Medi­zin­stu­dium: Was Stu­den­ten erwarten

25.09.2012 | Politik


Dro­hende Regress­for­de­run­gen durch die Kran­ken­kas­sen einer­seits sowie die starre Hier­ar­chie an den Kli­ni­ken ande­rer­seits nen­nen deut­sche Medi­zin­stu­den­ten in einer Befra­gung als Haupt­gründe, sich gegen eine Nie­der­las­sung oder gegen eine Tätig­keit als Spi­tals­arzt zu ent­schei­den.
Von Ruth Mayrhofer

Die künf­ti­gen Ent­wick­lun­gen in Sachen Demo­gra­phie, medi­zi­nisch-tech­ni­schem Fort­schritt und das sich ändernde Ver­hal­ten von Pati­en­ten sowie die damit in Zusam­men­hang ste­hen­den Her­aus­for­de­run­gen in der Pati­en­ten­ver­sor­gung waren Anlass für eine bun­des­weite, Web-basierte Befra­gung* von Medi­zin­stu­die­ren­den in Deutsch­land, die auch Auf­schluss über künf­tige Ver­sor­gungs­trends und Ver­sor­gungs­de­fi­zite geben sollte. Exakt 12.518 Stu­die­rende – das sind 15,7 Pro­zent der Gesamt­heit der Medi­zin­stu­die­ren­den – haben daran teil­ge­nom­men. Die Umfrage wurde von der Uni­ver­si­tät Trier mit Unter­stüt­zung der Kas­sen­ärzt­li­chen Bun­des­ver­ei­ni­gung (KBV) gestal­tet. Die Fra­gen bezo­gen sich auf die Fach­arzt-Wei­ter­bil­dung, den Ort einer spä­te­ren Tätig­keit, auf die zu erwar­tende Arbeits­be­las­tung und auf bevor­zugte Regio­nen für die Berufs­aus­übung. Ebenso wur­den Fra­gen zu mög­li­chen Stol­per­stei­nen für die Auf­nahme einer spä­te­ren kli­ni­schen Tätig­keit gestellt.

Ins­ge­samt zeigte sich, dass die Ant­wor­ten­den in einem sehr hohen Maß an einer spä­te­ren kli­ni­schen Tätig­keit inter­es­siert sind. Wei­ter­bil­dun­gen wer­den über­wie­gend in spe­zia­li­sier­ten Fächern bevor­zugt. Eine ärzt­li­che Tätig­keit wird eher in grö­ße­ren Städ­ten als im länd­li­chen Bereich präferiert.

Als haupt­säch­li­che Bar­rie­ren für die Aus­übung des Arzt­be­ru­fes wur­den neben über­bor­den­der Büro­kra­tie und finan­zi­el­len Risi­ken bei der Tätig­keit im nie­der­ge­las­se­nen Bereich auch die feh­lende Ver­ein­bar­keit von Fami­lie und Beruf genannt. Die­ses Argu­ment war für ins­ge­samt 95,5 Pro­zent der Ant­wor­ten­den wich­tig; es gab dabei kaum Unter­schiede zwi­schen den Geschlech­tern. Immer­hin – und auch das zeigt die Umfrage auf – wol­len 88,8 Pro­zent der Befrag­ten spä­ter auf Kin­der nicht verzichten.

Auf die Frage, in wel­cher Fach­rich­tung sich die künf­ti­gen Ärz­tin­nen und Ärzte spe­zia­li­sie­ren wol­len, favo­ri­sier­ten die Frauen im Ran­king der Top 3 Kin­der- und Jugend­me­di­zin, All­ge­mein­me­di­zin und Gynä­ko­lo­gie. Bei den Män­nern hin­ge­gen lagen die Fächer Innere Medi­zin, Chir­ur­gie und Anäs­the­sio­lo­gie an der Spitze.

Die große Mehr­heit der Befrag­ten – rund 87 Pro­zent – erwar­tet, anfangs Voll­zeit zu arbei­ten und geht dabei von einer durch­schnitt­li­chen Arbeits­zeit von mehr als 50 Stun­den pro Woche aus. Eine nach Mög­lich­keit selbst­stän­dige Ein­tei­lung der Arbeits­zeit ist für 75,5 Pro­zent aller Befrag­ten dabei bedeut­sam. Immer­hin 60,9 Pro­zent – in der Mehr­heit Frauen – gaben an, gern auf Teil­zeit-Basis arbei­ten zu wol­len. Nimmt man das Alter der weib­li­chen Ant­wor­ten­den genauer unter die Lupe, stellt man fest, dass mit dem Alter der Befrag­ten auch der Wunsch nach Teil­zeit kon­ti­nu­ier­lich zunimmt.

Ledig­lich knapp 20 Pro­zent der Befrag­ten erwä­gen eine spä­tere For­schungs­tä­tig­keit. Direkt in der Pati­en­ten­ver­sor­gung tätig zu sein, ist hier die Prio­ri­tät. Somit wer­den eine ‚ange­stellte Tätig­keit im Kran­ken­haus‘ oder eine ‚Nie­der­las­sung als Fach­arzt in ambu­lan­ter Pra­xis‘ als erstre­bens­wer­ter ange­se­hen. Die gene­relle Bereit­schaft zur Nie­der­las­sung – als Haus- oder Fach­arzt – war bei bei­den Geschlech­tern ver­gleich­bar hoch.

Bar­rie­ren

Wel­che Bar­rie­ren sehen die Befrag­ten, wenn es um eine Nie­der­las­sung oder um eine Tätig­keit in einem Spi­tal geht? Was die Nie­der­las­sung betrifft, sind es vor­ran­gig finan­zi­elle Aspekte und büro­kra­ti­sche Hemm­nisse, die den Stu­die­ren­den Sor­gen berei­ten. 49,9 Pro­zent nann­ten „dro­hende Regress­for­de­run­gen durch die Kran­ken­kas­sen“ als Grund dafür, sich gegen eine Nie­der­las­sung zu ent­schei­den. Auch die Aus­sicht, dass es zu einem ungüns­ti­gen Ver­hält­nis zwi­schen Arbeit und Frei­zeit mit der Fami­lie kommt, spielt eine Rolle. Gründe, sich gegen die Aus­übung des ärzt­li­chen Berufs im Spi­tal zu ent­schei­den, waren für die Befrag­ten die hohe Arbeits­be­las­tung, die schlechte Ver­ein­bar­keit von Fami­lie und Beruf und die nicht ange­mes­sen zur Ver­fü­gung ste­hende Zeit für die Behand­lung der Pati­en­ten. Genauso wurde die starre Hier­ar­chie an den Kli­ni­ken als „Lie­ber nicht-Fak­tor“ genannt.

Bei der ange­streb­ten Wahl des Ortes für eine Berufs­aus­übung wer­den­grö­ßere Städte gegen­über länd­li­chen Gebie­ten deut­lich bevor­zugt. Dabei dürfte auch die soziale Her­kunft der Stu­die­ren­den eine Rolle spie­len: Stu­die­rende, die auf dem Land auf­ge­wach­sen sind, oder Frauen sind eher bereit, ihren Beruf in länd­li­chen Regio­nen aus­zu­üben als Per­so­nen, die im städ­ti­schen Bereich groß gewor­den sind. Als Anreiz für eine Nie­der­las­sung am Land wün­schen sich die Befrag­ten Unter­stüt­zung in Finanz­fra­gen und finan­zi­elle Anreize – spe­zi­ell in finan­zi­ell unat­trak­ti­ven Gebie­ten sowie bei der Ein­glie­de­rung einer Arzt­fa­mi­lie in einer länd­li­chen Region.

Die vor­lie­gen­den Umfrage-Ergeb­nisse decken sich weit­ge­hend mit bis­he­ri­gen deut­schen und inter­na­tio­na­len Unter­su­chun­gen. Dabei ist auch im inter­na­tio­na­len Kon­text beson­ders die haus­ärzt­li­che Ver­sor­gung in länd­li­chen Gebie­ten ein Sor­gen­kind. Wie Stu­dien zei­gen, könnte jedoch zum Bei­spiel auch nur ein aus­ge­dehn­te­res Ange­bot von Prak­tika in länd­li­chen Gebie­ten die Lauf­bahn­ent­schei­dung von Medi­zin­stu­die­ren­den posi­tiv beeinflussen.

*) Gibis B., Heinz A., Jacob R., Mül­ler Ch.: The career expec­ta­ti­ons of medi­cal stu­dents; fin­dings of a nati­on­wide sur­vey in Ger­many. Dtsch Ärz­tebl Int 2012; 109(18): 327–32. DOI: 10.3238/arztebl.2012.0327; Kas­sen­ärzt­li­che Bun­des­ver­ei­ni­gung Ber­lin: Dr. med. Gibis, Dr. med. Mül­ler; Uni­ver­si­tät Trier, Fach­be­reich IV Soziologie/​Empirische Sozi­al­for­schung: Dr. phil. Heinz, Prof. Dr. phil. Jacob

Inter­view – Roland Stahl

„Nicht ohne Überraschungen”

Roland Stahl, Pres­se­spre­cher der Kas­sen­ärzt­li­chen Bun­des­ver­ei­ni­gung (KBV) mit Sitz in Ber­lin (D), kom­men­tiert im Gespräch mit Ruth Mayr­ho­fer die Ergeb­nisse der bun­des­wei­ten Befra­gung hin­sicht­lich der Erwar­tungs­hal­tun­gen von Medi­zin­stu­die­ren­den in Deutschland.

ÖÄZ: Waren für Sie die Ergeb­nisse die­ser Befragung‚wie erwar­tet‘ oder gab es dabei Über­ra­schun­gen?
Stahl: Es gab zwei­fels­ohne Über­ra­schun­gen. Uns hat erstaunt, dass die Furcht vor Regres­sen bei Arz­nei­mit­teln bei den Medi­zin­stu­den­ten so aus­ge­prägt war und als eines der Haupt­hin­der­nisse für eine Nie­der­las­sung benannt wurde. Dabei haben die Stu­den­ten ja noch keine Erfah­run­gen damit sam­meln kön­nen. Aber hier zeigte sich deut­lich, wie berech­tigt unsere For­de­rung ist, dass die Regresse end­lich kom­plett abge­schafft wer­den. In die­ser Klar­heit haben wir auch nicht erwar­tet, dass sich Medi­zin­stu­den­ten ein­deu­tig für Groß- und Mit­tel­städte als Wir­kungs­orte ent­schei­den. Das fla­che Land bezie­hungs­weise alle Orte mit weni­ger als 5.000 Ein­woh­nern wur­den als unat­trak­tiv eingeschätzt.

Es zeigt sich, dass die Stu­die­ren­den eher zu einer Berufs­tä­tig­keit im urba­nen Umfeld als in länd­li­chen Gebie­ten ten­die­ren. Wie könnte man die Attrak­ti­vi­tät des Land­arzt-Berufs so erhö­hen, dass es junge Medi­zi­ner wie­der aufs Land zieht?
Das neue Ver­sor­gungs­struk­tur­ge­setz bie­tet seit Beginn des Jah­res einen gan­zen Strauß an Mög­lich­kei­ten, die Attrak­ti­vi­tät des Land­arzt­be­rufs zu erhö­hen. Dazu gehö­ren finan­zi­elle Maß­nah­men genauso wie der Weg­fall der Resi­denz­pflicht, also der Ver­pflich­tung, auch am Ort des Pra­xis­sit­zes den pri­va­ten Wohn­sitz zu haben. Ins­ge­samt müs­sen wir aber die Her­aus­for­de­rung des dro­hen­den Ärz­te­man­gels als gesamt­ge­sell­schaft­li­che Auf­gabe begrei­fen. Das heißt: Kom­mu­nen sind dazu auf­ge­ru­fen, ihre Stand­orte attrak­tiv zu gestal­ten, sei es über Erleich­te­run­gen, Pra­xen bau­lich ein­zu­rich­ten oder über die Gestal­tung einer attrak­ti­ven Infra­struk­tur. Bei der Ansied­lung von Arzt­pra­xen gel­ten letzt­lich ähn­li­che Regeln wie für die Ansied­lung von Indus­trie­be­trie­ben oder Gewer­be­ein­rich­tun­gen.

Wel­che Maß­nah­men set­zen Sie dafür bezie­hungs­weise wer­den Sie set­zen?

Schon seit Jah­ren bie­ten viele Kas­sen­ärzt­li­che Ver­ei­ni­gun­gen finan­zi­elle Hil­fen an wie Inves­ti­ti­ons­un­ter­stüt­zun­gen oder Umsatz­ga­ran­tien. Doch Geld ist bekannt­lich nicht alles. Dane­ben wol­len wir im nächs­ten Jahr im Rah­men einer Kam­pa­gne die authen­ti­sche Situa­tion der nie­der­ge­las­se­nen Ärzte beschrei­ben. Denn der Beruf des nie­der­ge­las­se­nen Medi­zi­ners birgt viele schwie­rige, aber auch schöne Sei­ten. Das hat erst jüngst unsere Befra­gung von 11.000 Ärz­ten und Psy­cho­the­ra­peu­ten gezeigt. Die Zufrie­den­heit mit dem eige­nen Beruf ist sehr hoch, trotz aller Wid­rig­kei­ten und vor allem büro­kra­ti­scher Hür­den. Zudem wol­len wir die Bedarfs­pla­nung fle­xi­bler machen und sie anpas­sen an die Beson­der­hei­ten von länd­li­chen und städ­ti­schen Räu­men. So kön­nen ziel­ge­rich­tet dort neue Pra­xis­sitze geschaf­fen wer­den, wo es auch einen ent­spre­chen­den Bedarf gibt. Berück­sich­ti­gen müs­sen wir auch die Wün­sche vie­ler Medi­zi­ner, eine sinn­volle Balance von Fami­lie und Beruf zu fin­den.

Wie wür­den Sie die heu­ti­gen Medi­zin­stu­die­ren­den cha­rak­te­ri­sie­ren?
Die heu­ti­gen Medi­zin­stu­den­ten wis­sen genau, dass sie sich spä­ter ein­mal aus­su­chen kön­nen, wo und wie sie arbei­ten möch­ten. Es ist eine selbst­be­wusste und prag­ma­tisch ori­en­tierte Generation.

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 18 /​25.09.2012