Standpunkt – Präs. Walter Dorner: Vom Bewahren und Verändern

10.06.2012 | Standpunkt

 

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Die Entwicklungen auf dem elektronischen Sektor zeigen uns einen ganz grundsätzlichen Trend auf, der in unserer Gesellschaft immer weiter um sich greift: Was noch vor kurzem als top aktuell galt, ist heute schon völlig veraltet.

Damit man mich nicht missversteht: Ich bin kein Gegner des Fortschritts, ganz im Gegenteil. Wann immer sich neue technische Entwicklungen ergeben haben, war ich immer einer von denen, die diese neuen Technologien eingesetzt und, wenn sie sich bewährt haben, auch gefördert haben.

Natürlich sind der Zeitgeist und die gesellschaftliche Entwicklung insgesamt auch an den Ärzten nicht spurlos vorbei gegangen. Selbst bei noch so hohen ethischen und persönlichen Ansprüchen können wir uns aus dem Kollektiv nicht vollständig herauslösen.

Mittlerweile leben wir in einer Gesellschaft, in der sich das Umsetzen von Machtgelüsten um jeden Preis von der Verhandlungsebene immer mehr in Richtung Gewaltebene neigt. Erreicht man eine Position, in der man diese bis dato unbekannte Macht dann vermeintlich in seinen Händen hält, nützt man diese auch unerbittlich aus. Viele vergessen dabei jedoch, dass man – wenn man hoch hinaufsteigt – auch herunterfallen und in die Tiefe stürzen kann.

Diese Tendenzen, alles niederzureißen und ganz von vorne zu beginnen, sind ja überall und allerorts zu sehen: in der großen Politik ebenso wie in der kleinen. Was sich jahrzehntelang in Österreich bewährt hat, soll sukzessive ausgehungert und dem Niedergang preisgegeben werden. Das betrifft – man muss es leider sagen – den niedergelassenen Bereich ebenso wie den stationären. Was man vor fünf bis sechs Jahren nur hinter vorgehaltener Hand zu sagen oder überhaupt nur zu denken wagte, wird heute offen propagiert – wie etwa ein verstaatlichtes Gesundheitssystem auf Länderebene.

Wie ich mich überhaupt in unserem Gesundheitswesen des Eindrucks nicht erwehren kann, dass man uns Ärztinnen und Ärzte nur als Aufputz für das vermeintliche Wohl der Patienten benutzt. In Wirklichkeit schneidet man von der Freiberuflichkeit der Ärztinnen und Ärzte Scheibe für Scheibe ab und versucht mit allen möglichen und unmöglichen Tricks, das System in ein Politik-orientiertes, staatlich-strukturiertes Umfeld zu drängen.

Wer ohne Rücksicht auf Verluste alles zerstört, was in jahrzehntelanger mühevoller Arbeit an Strukturen aufgebaut wurde, wird früher oder später draufkommen, dass doch nicht alles so schlecht war. Das Beispiel Großbritannien ist hier nicht unbedingt nachahmenswert: Dort haben die zuständigen Politiker nach dem Rückbau und der Verstaatlichung des Gesundheitssystems ihre liebe Müh und Not, zumindest ein Minimum an medizinischer Versorgung aufrecht zu erhalten. So werden etwa am Wochenende Chirurgen aus dem europäischen Festland eingeflogen, um beispielsweise die Wartelisten auf Hüftendoprothesen zumindest ansatzweise abzuarbeiten.

Verändern: ja, anpassen: ja – aber alles mit Augenmaß und Ziel. Man muss dabei die Welt nicht neu erfinden.

Walter Dorner
Präsident der Österreichischen Ärztekammer

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 11 / 10.06.2012