Vertretungsärzte: Serviceleistung für Patienten

10.03.2012 | Politik

Vertretungsärzte sind nicht nur eine Serviceleistung für einen Praxisinhaber, sondern auch für den Patienten. Der Bedarf an Vertretungsärzten wird weiter zunehmen. Ein Grund dafür liegt im steigenden Ärztemangel – vor allem in ländlichen Regionen.
Von Ruth Mayrhofer

Auch niedergelassene Ärzte können erkranken, gehen auf Urlaub, wollen sich weiterbilden. Die Patienten sollen jedoch weiterhin in „ihrer“ angestammten Praxis versorgt werden. Dieser Spagat ist nur mit Vertretungsärzten zu schaffen. „Besonders in Landpraxen sind Vertretungsärzte, die jedoch nicht einfach zu finden sind, notwendig, damit die Patienten direkt in den Ortschaften, in denen sie leben, weiter betreut werden können“, weiß Milan Kornfeind, Vizepräsident der burgenländischen Ärztekammer. Vertretungsärzte stellen somit eine Serviceleistung nicht nur für Praxis-Inhaber, sondern auch für die Patienten dar: „Die Patienten können in ihrem gewohnten ärztlichen Umfeld behandelt werden, sie kennen die Praxismitarbeiter, die Usancen der Ordination – das schafft Vertrauen.“ Die Vertretungsärzte hingegen lernen dazu, können auf alle in der jeweiligen Praxis vorliegenden Patienten-Dokumentationen zugreifen und sich auch ab und zu bei den Ordinationsmitarbeitern über die Gewohnheiten oder das persönliche Umfeld der einzelnen Patienten informieren. „Dadurch wird eindeutig die Versorgung der Patienten besser“, so Milan Kornfeind. Ganz abgesehen davon ortet er Nachteile für das Gesundheitswesen, wenn beispielsweise in großen Praxen bis zu 2.000 Patienten durch die Abwesenheit des gewohnten Arztes in andere Ordinationen auspendeln müssten. Dadurch würde es seiner Einschätzung nach etwa zu einem erhöhten Arzneimittelverbrauch oder zu nicht wirklich notwendigen (Doppel-)Untersuchungen kommen, was sich für die Krankenkassen negativ auswirken würde.

Weitere Aspekte, die für die Vertretung von Kollegen sprechen: Die Möglichkeit, sich auf die Eröffnung einer eigenen Praxis vorzubereiten, eine verbesserte Vereinbarkeit von Familie und Beruf, und die Möglichkeit eines Zuverdienstes bei freier Zeiteinteilung. Daher ergreifen auch immer mehr Frauen diese Chance.

Bekanntlich funktioniert die finanzielle Seite des Vertretungsärzte-Daseins auf der Basis eines Werksvertrages. Dieser stellt kein Dienstverhältnis dar und ist zwischen den Partnern frei vereinbar. Die entsprechenden Honorare, die natürlich vom Vertretungsarzt zu versteuern sind, weiß Milan Kornfeind, belaufen sich im Regelfall – Abweichungen sind möglich – pro Tag auf zwischen 250 bis 500 Euro. Umsatzbeteiligungen werden zum Teil ebenfalls angeboten. Kornfeind rät dabei aber zur Vorsicht, denn durch die Abwesenheit des „eigenen“ Arztes könnten Umsätze bis zu 50 Prozent schrumpfen. Diese Umatzreduktion kann nur in der Zeit der Tätigkeit des Vertretungsarztes eintreten. „Die Patienten überlegen sich dann eben, bis zur Rückkehr des gewohnten Arztes aus seinem Urlaub zu warten, bis sie in der Praxis vorstellig werden.“

Die Zukunft: Vertretungsarzt als Hauptberuf?

In Österreich findet die Anwerbung von Vertretungsärzten meist über die entsprechenden Jobbörsen der Ärztekammern statt, die – wie Gabriele Freunschlag betont – „auch wirklich gut funktionieren“. In Deutschland hingegen boomen derzeit private Agenturen, die ausschließlich Vertretungsärzte für den intramuralen beziehungsweise auch für den niedergelassenen Bereich vermitteln. Allein im Jahr 2010 wurden 300 neue Unternehmen auf diesem Sektor gegründet. Der Anästhesist Thomas Braun in Hockenheim wagte mit dieser Geschäftsidee als einer der ersten bereits 2007 den Sprung in diesen Bereich und gründete die Firma „Doc to rent“ mit heute 20 Mitarbeitern. Im niedergelassenen Sektor vermittelt das Unternehmen – für den sich bewerbenden Arzt kostenfrei – Vertretungstage bei einer Tagespauschal-Entlohnung von zwischen 500 und 600 Euro. Was oft als Krankheits- oder Urlaubsvertretung beginnt, mündet nicht selten in einer Praxisübernahme. Kommen auch 80 bis 85 Prozent der Anfragen nach Vertretungsärzten derzeit noch aus Deutschland, ortet Braun seit einiger Zeit eine durchaus beachtliche Zunahme aus Österreich und der Schweiz. „Der Ärztemangel ist eben auch in Österreich und der Schweiz angekommen“, meint Braun, „und das merkt man eben.“ Die Idee dieser Art von Stellenvermittlung ist nicht neu. In Großbritannien existiert dieses Modell seit nunmehr 40 Jahren; in den USA werden 40 Prozent des ärztlichen Angebots über Freiberufler abgewickelt.

„Ausschließlich als freiberuflicher Vertretungsarzt zu arbeiten, ist eine Option für viele, aber nicht für alle“, gibt Braun zu bedenken. Neben örtlicher Flexibilität braucht es auch eine gleichermaßen hohe fachliche und soziale Kompetenz. Außer Zweifel steht für Braun, dass der Bedarf in Zukunft stark zunehmen wird, wobei seiner persönlichen Einschätzung nach besonders die Zahl der Frauen bei den Bewerbungen stark steigen wird.

Warum wird man Vertretungsarzt?

Der Internist Alexander Deimel betreibt eine eigene Ordination, arbeitet jedoch daneben als Vertretungsarzt für einen internistischen Kollegen sowie für einen Allgemeinmediziner. Warum er das tut? „Weil es Geld bringt“, meint Deimel nüchtern. Überdies teilt er seine Zeit so ein, dass seine Wochenende im Terminkalender frei bleiben. Diese verbringt er mit seiner Familie. Weiters erreicht er durch seine Vertretungszeiten sein Ziel, ein breites berufliches Spektrum zu haben. „Ich bin glücklich, dass ich ein unabhängiger Unternehmer bin“, betont der Internist: „Wenn in meinen Vertretungen alles rundherum passt, mache ich weiter. Wenn nicht, kann ich jederzeit ‚Nein danke‘ sagen.“

Die Allgemeinmedizinerin Gabriele Freunschlag hat „schon Hunderte Vertretungen“ hinter sich und teilt sich im Sinn einer Dauervertretung eine Ordination mit einer Kollegin. Angelpunkt, als Vertretungsärztin zu fungieren, war für sie, die notwendigen Punkte für eine eigene Praxis zu sammeln und gleichzeitig Beruf und Familie unter einen Hut zu bringen. „Die Arbeit als Vertretungsarzt ist sicherlich besonders für Frauen wegen ihrer familiären Verpflichtungen attraktiv“, meint Freunschlag. Sie gibt jedoch zu bedenken, dass es für Ärztinnen aus Gründen der Planbarkeit letztlich dennoch günstiger wäre, eine Dauervertretung anzustreben. „Der Hauptverband soll endlich erlauben, dass sich Ärzte Kassenverträge teilen oder dass Ärzte in einer Praxis andere Ärzte anstellen“, appelliert die Ärztin. Diese Vorgangsweise wäre für die Ärzte selbst und für die Patienten gleichermaßen von Vorteil, denn man dürfe nicht vergessen, dass der Hausarzt eine „aussterbende Gattung“ sei. Der Ärztemangel macht sich für Gabriele Freunschlag bereits dadurch bemerkbar, dass sie als Vertretungsärztin Anfragen nicht nur „aus dem hintersten Tirol, sondern etwa auch aus der Schweiz“ erhält…

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 5 / 10.03.2012