Kommentar – Dr. Lukas Stärker: ELGA für Spitalsärzte: fraglicher Nutzen

10.02.2012 | Politik



Fraglich ist der medizinische Nutzen von ELGA für Spitalsärzte in mehrfacher Hinsicht. Denn schon jetzt zeichnet sich eines ab: ELGA bedeutet für die in den Spitälern tätigen Ärztinnen und Ärzte jedenfalls eine enorme Mehrbelastung – etwa in administrativer Hinsicht.

Von Lukas Stärker*

Hinsichtlich elektronischer Gesundheitsakte ELGA und Spitälern hört man zumeist, dass „es so etwas ohnehin schon gibt“ und dass „sich daher wenig ändern werde“. Beides trifft jedoch nicht zu – und zwar aus folgenden Gründen:

Derzeit gibt es in Krankenanstalten zwar eine elektronische Dokumentation von Patientendaten, aber eben nur über den/die Aufenthalte eines Patienten im konkreten Spital beziehungsweise in Spitälern desselben Krankenanstaltenträgers. Gesundheitsdaten von anderen Krankenhäusern oder Befunde von niedergelassenen Ärzten stehen elektronisch nicht zur Verfügung und können daher auch nicht aufgerufen werden. Weiters sind in diesen Systemen für Patienten keine Aus- und Einblendemöglichkeiten hinsichtlich ihrer Gesundheitsdaten vorgesehen. Daran können auch ähnliche Programmbezeichnungen wie etwa IGOR oder NÖ-ELGA nichts ändern.

Mit der geplanten Verwendungspflicht von ELGA durch Spitalsärzte und Spitalsärztinnen wird sich im Tagesablauf im Spital – da etwas Neues dazukommt – doch einiges ändern:

  1. Zu erwarten ist, dass ELGA – vor allem, wenn die Spitals-EDV nicht massiv aufgerüstet wird – zu einem administrativen Mehraufwand führen wird, da pro futuro mehr beziehungsweise zusätzlich externe Befunde aufgerufen und geprüft werden müssen.
  2. Dieser Mehraufwand und die daraus resultierenden EDV-Verzögerungen werden wohl zu einer Verlangsamung bei der Patientenbehandlung führen.
  3. Der konkrete Ablauf im Krankenhaus ist unklar: Eine Vielzahl von Behandlern und Betreuern wird Zugriff haben beziehungsweise benötigen. Es stellen sich insbesondere die Fragen:
    • Wer hat im Spital wann Einsicht in ELGA?
    • Wie stellt man – vor allem bei Verwendungspflicht – sicher, dass jene Einsicht nehmen, die davon profitieren und jene nicht, wo die Einsicht nur den Aufwand erhöht?
    • Wie übt der Patient seine ELGA-Rechte im Krankenhaus aus?

    Auf all diese Punkte geht der Gesetzesentwurf nicht ein.

  4. Weiters wird sich vor allem in Fällen der Nutzung eines PCs durch mehrere Ärzte ein potentieller Mehraufwand ergeben, da sich die einzelnen Ärzte – sämtliche Zugriffe unter Angabe des Namens des Zugreifers sollen protokolliert werden – pro futuro stets mit ihrem Namen in das System ein- und auszuloggen haben. Der vorliegende Gesetzesentwurf geht darauf jedoch nicht ein und auch die EDV-Systeme sind meist nicht darauf eingestellt.
  5. Dieser Mehraufwand wird – da entsprechende Personalaufstockungen nicht zu erwarten sind – dazu führen, dass Ärzte entweder länger arbeiten müssen oder pro futuro noch weniger Zeit für die Patienten haben werden.
  6. Insbesondere für den 24-Stunden-Betrieb von Spitälern muss auch eine 24-stündige Verfügbarkeit des ELGA-Systems gesetzlich garantiert sein. Der Gesetzesentwurf regelt dies jedoch nicht, sondern enthält lediglich eine Blanko-Ermächtigung des Gesundheitsministers, durch Verordnung „Mindeststandards für zeitliche Verfügbarkeit“ festzulegen. Nach Art 18 B-VG müssen Verordnungsermächtigungen jedoch stets gesetzlich inhaltlich determiniert sein. Die technischen Mindeststandards sind daher im Gesetz zu definieren.
  7. Zusätzlich fehlt ein ELGA-Verantwortlicher, der dann haftet, wenn das System nicht – wie versprochen – funktionieren sollte.
  8. Pro futuro wird es wahrscheinlich zwei Dokumentationen geben: eine vollständige in den Spitälern über die jeweiligen Spitalsaufenthalte beziehungsweise vollständige Dokumentationen bei niedergelassenen Ärzten über die jeweiligen Patientenbesuche und eine unvollständige/nicht garantiert vollständige/geschönte/vom Patienten zensurierte Dokumentation in ELGA. Während also bei der Einsicht in die Spitalsdokumentation klar ist, dass diese vollständig ist, kann man bei den ELGA-Befunden nicht davon ausgehen.
  9. Im Entwurf fehlt eine Suchfunktion. Diese sollte es ermöglichen, möglichst rasch an die relevante Information zu kommen: In diesem Zusammenhang zu klären ist auch die Verantwortlichkeit/Haftung für das Suchergebnis.
  10. Derzeit ist ebenfalls nicht vorgesehen, dass es eine Möglichkeit der Korrektur von ELGA-Befunden/Dokumenten gibt; auch dies muss im Konsens erarbeitet und gesetzlich fixiert werden, vor allem beim derzeitigen Planungsstand, wo derjenige, der Befunde in das System einbringt, nicht sehen kann, wer auf „seine“ Befunde zugegriffen hat.
  11. Für Spitalsärzte ist in punkto Datenschutz und Datensicherheit zu beachten, dass auch deren persönliche Gesundheitsdaten – sofern kein opt out erfolgt – in ELGA enthalten sein werden, was besonders gegenüber dem Arbeitgeber beziehungsweise dem Spitalsträger, aber auch möglicherweise gegenüber Arbeitskollegen problematisch ist. (Bisher waren persönliche Gesundheitsdaten von Spitalsärzten nur dann im System, wenn sie sich im selben Krankenhaus beziehungsweise beim selben Krankenanstaltenträger behandeln ließen.)
  12. Potentiell wird es zu mehr Haftungsfällen kommen, da immer mehr Informationen zu berücksichtigen sein werden; die dafür notwendige Zeit wird jedoch vom Dienstgeber nicht zur Verfügung gestellt.
  13. Der medizinische Nutzen für Spitalsärzte ist fraglich. So ist es zweifellos für Ärzte und Ärztinnen vorteilhaft, zu wissen, welche Medikamente ein Patient nimmt. Dieser Vorteil wird jedoch sofort wieder relativiert, wenn Patienten Medikamente ausblenden beziehungsweise unsichtbar machen können. Es ist klar, welche das sein werden: Jene, die auf für den Patienten unangenehme Krankheiten und Vorkommnisse schließen lassen (HIV, Geschlechtskrankheiten, Psychopharmaka, Potenzmittel, etc). Damit ist auch klar, dass ELGA die Wechselwirkungsproblematik ganz bestimmt nicht lösen wird!
  14. Weiters ist eine potentielle Verschlechterung der Ausbildungssituation zu erwarten, da Jungärzte dann – vermutlich noch mehr als heute – für administrative Tätigkeiten wie die Eingabe von Daten und besonders für das Aufsuchen von Daten eingesetzt werden.
  15. Entlassungsbriefe müssen pro futuro in ELGA hineingestellt werden; der Gesetzesentwurf legt aber deren Umfang und Inhalt nicht fest: Gehören Labor- und Radiologiebefunde dazu? Welche? Alle oder nur diejenigen, die zuletzt erstellt wurden?
  16. ELGA ist viel zu komplex angelegt: Unzählige Links müssen aufgehen, damit man an die in verschiedenen Datenspeichern liegenden Patientenbefunde kommt. Bereits beim Onlinebanking, also bei gerichteter Kommunikation sieht man, wie fehleranfällig die EDV ist. Bei ELGA soll das Ganze nun plötzlich viel komplexer und rascher und zuverlässig via ungerichteter Kommunikation funktionieren, wo nicht einmal bekannt ist, aus welchen und wie vielen Speichern die jeweiligen Befunde kommen?
  17. Das viele für ELGA ausgegebene Geld wird woanders fehlen und unter Umständen Einsparungen erfordern. ELGA ist daher kein Sparprojekt im Sinne einer Schuldenbremse.

Basis für eine funktionstüchtige ELGA ist die vorhergehende konsensuelle Klärung der Punkte Nutzen, Kosten, Verantwortlichkeit/Haftung und Datenschutz sowie der offenen Fragen, die speziell Spitalsärztinnen und Spitalsärzte betreffen. Diese Punkte müssen dann – sobald sie geklärt sind – gesetzlich fixiert werden. Der derzeitige Entwurf enthält weder klare Lösungen noch einen Konsens. Nachbesserungen beziehungsweise substantielle Verhandlungen werden folgen müssen. Eine Gesetzwerdung kann daher sinnvollerweise erst dann erfolgen, wenn diese Punkte geklärt sind.

*) Dr. Lukas Stärker ist stv. Kammeramtsdirektor der ÖÄK

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 3 / 10.02.2012