Analgesie bei Kindern: Hemmfaktor Unsicherheit

10.09.2013 | Medizin


Angst und Unsicherheit sind oft die Ursachen für die nur unzureichende Analgesie bei Kindern. Ein Vortrag beim 15. Kärntner Symposium für Notfälle im Kindes- und Jugendalter befasst sich mit der sicheren Navigation durch Schmerzobjektivierung, Off-Label-Use und möglichen Komplikationen beim Einsatz von Analgetika.

Von Barbara Wakolbinger

Wenige Medikamente genau und effizient zu beherrschen sowie eine gute Beobachtungs- und Einfühlungsgabe sind die wichtigsten Voraussetzungen, um im Notfall die Analgesie auch bei Kindern schnell und sicher durchzuführen, meint Sandra Cornelia Semmelrock, Notfallmedizinerin am Klinikum Klagenfurt am Wörthersee. Denn derzeit herrschen häufig noch Angst und Unsicherheit, vor allem bei Ärzten, die nicht regelmäßig mit kranken Kindern konfrontiert sind. „Oft wird die symptomatische Therapie bei Kindern vernachlässigt. Die Analgesie erfolgt dann unzureichend oder gar nicht“, erklärt Semmelrock. Das erhöht den Stresspegel bei den Patienten und hat auch langfristige Auswirkungen auf die biochemischen Prozesse des Schmerzgedächtnisses der Kinder. Beim 15. Kärntner Symposium für Notfälle im Kindes- und Jugendalter präsentiert sie Strategien, um dieser Unsicherheit entgegenzuwirken.

Problematisch ist, dass Kinder und Jugendliche eine sehr inhomogene Patientengruppe darstellen: Der Arzt muss sowohl die Analgesie für den drei Kilo schweren Säugling als auch für den ausgewachsenen Jugendlichen beherrschen. Das wieerum hat auch Auswirkungen auf die Dosierung: „Bei Kindern kommt man um das Rechnen nicht herum“, erklärt die Notfall-Spezialistin. Sie empfiehlt eine Karte mit den gängigen, einheitlichen Dosierungsvorschlägen oder einen Eintrag im Smartphone – zusammen mit dem Alter und dem Gewicht des Kindes kann dann rasch eine präzise Bestimmung vorgenommen werden.

Off-Label-Use

Das betrifft auch Medikamente, die eigentlich nicht für Kinder zugelassen sind, aber in der Praxis bereits langjährig erfolgreich Off-Label eingesetzt werden. „Auch davor muss man sich nicht fürchten, aber das Handeln nach dem aktuellen Stand der Forschung und die Aufklärung der Eltern über mögliche Nebenwirkungen stehen im Vordergrund“, betont Semmelrock. Oft sind Kleinkinder auch sehr wenig kooperative Notfallpatienten – Abwehr und Fluchtreaktion sind ganz normal und manchmal sogar erwünscht. „Ich warne immer vor dem ruhigen und braven Kind am Notfallort. Das ist ein Alarmsignal“, erklärt die Expertin. Denn das brave Kind kann ein Hinweis of schwere Verletzungen oder eine schwere Erkrankung sein. Hat man es dagegen mit starker Abwehr zu tun und fällt etwa das Legen eines IV-Zugangs oder die weitere Untersuchung schwer, kann man sich mit der intranasalen, sublingualen oder rektalen Gabe von Analgetika oder einer leichten Sedierung behelfen. Eine wichtige Rolle spielen auch die Bezugspersonen. „Immer von den Eltern helfen lassen, die ihr Kind am besten kennen und auf Ablenkung setzen“, rät Semmelrock.

Auch bei der Objektivierung des kleinkindlichen Schmerzes spielen die Eltern eine wichtige Rolle. Wenn das Kind seine Schmerzen noch nicht ausdrücken kann, ist der Notfallarzt vor allem auf genaue Beobachtung angewiesen. „Im Alter von null bis drei Jahren wird gerne die kindliche Unbehagens- und Schmerzskala (KUSS) eingesetzt. Dabei wird beobachtet, ob das Kind weint oder grimassiert und wie die Körperhaltung aussieht: Ist das Kleinkind motorisch unruhig oder hat es eine Schonhaltung eingenommen?“ Ab drei Jahren können Kleinkinder dann meist schon gut mitarbeiten und ihre Schmerzen etwa anhand von Smiley-Gesichtern ausdrücken. Ein Vergleich zu anderen Schmerzen und damit eine genaue Einstufung – etwa auf einer numerischen Skala – ist allerdings meist erst ab dem Schulalter möglich. Wichtig ist auch die kindgerechte Aufbereitung der Situation. „Ich mache keine falschen Versprechungen. Ansonsten verspielt man schnell jegliche Kooperativität des Kindes. Ein Nadelstich wird immer ein bisschen wehtun.“ Bei Säuglingen bis zum sechsten Lebensmonat kann bei leichten Eingriffen wie einer Blutabnahme auch 25- bis 50-prozentige Zuckerlösung oral zur Analgesie eingesetzt werden.

Komplikationen beherrschen

Es sind nur wenige Medikamente, die man für den analgetischen Notfall beherrschen muss – diese haben allerdings potentielle Komplikationen, auf die man achten sollte. „Grundsätzlich muss ich mir über die Stärke der Schmerzen und meine apparativen Möglichkeiten im Klaren sein“, betont Semmelrock. Opiate wie Fentanyl können nicht nur Schwindel oder Übelkeit auslösen, sondern auch eine Atemdepression verursachen. Ein Einsatz ohne bereit stehende Atemmaske ist daher nicht zu empfehlen. Ist das Kind unruhig, lässt sich Fentanyl auch gut intranasal verabreichen. Bei starken Schmerzen oder Verbrennungen kann Ketamin eine Alternative darstellen – es kann auch rektal verbareicht werden. Dabei sollte der Notarzt allerdings mit möglichen Halluzinationen des Patienten rechnen. „Wird Ketamin verwendet, sollte man auch etwas zur Sedierung beigeben. Am praktikabelsten für die Präklinik hat sich dabei Midazolam erwiesen.“ Bei Kleinkindern mit leichten Schmerzen kommt häufig auch Nureflex zum Einsatz. Wie bei jedem NSAR muss hier auf gastrointestinale Nebenwirkungen geachtet werden. Auf keinen Fall darf es bei dehydrierten Kindern angewendet werden, da es dann bereits in geringer Dosis zu Nierenfunktionsstörungen führen kann. Als gute Alternative bei der Schmerzbehandlung von vor allem kolikartigen Schmerzen empfiehlt Semmelrock auch Novalgin. Mögliche Nebenwirkungen sind allergische Reaktionen und Blutdruckabfall – deshalb sollte die Gabe nur langsam erfolgen. Mit einer effektiven und raschen Schmerzbehandlung wird dem Kind nicht nur akut geholfen – auch der langfristige Sedierungs- und Analgetikabedarf sinkt deutlich.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 17 / 10.09.2013