Standpunkt – Präs. Artur Wechselberger: Tempora mutantur, nos et mutamur in illis

15.12.2012 | Standpunkt

(c) Dietmar Mathis

Nicht nur einmal musste sich die Ärzteschaft im Rahmen ihrer Aktionen gegen die „Gesundheitsreform“ vorwerfen lassen, sich gegen jede moderne gesundheitspolitische Entwicklung zu stellen. Dabei wäre ja alles so einfach. Die Zeit sich ändern lassen und sich selbst mit ihr zu ändern.

Eine Ärzteschaft, die gewöhnt ist, mit dem fulminanten Zuwachs an medizinischem Wissen zu leben und mitzuwirken, damit die neuesten Erkenntnisse der Wissenschaft möglichst rasch einer breiten Bevölkerung zur Verfügung stehen, blockiert scheinbar unbelehrbar die Segnungen der neuen Administration ebenso wie den ökonomisch bedingten Wandel unseres Gesundheitsversorgungssystems.

Dabei besteht der angestrebte Systemwandel in den Augen derer, die in ihren populistischen Aussagen gerne das Recht auf Krankenbehandlung zu einem Recht auf Gesundheit mutieren, in einer Rationalisierung der Behandlungsabläufe à la Henry Ford und Frederick Winslow Taylor. Fließbandtechnik und Taylorismus der industriellen Produktion des angehenden 20. Jahrhunderts als Innovation in der Patientenversorgung 100 Jahre später?

Oder klingen die – Gesundheitsökonomen und Betriebswirten nachgeplapperten – Vorschläge der Gesundheitspolitik etwa nicht wie nach Taylors Prämissen seines „Scientific Managements“? Dort verlangt er etwa eine detaillierte Vorgabe der Arbeitsmethode „one best way“ vor individueller Vielfältigkeit, eine exakte Fixierung des Leistungsortes und des Leistungszeitpunktes aber auch externe Qualitätskontrollen.

Obwohl in den Sechzigerjahren des letzten Jahrhunderts eine Gegenbewegung zum Taylorismus entstanden war, die auf eine Humanisierung und Demokratisierung der industriellen Arbeitswelt drängte, erfasste zusehends ein Neo-Taylorismus den Dienstleistungsbereich bis hin zu den Pflegeberufen. Reduzierung von Handlungsspielräumen, der Einsatz der Stoppuhr und neue Steuerungsformen mit dem Ziel der Effizienzsteigerung machen heute mehr denn je Pflegenden wie Pfleglingen das Leben schwer. Dennoch soll dieser Geist leitendes Paradigma eines ganzen Systems werden. Eine Steuerungskommission definiert den „Best point of service“; Leitlinien, Disease-Management-Programme und Behandlungspfade sowie einheitliche Codierungs- und Dokumentationsvorschriften binden die Ärzte. Ein exaktes Monitoring überprüft die Einhaltung der Vorgaben des Systems.

Ja, so ändern sich die Zeiten. Aber ist es wirklich möglich, dass Ärztinnen und Ärzte als Angehörige eines freien Berufs im Rahmen der Patientenversorgung diesen Wandel mitmachen? Ist es nicht gerade unsere Verpflichtung, dem Individuum in seiner Einzigartigkeit beizustehen, auch wenn dies einer auf ökonomische Effizienz ausgerichteten Systematisierung unseres Handelns entgegen steht? Eine individuelle Verpflichtung, die sich nicht nur aus tradierten ethischen Normen sondern auch aus unserem Berufsgesetz ergibt. Stellt doch der § 49 Ärztegesetz eindeutig klar, dass ein Arzt verpflichtet ist, jeden von ihm in ärztliche Beratung oder Behandlung übernommenen Gesunden und Kranken ohne Unterschied der Person gewissenhaft zu betreuen und nach Maßgabe der ärztlichen Wissenschaft und Erfahrung sowie unter Einhaltung der bestehenden Vorschriften und der fachspezifischen Qualitätsstandards das Wohl der Kranken und den Schutz der Gesunden zu wahren.

Oder soll uns in Zukunft Taylors Geist, wie er aus seinen „The Principles of Scientific Management“ tönt, leiten, wenn er schreibt: „In the past man has been first; in the future the system must be first“.

Artur Wechselberger
Präsident der Österreichischen Ärztekammer

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 23-24 / 15.12.2012