jedoch verbergen sich dahinter Endokrinopathien oder Erkrankungen aus dem Formenkreis der Variations of Genito-Sexual Development (VGSD).

Eingeschränkte Spermatogenese

Hodenhochstand ist mit eingeschränkter Spermatogenese vergesellschaftet und kann zu Infertilität führen. Knaben mit einseitigem Hodenhochstand sind zu 90 Prozent, Knaben mit beidseitigem Hodenhochstand jedoch nur zu circa 50 Prozent fertil. Darüber hinaus ist der nicht deszendierte Hoden der einzige allgemein anerkannte Risikofaktor für die Entstehung eines Hodentumors: Patienten mit Hodenhochstand haben ein circa zwei- bis fünffach erhöhtes Risiko, später an einem Hodenmalignom zu erkranken. Um das Risiko für Infertilität und wahrscheinlich auch das für einen Tumor zu minimieren, sollte der Hodenhochstand so früh wie möglich behandelt werden. Da ab dem sechsten Lebensmonat kein spontaner Deszensus mehr zu erwarten ist und der Verfall der Spermatogonien im betroffenen Hoden ein progressiver Prozess ist, sollte mit der Therapie begonnen werden. Praktisch klassifiziert werden kann der Hodenhochstand nach „tastbar“ oder „nicht tastbar“ oder nach der Lage des Hodens: am äußeren Leistenring, im Leistenkanal, intraabdominell, ektop etc. Der Pendelhoden gehört nicht in den Formenkreis des Hodenhochstands, sondern stellt einen stark ausgeprägten Cremaster-Reflex dar und muss nicht therapiert werden. Hodenhochstand ist eine klinische Diagnose. Weitere Untersuchungen wie Ultraschall oder MRT sind selten notwendig und speziellen Indikationen vorbehalten.

Eine praktische Therapieempfehlung basiert auf dem Nordic Consensus und den Leitlinien der Europäischen Gesellschaft für Kinderurologie:

  • Therapiebeginn ab dem sechsten Lebensmonat;
  • gegebenenfalls prä- oder postoperative Gabe von Hormonen;
  • Hoden ein-/beidseitig tastbar: Orchidopexie ab dem sechsten Lebensmonat;
  • Hoden ein-/beidseitig nicht tastbar: diagnostische Laparoskopie/Orchidopexie ab dem sechsten Lebensmonat und gegebenenfalls weiterführende Untersuchungen (VGSD?);
  • Therapieabschluss so bald wie möglich (bis zum 15. bis 18. Lebensmonat);
  • Kontrolle der Hodenlage bis zur Pubertät.

Die Hormontherapie wird sehr kontroversiell diskutiert und wird nur optional empfohlen. Durch die Anwendung von Hormonen soll zum einen der Deszensus des Hodens ausgelöst, zum anderen die Qualität der Spermatogonien verbessert werden. Verwendet werden humanes Choriongonadotropin i.m. und Gonadotropinreleasing-Hormon als Nasenspray. Es muss kritisch erwähnt werden, dass die Nebenwirkungsprofile nur unzureichend erforscht sind und randomisierte Langzeitstudien fehlen. Die Lage der Hoden muss bis zur Pubertät kontrolliert werden, da es zu einem sekundären Hodenhochstand (ascending testis) bei zuvor normal deszendierten Hoden kommen kann. Der sekundäre Hodenhochstand tritt zumeist zwischen dem fünften und achten Lebensjahr auf und muss therapiert werden.

Situation in Österreich

Der Hodenhochstand ist eine in der Regel leicht zu diagnostizierende Erkrankung. Der Erfolg der Therapie hängt im Wesentlichen davon ab, ob der nicht deszendierte Hoden vom niedergelassenen Kinderarzt oder Allgemeinmediziner früh festgestellt und zum Kinderurologen, Kinderchirurgen oder Urologen überwiesen wird. In Österreich wurden von 1993 bis 2009 circa 20.000 Orchidopexien durchgeführt. Das Durchschnittsalter bei der Operation ist im Lauf der Jahre immer mehr gesunken und liegt derzeit bei 4,3 Jahren. Frühe Operationen werden zwar immer häufiger durchgeführt; gemäß den Leitlinien werden aber immer noch zu viele Kinder zu spät orchidopexiert.

Hypospadie

Die Hypospadie ist eine Fehlbildung des ventralen Penis und gekennzeichnet durch die Verkrümmung des Penis nach ventral (Chordae), die pathologische Lage des Meatus urethrae am ventralen Penisschaft und einer dorsalen Vorhautschürze. Die Hypospadie tritt meist isoliert auf, kann aber auch im Rahmen von Syndromen und komplexen Fehlbildungen vorkommen. Das klinische Spektrum der Hypospadie ist sehr groß. Die Lokalisation des Meatus urethrae sagt nicht immer etwas über den Schweregrad der Hypospadie aus; wichtiger sind Peniskrümmung und Qualität des ventralen Gewebes.

Diagnostik

Bei Vorliegen einer minimalen Hypospadie ist keine weitere Diagnostik erforderlich. Bei einer ausgeprägten Hypospadie muss zu einem pädiatrischen Endokrinologen überwiesen werden, um Erkrankungen aus dem Formenkreis des VGSD auszuschließen.

Operative Korrektur

Die Korrektur der Hypospadie ist aufwändig und besteht aus Penisbegradigung, Rekonstruktion der Harnröhre und Vorhautrekonstruktion oder Beschneidung.

Bei einer minimal ausgeprägten Hypospadie steht die kosmetische Korrektur im Vordergrund. Deshalb sollte mit den Eltern (und gegebenenfalls mit dem Betroffenen) das Für und Wider der Operation genau abwogen werden. Bei einer ausgeprägten Hypospadie ist eine Korrektur unumgänglich. Die Penisverbiegung nach ventral und die pathologische Mündung der Harnröhre erschweren die Miktion, behindern Sexualität und können das psychosexuelle Wohlempfinden ziemlich beeinträchtigen.

Hypospadien werden in der Regel ab dem sechsten bis zum 18. Lebensmonat korrigiert. Es gibt heute standardisierte Operations-Methoden, die Sicherheit und ein gutes funktionelles und kosmetisches Ergebnis gewährleisten („normaler Penis“).

Hohe Komplikationsrate

Die postoperative Komplikationsrate (Harnröhrenfistel, Harnröhrenenge, Narbe, etc.) liegt trotzdem zwischen fünf und 30 Prozent und hängt von der Ausprägung der Hypospadie, der Operationstechnik und der Erfahrung des Operateurs ab. Deswegen sollte die Hypospadie nur an einem kinderurologischen Zentrum, an dem die nötigen Fallzahlen erreicht werden, operiert werden. Regelmäßige Kontrollen nach der Operation gewährleisten, dass Komplikationen nicht unentdeckt bleiben und sorgen darüber hinaus für die Qualitätssicherung. Obwohl die Ergebnisse der Hypospadie-Korrektur in der Regel gut sind, muss darauf hingewiesen werden, dass auch Erwachsene Spätkomplikationen einer Hypospadie oder Hypospadiekorrektur erleiden können. Darüber hinaus sollte nicht die psychologische Komponente ignoriert werden, die eine genitale Fehlbildung oder deren operative Korrektur verursachen kann. Die empathische Begleitung des Patienten (und dessen Eltern) vom Zeitpunkt der Diagnose bis über die Pubertät hinaus und psychologische Unterstützung sind deswegen fallweise vonnöten.

Fazit für die Praxis

  • Hypospadie und Hodenhochstand sind häufige kinderurologische Erkrankungen.
  • Die Behandlung soll am kinderurologischen Zentrum erfolgen.
  • Der Hodenhochstand sollte ab dem sechsten und spätestens bis zum 18. Lebensmonat therapiert worden sein.
  • Ein nicht therapierter Hodenhochstand kann zur Infertilität führen. Das Malignitätsrisiko ist erhöht.
  • Bei Verdacht auf einen intraabdominellen Hoden ist die Laparoskopie indiziert.
  • Die Lage der Hoden soll bis zur Pubertät kontrolliert werden.

Literatur beim Verfasser

*) Dr. Alexander Springer, Medizinische Universität Wien/Klinische Abteilung für Kinderchirurgie, Währinger Gürtel 18-20, 1090 Wien;
E-Mail: alexander.springer@meduniwien.ac.at