Inter­hos­pi­tal­trans­porte: Rich­tungs­wei­sen­des Modell aus Graz

15.07.2012 | Politik



Bei mehr als jedem zwei­ten Inter­hos­pi­tal­trans­port ist die Anwe­sen­heit eines Inten­siv­me­di­zi­ners oder Not­arz­tes nicht erfor­der­lich; den­noch wer­den die Trans­porte groß­teils von Ärz­ten beglei­tet. Das LKH Graz zeigt, dass es auch anders geht.
Von Eli­sa­beth Gerstendorfer

Stei­gende Qua­li­täts­si­che­rung und Ver­sor­gungs­op­ti­mie­rung füh­ren dazu, dass Pati­en­ten, die von einem Kran­ken­haus in ein ande­res trans­por­tiert wer­den, keine Sel­ten­heit sind: Allein im Lan­des­kran­ken­haus-Uni­ver­si­täts­kli­ni­kum Graz erfol­gen jähr­lich rund 800 Boden-gebun­dene Inter­hos­pi­tal­trans­porte von The­ra­pie- und über­wa­chungs­pflich­ti­gen Pati­en­ten. Der Ver­sor­gungs­be­darf wäh­rend der Fahrt im Ret­tungs­fahr­zeug ist dabei unter­schied­lich: Er reicht von ein­fa­cher Moni­tor­über­wa­chung (wie bei­spiels­weise EKG, Blut­druck) bis hin zu inten­siv­me­di­zi­ni­schen Maß­nah­men bei kri­tisch kran­ken Pati­en­ten. Trotz der Band­breite an not­wen­di­gen Ver­sor­gungs­maß­nah­men wer­den Inter­hos­pi­tal­trans­porte in Öster­reich nach wie vor über­wie­gend von Inten­siv­me­di­zi­nern oder Not­ärz­ten beglei­tet – auch wenn diese für den Trans­port eigent­lich nicht benö­tigt wer­den. In Zei­ten von Ärzte- und Per­so­nal­man­gel gehen diese Res­sour­cen anderswo ab, sagt Michael Lang, Prä­si­dent der Ärz­te­kam­mer Bur­gen­land und Lei­ter des Refe­rats für Not­fall- und Ret­tungs­dienste sowie Kata­stro­phen­me­di­zin. „Ärzte bei Trans­por­ten von sta­bi­len, nur moni­tier­ten Pati­en­ten mit­zu­schi­cken, die eigent­lich von ent­spre­chend aus­ge­bil­de­ten Not­fall­sa­ni­tä­tern beglei­tet wer­den kön­nen, ist nicht ziel­füh­rend“, so Lang.

Bis­her sind ein­zig in der Stei­er­mark nur dann Ärzte bei Trans­por­ten im Ret­tungs­fahr­zeug, wenn sie tat­säch­lich benö­tigt wer­den. Seit 2004 wird durch einen Drei-Stu­fen­plan in Abhän­gig­keit vom Zustand des Pati­en­ten fest­ge­legt, wel­ches Fach­per­so­nal den Trans­port beglei­tet. „Stufe 1 umfasst Pati­en­ten, die nur eine Über­wa­chung benö­ti­gen. Dazu zäh­len etwa Pati­en­ten im Wach­koma, die kei­ner inten­siv­me­di­zi­ni­schen Betreu­ung bedür­fen. Sie wer­den von spe­zi­ell aus­ge­bil­de­ten Not­fall­sa­ni­tä­tern beglei­tet, die im Ernst­fall wie­der­be­le­bende Maß­nah­men ein­lei­ten kön­nen“, sagt ao. Univ. Prof. Ger­hard Prause von der Uni­ver­si­täts­kli­nik für Anäs­the­sio­lo­gie und Inten­siv­me­di­zin Graz und Lei­ter der „Tea­ching Unit für Not­fall­me­di­zin“. Sei­ner Aus­sage zufolge betref­fen 50 Pro­zent aller Inter­hos­pi­tal­trans­porte die Stufe 1 – Ten­denz stei­gend. Kommt es zu einem Zwi­schen­fall, muss der Sani­tä­ter einen Not­arzt ver­stän­di­gen. Etwa 30 bis 40 Not­fall­sa­ni­tä­ter sind abwech­selnd im Ein­satz. Dabei han­delt es sich in Graz aus­nahms­los um Stu­den­ten der Human­me­di­zin ab dem ach­ten Semes­ter, deren Aus­bil­dung zusätz­lich aus theo­re­ti­schen Kur­sen und Prak­tika in den kli­ni­schen Son­der­fä­chern Anäs­the­sie (sechs Wochen), Innere Medi­zin (vier Wochen) sowie Chir­ur­gie (vier Wochen) besteht. Dar­über hin­aus müs­sen sie 150 Ein­sätze im Ret­tungs­wa­gen absol­vie­ren und eine Prü­fung bestehen. Ins­ge­samt erwei­tert die­ses Cur­ri­cu­lum ihre Aus­bil­dung auf 2.800 Stun­den. „Die meis­ten haben bereits 400 bis 500 Fahr­ten auch in der pri­mä­ren Not­fall­ver­sor­gung mit­ge­macht und ver­fü­gen über genü­gend Erfah­rung“, betont Prause.

Pati­en­ten, die wäh­rend des Trans­ports medi­zi­ni­sche Maß­nah­men benö­ti­gen, wie sie auch im pri­mä­ren Not­arzt­we­sen vor­kom­men kön­nen, wer­den der Stufe 2 zuge­ord­net und von einem aktiv täti­gen Not­arzt beglei­tet. Prause dazu: „Für Stufe 2‑Patienten reicht die Kom­pe­tenz eines Not­arz­tes aus. Stufe 3 umfasst Pati­en­ten einer Inten­siv­sta­tion. Nur bei die­sen Pati­en­ten ist ein Fach­arzt für Inten­siv­me­di­zin und eine diplo­mierte Pfle­ge­kraft mit Zusatz­aus­bil­dung Inten­siv­me­di­zin am Ret­tungs­fahr­zeug, um rele­vante The­ra­pie­maß­nah­men wie etwa eine inva­sive Beatmung fort­zu­füh­ren.“ Die Ent­schei­dung und damit die Ver­ant­wor­tung, wel­cher Stufe ein Pati­ent zuge­ord­net wird, erfolgt durch eine ärzt­li­che Koor­di­na­ti­ons­stelle am Kli­ni­kum Graz.

Eine Eva­lu­ie­rung des Gra­zer Modells zeigt, dass sich die Stu­fen­ein­tei­lung bewährt: Nach den ers­ten bei­den Jah­ren wur­den zur Über­prü­fung der Effi­zi­enz zehn vor­de­fi­nierte medi­zi­ni­sche Maß­nah­men mit der Häu­fig­keit ihres Auf­tre­tens am Trans­port ver­gli­chen. „Wir konn­ten eine deut­li­che Kor­re­la­tion fest­stel­len: je höher die Trans­port­stufe, umso höher die Zahl der Inter­ven­tio­nen. In den mitt­ler­weile sie­ben Jah­ren und 4.500 Trans­port­fahr­ten nach dem Gra­zer Modell gab es nur drei Fälle, in denen ein Pati­ent hin­auf­ge­stuft wer­den musste“, so Prause.

ÖÄK: Trans­porte vereinheitlichen

Wich­tig beim Gra­zer Modell sei, dass die Ein­stu­fung durch erfah­rene Ärzte getrof­fen wird, bestä­tigt der Lei­ter des Not­fall­re­fe­rats in der ÖÄK. „Das Stu­fen­mo­dell ist rich­tungs­wei­send. Wir sind der Mei­nung, dass es ein sehr kon­struk­ti­ves Kon­zept ist, das auch dar­auf aus­ge­rich­tet ist, Res­sour­cen gezielt ein­zu­set­zen und damit Kos­ten zu spa­ren ohne die Qua­li­tät der Pati­en­ten­ver­sor­gung zu min­dern“, betont Lang, der das Modell auch ande­ren Kran­ken­häu­sern nahe­legt. Der­zeit gibt es keine ein­heit­li­chen Bun­des- und Lan­des­leit­li­nien für Inter­hos­pi­tal­trans­porte; sie oblie­gen dem jewei­li­gen Kran­ken­haus. Lang: „Aus Sicht der Not­fall­re­fe­ren­ten ist es sicher­lich emp­feh­lens­wert, wenn man ver­sucht, die Struk­tu­ren zu ver­ein­heit­li­chen. Inter­hos­pi­tal­trans­porte sind immer schon ein Pro­blem gewe­sen, von dem vom jüngs­ten Tur­nus­arzt bis zum sehr erfah­re­nen Inten­siv­me­di­zi­ner alle betrof­fen sind. Durch das Modell bekommt jeder Pati­ent die Ver­sor­gung, die er braucht und hoch qua­li­fi­zierte Medi­zi­ner wer­den nicht unnö­tig herumgeschickt.“

Erschwe­rend für das Gra­zer Modell ist die seit April 2012 von den Kran­ken­kas­sen durch­ge­setzte Rege­lung, dass Not­fall­sa­ni­tä­ter nicht mehr nach tat­säch­li­chen Ein­sät­zen bezahlt wer­den kön­nen, son­dern lang­fris­tig ange­stellt und auch anwe­send sein müs­sen – unab­hän­gig davon, ob es eine Anfor­de­rung gibt oder nicht. „Das hat das Sys­tem mas­siv ver­teu­ert und ver­kom­pli­ziert. Hier sollte eine Mög­lich­keit geschaf­fen wer­den, die medi­zi­ni­schen Leis­tun­gen bedarfs­ge­recht zu hono­rie­ren, auch ohne vor­ge­ge­bene fixierte Arbeits­zei­ten“, for­dert Prause. Auch Lang setzt sich gegen die Anstel­lungs­ver­pflich­tung ein: „Das Sys­tem wird so effek­tiv teu­rer. Man darf nicht ver­ges­sen, dass Medi­zin­stu­den­ten mit hohem Enga­ge­ment arbei­ten. Schon wäh­rend der Aus­bil­dung im medi­zi­ni­schen Bereich tätig zu sein, hat eine lange Tra­di­tion, weil man viel sieht und ler­nen kann“, so sein Resümee.

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 13–14 /​15.07.2012