Arbeitsmedizin: Wie Reintegration gelingen kann

25.04.2013 | Arbeitsmedizin, Medizin


Besonders nach einer längeren Erkrankung ist für die erfolgreiche berufliche Re-Integration das Zusammenspiel zwischen Arbeitsmediziner, Arbeitgeber und Patient notwendig. Erkrankungen des Bewegungsapparates führen im Durchschnitt zu zwölf Krankenstandstagen, bei psychischen Erkrankungen sind es rund 20 Tage.
Von Elisabeth Gerstendorfer

Erkrankungen des Bewegungsapparats zählen zu den häufigsten Ursachen für Krankenstandstage in Österreich. Laut Fehlzeitenreport 2012 des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung (WIFO) verursachen Krankheiten des Skeletts, der Muskeln und des Bindegewebes sowie jene der oberen Atemwege zusammen 45 Prozent der Krankenstandsfälle und knapp 40 Prozent aller Krankenstandstage. Ab 45 Jahren steigt die Summe der Krankenstandstage stark an und erreicht bei Beschäftigten zwischen 60 und 64 Jahren den Höchstwert. Im Schnitt führen Bewegungserkrankungen zu etwa zwölf Krankenstandstagen; bei psychischen Erkrankungen sind die Betroffenen durchschnittlich mehr als 20 Tage nicht am Arbeitsplatz.

Ist die Erkrankung – sowohl psychisch als auch physisch – durch die Arbeit verursacht oder negativ beeinflusst worden, werden die Beschwerden mit großer Wahrscheinlichkeit wieder auftreten und können sich je nach Beschwerdebild auch verschlechtern, wenn die Arbeitsbedingungen nach der medizinischen Rehabilitation unverändert bleiben. „Ziel des Arbeitgebers sollte sein, den Arbeitnehmer in den Arbeitsprozess wieder einzugliedern. Dazu müssen gegebenenfalls die Arbeitsbedingungen verändert oder aber auch das Gesundheitsverhalten des Mitarbeiters verstärkt gefördert werden“, sagt Christine Klien, Präsidentin der Österreichischen Gesellschaft für Arbeitsmedizin.

Detaillierte Arbeitsanamnese

Viele Menschen, die merken, dass ihre gesundheitliche Situation ihre Arbeit ganz oder teilweise beeinträchtigt, sprechen zunächst mit ihrem Hausarzt – meist, wenn bereits über einen längeren Zeitraum Beschwerden wie chronische Schlafstörungen auftreten. Klien: „Gegenüber dem Hausarzt sprechen Patienten eher davon, dass ihnen Arbeitsaufgaben nicht aus dem Kopf gehen oder dass viel zu wenig Personal vorhanden ist. In der Anamnese muss aber genau erfragt werden, welche Tätigkeiten gemacht werden. Die Arbeitssituation ist nicht in einem Satz beschreibbar.“ Gibt etwa jemand an, schwer heben zu müssen, müssen in einer Arbeitsanamnese beispielsweise auch Fragen wie „Wie muss getragen werden?“, „Welche Gegenstände werden getragen?“ und „Auf welcher Höhe?“ gestellt werden.

Aufgabe des Hausarztes ist es auch, den Betreffenden zu motivieren, seine Beschwerden im Betrieb anzusprechen, am besten beim Betriebsarzt. Nicht immer vertrauen sich Mitarbeiter dem Arbeitsmediziner im Unternehmen an, da dieser oft in einem Naheverhältnis zum Arbeitgeber gesehen wird. Aufgabe des Arbeitsmediziners ist die Vermeidung von arbeitsbedingten Erkrankungen; dafür ist er Berater für alle Menschen im Betrieb. „Hilfreich ist, auf die Schweigepflicht hinzuweisen. Nur mit Einverständnis des Mitarbeiters darf der Betriebsarzt mit dem Arbeitgeber über dessen Beschwerden sprechen“, betont Klien. Auf Wunsch des Patienten kann der Hausarzt Kontakt mit dem Betriebsarzt aufnehmen und umgekehrt.

Ist der Kontakt zwischen dem betroffenen Arbeitnehmer und Arbeitsmediziner hergestellt und die medizinische Rehabilitation weitestgehend abgeschlossen, steht die berufliche Re-Integration im Vordergrund. Möglichst in Zusammenarbeit von Betriebsarzt, Arbeitgeber und Patient wird die Arbeitssituation analysiert. „Zunächst werden im Gespräch und mit einer arbeitsmedizinischen Arbeitsplatz-Begehung die einzelnen Arbeitsschritte, die Arbeitsbedingungen und das (Fehl-)Verhalten des Mitarbeiters erhoben. Es kann etwa sein, dass der Arbeitnehmer beispielsweise ein Transportmittel nicht verwendet und er stattdessen schwere Gegenstände selbst trägt oder dass er sich falsches Heben angewöhnt hat“, erzählt Klien. In diesem Fall muss der Mitarbeiter zu einer Verhaltensänderung motiviert werden; der Arbeitgeber könnte auf stärkere Bewusstseinsförderung aufmerksam gemacht werden.

Arbeitgeber miteinbeziehen

Werden bei der Gestaltung der Arbeitssituation Einschränkungen festgestellt, wird der Arbeitgeber auf notwendige Verbesserungsmöglichkeiten hingewiesen. „Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Arbeitgeber zunehmend daran interessiert sind, ihre Mitarbeiter gesund zu halten und gesundheitsförderliche Investitionen vorzunehmen. Natürlich gilt das nicht für jedes Unternehmen, aber besonders, wenn Mitarbeiter lange im Betrieb sind, ist die Wertschätzung häufig sehr groß“, meint Klien. Die Kosten, die dabei entstehen, wären oft durch wenige vermiedene Krankenstandstage ausgeglichen.

Speziell bei psychischen Erkrankungen gestaltet sich die berufliche Re-Integration mitunter schwierig, führt Klien aus: „Bei Depressionen, Erschöpfungszuständen und Überlastung braucht es eine Evaluierung dahingehend, was genau psychisch belastend ist und wie diese Situationen verändert werden könnten. Häufig braucht es eine Klärung von Abläufen, Verantwortlichkeiten und Führungsaufgaben.“

Sind die Arbeitsbedingungen nicht zu ändern, etwa weil eine Maschine in einer ungünstigen Haltung bedient werden muss, setzt die Arbeitsmedizin bei der Organisation der Arbeit an. So könnte etwa eine Rotation der Arbeitnehmer vorgeschlagen werden, die einer einseitigen Haltung vorbeugt und nicht nur für den Betroffenen, sondern präventiv auch für die anderen Mitarbeiter förderlich ist. „Tragen diese Veränderungen nicht zu einer Verbesserung für den Betroffenen bei, ist der nächste Schritt, zu schauen, ob es im Unternehmen andere Arbeitsplätze gibt, die besetzt werden können“, berichtet Klien.

Für Menschen, deren Verhalten und/oder Arbeitsplatz nicht an ihre gesundheitlichen Probleme angepasst werden kann und bei denen eine Versetzung innerhalb des eigenen Unternehmens nicht möglich ist, wurde 2011 die Initiative „fit2work“ der österreichischen Bundesregierung gestartet. Ziel dabei ist es, ein Informations-, Beratungs- und Unterstützungsangebot zu Arbeit und Gesundheit zu schaffen, um einen Jobverlust aus gesundheitlichen Gründen zu verhindern und die Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt nach langen Krankenständen zu ermöglichen. Über finanzielle Fördermöglichkeiten für Arbeitgeber bei Adaptionen des Arbeitsplatzes sowie Beratung und gegebenenfalls berufliche Neuorientierung für Arbeitnehmer unterstützt die Initiative bei der beruflichen Re-Integration.

Dennoch kann es nach der beruflichen Wiedereingliederung zu Rückfällen wie etwa zum neuerlichen Auftreten der Beschwerden oder zur Überlastung kommen. Um dies zu verhindern, ist zentrale Aufgabe der Rehabilitation, Bedingungen, die einem erneuten Auftreten der Beschwerden entgegenwirken, zu identifizieren. „Ein ganz wesentlicher Aspekt, der viel zu wenig betrachtet wird, ist, dass Arbeit auch Wohlbefinden fördert und nicht überbelastend und krankmachend sein muss. Gesundheit hängt eng mit einem erfüllten Leben zusammen und das umfasst auch das Arbeitsleben“, resümiert Klien.

fit2work

fit2work ist eine Initiative der österreichischen Bundesregierung. Die Maßnahme ist im Arbeitund Gesundheitsgesetz (AGG) verankert, mit dem ein Informations-, Beratungs- und Unterstützungsangebot zu Arbeit und Gesundheit geschaffen wird.

Auf freiwilliger Basis werden Arbeitnehmer und Arbeitgeber aber auch Ärzte dabei unterstützt, einen Jobverlust aus gesundheitlichen Gründen zu verhindern sowie die Arbeitsfähigkeit zu fördern und erhalten. Ein breites Angebot berät bei der Wiedereingliederung nach langen Krankenständen und zeigt gegebenenfalls alternative Tätigkeitsbereiche auf.

fit2work wird von regionalen Umsetzungspartnern angeboten und läuft in Kooperation mit vielen Partnerorganisationen. Die Koordination liegt beim Bundessozialamt (BSB).

Tipp: www.fit2work.at

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 8 / 25.04.2013