Prä­ven­tion und Gesund­heits­för­de­rung: Koope­ra­tion statt Isolation

25.04.2012 | Politik

Der Schlüs­sel zu einer erfolg­rei­chen Prä­ven­tion liegt darin, die Dinge an der Basis grund­le­gend zu ändern. Die Eini­gung auf gemein­same Gesund­heits­ziele und die Schaf­fung eines Bewusst­seins für die Gesund­heit bei jedem Ein­zel­nen sind wich­tige Ele­mente, wie Exper­ten kürz­lich bei einer Podi­ums­dis­kus­sion in Wien fest­stell­ten. Von Marion Huber

In einem der bes­ten Gesund­heits­sys­teme der Welt, gibt es einen „blin­den Fleck“, näm­lich die Prä­ven­tion, wie Univ. Prof. Bern­hard Schwarz, Prä­si­dent der Karl-Land­stei­ner-Gesell­schaft, zu Beginn der Ver­an­stal­tung „Prä­ven­tion und Gesund­heits­för­de­rung“ fest­stellte. Die Karl-Land­stei­ner-Gesell­schaft hatte zusam­men mit dem Haupt­ver­band der Sozi­al­ver­si­che­rungs­trä­ger Ende März nam­hafte Exper­ten ein­ge­la­den, um über die­ses Thema zu diskutieren.

Zwei­fels­ohne sei die medi­zi­ni­sche Infra­struk­tur in Öster­reich „her­aus­ra­gend“. Aber real betrach­tet hän­gen nur etwa 15 bis 20 Pro­zent des Out­co­mes für die Gesund­heit der Bevöl­ke­rung tat­säch­lich davon ab, gab Guido Offer­manns, Lei­ter des Karl-Land­stei­ner-Insti­tuts für Kran­ken­haus­or­ga­ni­sa­tion, zu beden­ken. Dane­ben seien es auch prä­dis­po­nie­rende Fak­to­ren wie die Gene­tik, der soziale Sta­tus und andere Deter­mi­nan­ten wie etwa die Bil­dung oder die Wohn­ver­hält­nisse, die die Gesund­heit beein­flus­sen. Des­halb müss­ten auch all diese Fak­to­ren berück­sich­tigt wer­den, wenn es um Stra­te­gien für die Gesund­heits­för­de­rung geht. „Health in all poli­cies“ sei dabei das Schlag­wort, denn ohne die Ein­bin­dung ande­rer Poli­tik­be­rei­che werde man zu kei­nem guten Ergeb­nis kom­men, so Offer­manns: „Jeder Euro, der in die Bil­dung fließt, ist ein Euro für die Gesund­heit.“ So unter­schied­lich die Ein­fluss­fak­to­ren sind, so unter­schied­lich sind auch die Ziel­grup­pen. Die Prä­ven­ti­onmüsse daher spe­zi­ell auf die jewei­lige Ziel­gruppe aus­ge­rich­tet sein.

Der Schlüs­sel zu einer erfolg­rei­chen Prä­ven­tion sei es, an der Basis Dinge grund­le­gend zu ändern und sich gleich­zei­tig der Grund­werte und Prin­zi­pien im Gesund­heits- und Sozi­al­sys­tem bewusst zu wer­den. Man müsse sich gemein­sam, mit einer inte­grier­ten Sicht, auf Gesund­heits­ziele eini­gen und auf Koope­ra­tion statt Iso­la­tion set­zen. „Es geht nicht darum, Spi­tä­ler zu schlie­ßen. Man muss neue Auf­ga­ben und so eine Win-Win-Situa­tion für alle schaf­fen. Die Spi­tä­ler müs­sen koope­rie­ren“, erklärte Offer­manns. Auch die Koope­ra­tion von Ärz­ten in Gesund­heits­zen­tren – die sich aller­dings in Ärz­te­hand befin­den – sei
ein zen­tra­ler Punkt. Diese könn­ten als „Puf­fer“ vor den über­las­te­ten Ambu­lan­zen fun­gie­ren. Offer­manns wei­ter: „Es gilt, Netz­werke zu schaf­fen, mit dem Haupt­fo­kus, die Pati­en­ten­ver­sor­gung zu ver­bes­sern.“ Am Ende gehe es sowohl um die Kran­ken­ver­sor­gung als auch um die Gesund­heits­för­de­rung: „Das eine geht nicht ohne das andere.“ Auch hier sei wie­derum die Poli­tik gefragt, ist der Experte über­zeugt: „Ohne eine Ver­än­de­rung der Struk­tu­ren und ent­spre­chende Finan­zie­rung wird es schwer wer­den, die Ziele zu errei­chen.“ Strikt ver­wehrt er sich gegen eine „Mone­tik statt Ethik“-Politik im Gesund­heits­we­sen: „Man muss sehr sorg­sam dar­auf ach­ten, dass das nicht pas­siert!“

Eigen­kom­pe­tenz fördern

ÖÄK-Prä­si­dent Wal­ter Dor­ner sieht die „Wur­zel der Pro­ble­ma­tik“ in der Gesund­heits­kom­pe­tenz jedes Ein­zel­nen: „Sie gehört ent­wi­ckelt!“ Dabei müsse man auch die „Kar­di­nal­frage“ beant­wor­ten, wel­che Bil­dungs­po­li­tik das Gesund­heits­we­sen braucht, um die Gesund­heits­ziele zu errei­chen. Denn: „Die Bil­dungs­po­li­tik – was Gesund­heit, Bewe­gung, Prä­ven­tion anbe­langt – beginnt de facto schon im Kin­der­gar­ten“, appel­lierte er. Hier gäbe es wesent­li­che Män­gel in der Ent­wick­lung der gesund­heit­li­chen Eigen­kom­pe­tenz: „Es hapert daran, dass der Back­ground und die Basics nicht da sind.“ Auch Hans Jörg Schel­ling, Vor­sit­zen­der im Haupt­ver­band der Sozi­al­ver­si­che­rungs­trä­ger, sieht im Bewusst­sein des Indi­vi­du­ums einen „Knack­punkt“. Sei­ner Ansicht nach müsse man mehr in die Bewusst­seins-Bil­dung inves­tie­ren und den Men­schen ver­mit­teln: ‚Du musst an dei­ner eige­nen Gesund­heit mit­wir­ken, denn du bist ein wesent­li­cher Fak­tor dafür.‘ Dies müsse in allen Lebens­be­rei­chen erfol­gen. Dabei dürfe man nicht den Feh­ler machen, die Gesell­schaft als „amor­phe Masse“ zu sehen; sie sei die Summe von Indi­vi­duen. „Und des­halb muss man auch beim Indi­vi­duum anset­zen“, sagte Schel­ling. Und fügte hinzu, dass es für die Ziel­er­rei­chung aber nicht aus­rei­chen werde, aus­schließ­lich an den Ein­zel­nen zu appel­lie­ren. „Wir reden immer vom Betrof­fe­nen, aber nicht von sei­nem Umfeld. Auch das muss man unbe­dingt ein­be­zie­hen.“ Denn: Eigen­ver­ant­wor­tung und Ver­hal­ten sind die eine Sache, die Ver­hält­nisse und das Umfeld eine andere. Dass man an bei­den Punk­ten anset­zen müsse, darin waren sich die Exper­ten einig.

Ver­hal­ten und Verhältnisse

Da Gesund­heit durch viele ver­schie­dene Fak­to­ren deter­mi­niert wird, „gilt es, auch an all die­sen Schrau­ben zu dre­hen“, kom­men­tierte Mar­tin Spren­ger vom Insti­tut für Sozi­al­me­di­zin und Epi­de­mio­lo­gie der Medi­zi­ni­schen Uni­ver­si­tät Graz: „Wenn Sie wol­len, dass sich Kin­der in der Schule bewe­gen, dann müs­sen Sie auch die ent­spre­chen­den Ver­hält­nisse schaf­fen. Man kann nicht nur for­dern.“ So zeige sich bei der Ver­hal­tens­prä­ven­tion oft, dass sie selek­tio­niert und die „Fal­schen“, näm­lich die Gesun­den, sie in Anspruch neh­men, wäh­rend hin­ge­gen bei der Ver­hält­nis­prä­ven­tion alle teil­neh­men und auch davon pro­fi­tie­ren. Univ. Prof. Jür­gen M. Peli­kan vom Lud­wig-Boltz­mann-Insti­tut für Health Pro­mo­tion Rese­arch mel­dete sich bei der anschlie­ßen­den Publi­kums­dis­kus­sion zu Wort und sprach sich dafür aus, einen brei­te­ren Ansatz zu wäh­len: „Ver­hält­nisse und Ver­hal­ten müs­sen klug kom­bi­niert wer­den.“ Es gehe nicht nur um die Pati­en­ten selbst, son­dern auch darum, „gesunde Arbeits­plätze, gesunde Kin­der­gär­ten und gesunde Schu­len sowie gesunde Gemein­den zu haben“.

Peter McDo­nald, Obmann-Stell­ver­tre­ter der SVA (Sozi­al­ver­si­che­rungs­an­stalt der gewerb­li­chen Wirt­schaft) bezeich­nete es als wesent­lich, die Prä­ven­tion gekonnt in das Sys­tem zu inte­grie­ren: „Das ist genau der Punkt. Wir haben die Vor­sorge noch nicht in dem not­wen­di­gen Aus­maß in das Gesund­heits­sys­tem inte­griert.“ So wer­den Men­schen in Öster­reich zwar immer älter, aber nicht gesün­der. Weni­ger als 60 beschwer­de­freie Jahre blie­ben einem Öster­rei­cher, obwohl Öster­reich gemes­sen an den Gesund­heits­aus­ga­ben euro­pa­weit im Spit­zen­feld liege; im Vor­der­grund stehe dabei aber die Repa­ra­tur­me­di­zin, nicht die Vor­sorge. Oder wie es Schel­ling for­mu­lierte: „Die Prä­ven­tion ist der Schlüs­sel, ob wir zu Kos­ten­dämp­fun­gen in der Repa­ra­tur­me­di­zin kom­men oder nicht.“ Das habe die SVA erkannt und des­halb mit dem Vor­sor­ge­mo­dell „Selb­stän­dig gesund“ unter kon­struk­ti­ver Mit­ar­beit der Ärz­te­schaft ein „Pio­nier­pro­jekt“ gestar­tet, bei dem in die Gesund­heit inves­tiert werde. Ein Umden­ken in der Pra­xis solle damit erzeugt wer­den, wie McDo­nald betonte: „Mit dem Modell wol­len wir bewusst nicht zwi­schen gesund und krank dis­kri­mi­nie­ren, son­dern einen Anreiz für alle schaffen.“

Prä­ven­tion belohnen

Auch ÖÄK-Prä­si­dent Dor­ner plä­dierte für die Schaf­fung von Anrei­zen zur Prä­ven­tion: „Man darf Prä­ven­tion ruhig beloh­nen – zwar nicht bei jedem Schritt, aber man kann auch nicht immer nur ver­lan­gen, ohne zu beloh­nen.“ Einig­keit herrschte unter den Exper­ten dar­über, dass Malus-Sys­teme nicht der rich­tige Weg sind. Spren­ger begrün­dete dies wie folgt: „Bestra­fungs-Sys­teme sind geschei­tert und heute ein No-Go. Bonus-Pro­gramme wir­ken zumin­dest kurz­fris­tig. Ob sie aller­dings auch län­ger­fris­tig auf Bewe­gung und Ernäh­rung wir­ken, lässt die Evi­denz eher offen.“ Dem ent­geg­nete McDo­nald: „Wenn man durch ein Bonus-Pro­gramm auch nur eine Per­son mehr zur Prä­ven­tion bewegt, ist die Inves­ti­tion für uns schon posi­tiv.“ Schel­ling ist über­zeugt, dass „in einem soli­da­risch finan­zier­ten Gesund­heits­sys­tem ein Malus-Sys­tem nicht grei­fen kann, weil es immer die Fal­schen trifft. Ich bin immer für Moti­va­tion und Anreize.“ Peter McDo­nald sprach sich über­haupt für eine stark Werte-ori­en­tierte Poli­tik aus, die auf soziale Gerech­tig­keit baut: „Eigen­ver­ant­wor­tung und Soli­da­ri­tät kön­nen nur gemein­sam funk­tio­nie­ren.“

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 8 /​25.04.2012