Standpunkt – Vize-Präs. Harald Mayer: Work-Life-Balance neu definiert

10.10.2012 | Standpunkt

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Für die Leitung einer Abteilung an einer österreichischen Medizinischen Universitätsklinik gibt es genau eine einzige Bewerbung – das zeigt die schwierige Situation, in der sich die österreichische Spitalslandschaft befindet, mehr als deutlich auf.

Es ist schon klar, dass Führungspositionen ganz spezielle Anforderungen haben, aber es gibt noch weitere Aspekte, die man in diesem Zusammenhang nicht vernachlässigen kann. So weiß ich etwa durch viele Gespräche mit meinen Kolleginnen und Kollegen in den Bundesländern, dass es sehr viele Abteilungen gibt, in denen Ärztinnen und Ärzte wegen eines Burnouts im Langzeit-Krankenstand sind. Wer aber glaubt, dass hier vorübergehend ein zusätzlicher Kollege eingestellt wird, um die ja weiterhin anfallende tägliche Arbeit im Krankenhaus zu übernehmen, irrt. Vielmehr wird diese Arbeit auf die restlichen Kollegen aufgeteilt. Kommt es dann Urlaubs-bedingt oder aufgrund eines zusätzlichen Krankenstandes zu weiteren Ausfällen beim ärztlichen Personal, wird die Lage wirklich prekär. Dadurch gerät wieder ein Kollege ins Burnout, und es kommt zu einer weiteren Verschärfung der Situation.

Die Ignoranz der Träger, die hier zu Tage kommt, setzt sich dann fort, wenn man sich anschaut, wie die Altersstrukturen in den österreichischen Krankenhäusern schon jetzt aussehen. Was passiert, wenn die Generation der Babyboomer, die ja derzeit die 50er-Grenze überschreiten, in Pension geht, darüber hat sich wohl noch keiner der in den Trägern zuständigen Personen Gedanken gemacht.

Denn alles, was von dieser Seite bislang ins Spiel gebracht wurde, kann bestenfalls als Denkansatz eingestuft werden – nicht mehr. Es handelt sich dabei lediglich um Alibi-Aktionen, aber keine grundlegenden Maßnahmen, die sicherstellen, dass Kolleginnen und Kollegen im Spital alt werden können. Aber es geht ja in Wirklichkeit nicht nur darum, sondern dass man – auch als Spitalsarzt – das Pensionsalter in entsprechender Gesundheit erreicht und nicht wegen eines Burnouts aufgrund der nach wie vor steigenden Belastung im Spitalsalltag frühzeitig aus dem Beruf ausscheidet. Es geht ja auch vor allem und in erster Linie darum, dass die Arbeit im Spital für unsere Kolleginnen und Kollegen wieder attraktiver wird.

Gehaltsreformen, wie sie etwa kürzlich für die Vorarlberger Spitalsärztinnen und Spitalsärzte erzielt werden konnten, sind daher sehr zu begrüßen. Die adäquate Entlohnung für eine hochqualifizierte Tätigkeit ist aber nur ein Rädchen im ganzen System. Man muss auch noch an einigen weiteren drehen beziehungsweise Änderungen vornehmen, damit das System auch in Zukunft noch so funktionieren kann, wie es von der Bevölkerung erwartet wird.

Entscheidend dabei ist, dass man immer das Gesamtpaket im Auge hat: Es geht um die Einhaltung der Arbeitszeit-Höchstgrenzen, eine Reduzierung der Überlastung durch Nachtdienste – vor allem für die Kollegenschaft 50plus – und natürlich geht es hier auch um eine adäquate Entlohnung. Solange wir noch immer Strukturen haben, die es erfordern, dass man vier bis fünf Nachtdienste macht, um das Grundgehalt spürbar aufzubessern, darf sich niemand wundern, wenn der Knochenjob Spitalsarzt für unsere jungen Kolleginnen und Kollegen keine Option ist. Denn gerade die jungen Ärzte – speziell die Vertreter der Generation Y – sehen die bedingungslose Verfügbarkeit im Beruf rund um die Uhr nicht mehr als erstrebenswertes Lebensziel an.

Den viel strapazierten Begriff der Work-Life-Balance wird man wohl speziell im Gesundheitsbereich ganz neu definieren müssen.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 19 / 10.10.2012