Inter­view – Dr. Karl­heinz Kux: Ärzt­li­che Unab­hän­gig­keit in der Berufsausübung

10.05.2012 | Politik

Öster­reich hat nach wie vor ein gutes Gesund­heits­sys­tem, bei dem aller­dings die Eigen­ver­ant­wort­lich­keit der Ärzte gegen­über ihren Pati­en­ten von der Poli­tik wie­der mehr geach­tet wer­den müsste, sagt der ehe­ma­lige Kam­mer­amts­di­rek­tor der ÖÄK, Karl­heinz Kux, in einem Rück­blick auf 38 Jahre Tätig­keit in der ÖÄK im Gespräch mit Agnes M. Mühl­gas­s­ner.


ÖÄZ: Wie ist das, wenn man nach 26 Jah­ren Tätig­keit als Kam­mer­amts­di­rek­tor der ÖÄK in Pen­sion geht?

Kux: Ich habe schon ein­mal im Leben die beruf­li­che Erfah­rung gemacht, dass, bei einer Been­di­gung zum rich­ti­gen Zeit­punkt, die posi­ti­ven Gefühle und die Freude über die unan­ge­neh­men Gefühle wie Trau­rig­keit und Abschied über­wie­gen. Und es ist mit Sicher­heit der abso­lut rich­tige Zeit­punkt, jetzt die Lei­tung des Kam­mer­am­tes an zwei Nach­fol­ger zu über­ge­ben, mit denen ich viele Jahre sehr, sehr gut zusam­men­ge­ar­bei­tet habe, sach­lich, kol­le­gial, freund­schaft­lich. Es ist wahr­schein­lich für enga­gierte Men­schen über­haupt kein Ziel, in Pen­sion zu gehen, son­dern ein Sta­dium, das dann ein­fach eintritt.

Wieso schei­den Sie knapp vor dem Ende der Funk­ti­ons­pe­ri­ode der ÖÄK Ende Juni 2012 aus?
Als das Prä­si­dium der ÖÄK vor fünf Jah­ren bei sei­nem Funk­ti­ons­an­tritt den Wunsch geäu­ßert hat, ich möge noch für diese Funk­ti­ons­pe­ri­ode zur Ver­fü­gung ste­hen, habe ich gerne zuge­sagt. Nie­mand von uns hat damals daran gedacht, dass das ein sehr unprak­ti­scher Zeit­punkt ist.

Inwie­fern unprak­tisch?

Die­ser Zeit­punkt ist eigent­lich unge­eig­net, denn die Admi­nis­tra­tion muss durch­ge­hend und geord­net wei­ter­ge­hen und rei­bungs­los funk­tio­nie­ren. Die Umstel­lung von der Lei­tung des Kam­mer­am­tes von einer Per­son auf zwei Per­so­nen ist schon allein des­halb not­wen­dig, weil die ÖÄK einen sehr gro­ßen Aufgaben‑, Kom­pe­tenz- und Ser­vice­um­fang ange­nom­men hat. Würde man diese Umstel­lung am Ende der Funk­ti­ons­pe­ri­ode Ende Juni begin­nen, fiele das in die Urlaubs­zeit, wenn die Mit­ar­bei­te­rin­nen und Mit­ar­bei­ter auf Urlaub sind. Die Umstel­lung würde in den Herbst hin­ein gehen. Mög­li­cher­weise hätte man das schon vor fünf Jah­ren beden­ken kön­nen, aber wir haben die­sen Aspekt nicht beach­tet. Anfang April ist es mir bewusst gewor­den, dass wir doch eine mehr­wö­chige Umstel­lungs­phase brau­chen und da waren dann die Sit­zun­gen des Prä­si­di­ums und des Vor­stan­des am 18. April der rich­tige Zeit­punkt, meine aktive Tätig­keit zu beenden.

Wenn man auf 38 Jahre Tätig­keit in der Öster­rei­chi­schen Ärz­te­kam­mer zurück­bli­cken kann, gibt es sicher prä­gende Ereig­nisse.
Wie ich Anfang 1974 in der Öster­rei­chi­schen Ärz­te­kam­mer begon­nen habe, hat es 15.000 Ärzte und 30 Mit­ar­bei­ter in der ÖÄK gege­ben. Heute sind es 41.000 Ärzte und ins­ge­samt 105 Mit­ar­bei­ter. In knapp 40 Jah­ren haben sich in Öster­reich alle Unter­neh­mun­gen, alle Fir­men und Insti­tu­tio­nen enorm wei­ter ent­wi­ckelt und expan­diert. Das war auch bei der ÖÄK der Fall, das ist also kein beson­de­res Ereig­nis. Aber wir erle­ben viel­leicht doch mehr als in ande­ren Berei­chen die stür­mi­sche Ent­wick­lung der Medi­zin, der Phar­ma­ko­lo­gie, der Medi­zin­tech­nik und auch der Demo­gra­phie. Und diese Ent­wick­lung hat sich natür­lich auf die ÖÄK aus­ge­wirkt, das ist über­haupt keine Frage.

Wel­che kon­kre­ten Kon­se­quen­zen hatte und hat das für die ÖÄK?

Wir haben in die­sen Jah­ren enorme Anfor­de­run­gen in quan­ti­ta­ti­ver, aber natür­lich auch in qua­li­ta­ti­ver Hin­sicht gehabt. Das hat sich lei­der in viel zu viel Legis­tik und poli­ti­scher, juris­ti­scher, büro­kra­ti­scher, tech­no­kra­ti­scher Ein­fluss­nahme auf die Medi­zin abge­spielt; und das hat natür­lich auch für die Selbst­or­ga­ni­sa­tion der ärzt­li­chen Inter­es­sens­ver­tre­tung Fol­gen gehabt. Ich habe mich immer dage­gen gewehrt, dass man uns als Lob­by­is­ten abstem­pelt. Die ÖÄK ist viel mehr als eine gesetz­li­che Inter­es­sen­ver­tre­tung. Sie ist Behörde, wir haben viele Behör­den­auf­ga­ben dazu bekom­men und wir haben dabei Staats­auf­ga­ben für das Minis­te­rium über­nom­men. Und ich bin über­zeugt davon, dass das abso­lut rich­tig ist, weil wir für das Funk­tio­nie­ren des Gesund­heits­we­sens gebraucht wer­den müs­sen. Wenn wir nur eine Inter­es­sen­ver­tre­tung, ein gesetz­li­cher Lob­by­ist wären, dann wären wir nur eine Art Gewerk­schaft oder eine Art Lob­by­ing-Club, aber wir haben eine Ver­ant­wor­tung für die Ver­sor­gung der Bevöl­ke­rung im nie­der­ge­las­se­nen Bereich wie im Spi­tals­be­reich. Wir haben eine Ver­ant­wor­tung wie zum Bei­spiel für die Aus­bil­dung, Fort­bil­dung, Qua­li­täts­si­che­rung, für die elek­tro­ni­sche Infra­struk­tur im Kas­sen­sys­tem, die Wah­rung des ärzt­li­chen Berufs­an­se­hens und der ärzt­li­chen Berufs­pflich­ten und für die Füh­rung der Ärz­te­liste als Vor­aus­set­zung für die Berufs­be­rech­ti­gung und die Berufs­be­fug­nis von Ärz­ten. Ich bin auch der tie­fen Über­zeu­gung, dass diese Auf­ga­ben im eige­nen Wir­kungs­be­reich, aber auch wenn sie im über­tra­ge­nen Wir­kungs­be­reich für und gemein­sam mit dem Gesund­heits­mi­nis­te­rium wahr­ge­nom­men wer­den, bei allen Schwie­rig­kei­ten und Ärger­nis­sen, die wir dabei haben, rich­tig und not­wen­dig sind und dass wir sie wei­ter­füh­ren sollen.

Gibt es einen Grund­satz, der über Ihrer Arbeit gestan­den ist?
Meine Phi­lo­so­phie war immer: Nur wenn die Poli­tik uns braucht, wird sie uns auch schät­zen. Und meine wei­tere Grund­po­si­tion ist, dass wir als Ärz­te­kam­mer eine Schutz­funk­tion, ein Schutz­schild zwi­schen Poli­tik und Ärz­te­schaft sein müs­sen. Die Poli­tik soll uns allen Ärger machen, den sie machen will, aber sie soll die Ärz­tin­nen und Ärzte ver­scho­nen. Wir müs­sen dar­auf ach­ten, dass mög­lichst wenig bis keine direkte Ein­fluss­nahme der Poli­tik auf die Berufs­aus­übung der Ärz­tin­nen und Ärzte statt­fin­det. Dafür sol­len wir als Ärz­te­kam­mer jeden Ärger und jede Ver­ant­wor­tung in Kauf nehmen.

Wel­che Rolle spielt dabei die Öko­no­mie?
Die Pro­ble­ma­tik ist, dass die Medi­zin sich welt­weit ent­wi­ckelt, aber natio­na­len Finanz-Zwangs­ja­cken unter­liegt. Und das ist das enorme Span­nungs­ver­hält­nis, das sich stän­dig abspielt und das in einem Gesund­heits­sys­tem, das sich gerne zu den bes­ten der Welt zählt. Ich glaube auch, dass wir ein gutes Gesund­heits­sys­tem, aber keine so guten Sys­tem­er­hal­ter haben.

Was hat sich grund­sätz­lich geän­dert, wenn man die Arbeits­be­din­gun­gen von heute mit jenen Anfang der 1970er Jahre ver­gleicht?
Es ist für alle viel schwie­ri­ger gewor­den. Wir lei­den ja doch alle dar­un­ter, dass sich unser Leben enorm ver­dich­tet und beschleu­nigt hat. Und da wir nicht die ober­fläch­li­che, ame­ri­ka­ni­sche Lebens­form haben, und uns aus Tra­di­tion her­aus eigent­lich einer mög­lichst qua­li­ta­ti­ven Berufs­aus­übung ver­pflich­tet füh­len, tun wir uns mit der Infor­ma­ti­ons­menge, mit dem Tempo und mit der damit ver­bun­de­nen Ober­fläch­lich­keit alle doch ziem­lich schwer.

Wie war das Ver­hält­nis zur Poli­tik am Beginn Ihrer Tätig­keit?
Es war ein­fa­cher und per­sön­li­cher. Viel weni­ger Men­schen als heute haben poli­ti­sche Ent­schei­dungs­ge­walt gehabt. Heute haben Büro­kra­ten, Tech­no­kra­ten und vor allem die Medien einen unglaub­li­chen Ein­fluss auf die sach­li­che und poli­ti­sche Arbeit und Ent­schei­dung und zwar kei­nen guten. Ich kri­ti­siere hier beson­ders die Medien, die ja mit ihrer Kri­tik an poli­tisch Ver­ant­wort­li­chen wei­tere Unzu­frie­den­heit bewusst pro­vo­zie­ren. Ich bedaure es außer­or­dent­lich, dass in Öster­reich keine Dis­kus­sion über die poli­ti­sche Ver­ant­wor­tung der Medien geführt wird, deren Auf­de­cker­funk­tion jedoch posi­tiv zu bewer­ten ist.

Wel­che Posi­tion haben Sie der Poli­tik gegen­über ver­tre­ten?
Ich glaube, dass es ganz wich­tig ist, dass man auf die Frei­be­ruf­lich­keit und damit die berufs­aus­übende Unab­hän­gig­keit und Eigen­ver­ant­wort­lich­keit der Ärz­tin­nen und Ärzte, egal ob nie­der­ge­las­sene oder ange­stellte Ärz­tin­nen und Ärzte, ganz beson­ders Wert legen sollte. Das ist in mei­nen Augen der Hebel für alles. Wenn man das ver­folgt, dann erge­ben sich dar­aus schon die rich­ti­gen Folgen.

Wo lie­gen die Her­aus­for­de­run­gen des Gesund­heits­we­sens in Zukunft ganz gene­rell?
Das Sys­tem wurde aus föde­ra­lis­ti­schem Eigen­sinn viel zu sehr spi­tals­las­tig orga­ni­siert und nun weiß man nicht so recht, wie davon weg­zu­kom­men ist. Der Spi­tals­sek­tor ist bei gleich­zei­ti­ger Auf­wer­tung des nie­der­ge­las­se­nen Berei­ches zu redi­men­sio­nie­ren. Vie­les könnte im nie­der­ge­las­se­nen Bereich gemacht wer­den, wenn man die­sen ent­spre­chend ent­wi­ckelt. Aber die jet­zige Füh­rung der sozia­len Kran­ken­ver­si­che­rung hat nichts Ande­res im Sinn, als den nie­der­ge­las­se­nen Sek­tor aus rein finanz­po­li­ti­schen Zie­len her­un­ter zu fah­ren. Und sie macht eben genau das nicht, was zur Spi­tals­ent­las­tung not­wen­dig wäre: neue Kas­sen­plan­stel­len, neue Kas­sen­ärzte, neue Grup­pen­pra­xen, neue Leis­tun­gen – obwohl wir das seit Jah­ren ver­lan­gen. Die soziale Kran­ken­ver­si­che­rung hat schlicht und ein­fach ver­sagt, wenn es darum geht, die Spi­tals­ent­las­tung zu ent­wi­ckeln. Viel­leicht sogar mit Absicht?

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 9 /​10.05.2012