Gesund­heits­sys­tem: Reform ja, aber nicht so!

25.10.2012 | Politik

Mit der kom­men­den Gesund­heits­re­form ist in Öster­reich erst­mals ein zen­tral gesteu­er­tes Gesund­heits­we­sen geplant. Die­ser Reform, die als Ziel ledig­lich die Decke­lung der Aus­ga­ben defi­niert und nur dem Dik­tat des Spa­rens unter­wor­fen ist, erteilt die ÖÄK eine klare Absage. Von Agnes M. Mühlgassner

Man müsste die Augen vor der Rea­li­tät ver­schlie­ßen, wenn man glaubt, dass elf Mil­li­ar­den Euro ohne Kon­se­quen­zen für die Pati­en­ten ein­ge­spart wer­den könn­ten – diese nüch­terne Ana­lyse zog ÖÄK-Prä­si­dent Artur Wech­sel­ber­ger beim letz­ten Vor­stand der ÖÄK Mitte Okto­ber ange­sichts der vor­lie­gen­den Pläne zur Gesundheitsreform.

Auf­grund des EU-Sta­bi­li­täts­pakts, den der Natio­nal­rat im März 2012 beschlos­sen hat, muss Öster­reich ab 2017 einen aus­ge­gli­che­nen Haus­halt vor­wei­sen. Für den Gesund­heits­be­reich ist eine Bin­dung der öffent­li­chen Gesund­heits­aus­ga­ben an das BIP (Brut­to­in­lands­pro­dukt) vor­ge­se­hen und die Stei­ge­rung in die­sem Bereich darf nicht mehr als 3,6 Pro­zent betra­gen. Das bedeu­tet kon­kret, dass bis 2016 rund 3,4 Mil­li­ar­den Euro und bis 2010 elf Mil­li­ar­den Euro ein­ge­spart wer­den sol­len. Wech­sel­ber­ger dazu: „Das hat tief­grei­fende Ver­än­de­run­gen in der Ver­sor­gungs­struk­tur zur Folge und es bedeu­tet eine Reduk­tion der Ver­sor­gungs­leis­tun­gen für die Bevöl­ke­rung.“ Denn elf Mil­li­ar­den Euro spare man nicht ein­fach so ein, ohne es zu spü­ren und ohne dass Leis­tun­gen vor­ent­hal­ten werden.

Mit gra­vie­ren­den Aus­wir­kun­gen ist auch auf die ärzt­li­che Stan­des­ver­tre­tung selbst zu rech­nen: So droht die Aus­he­be­lung der Gesamt­ver­trags­kom­pe­tenz der Ärz­te­kam­mer; ebenso soll es künf­tig kein Mit­spra­che­recht beim Stel­len­plan mehr geben und die Hono­rar­au­tono­mie soll fal­len. Die Qua­li­täts­si­che­rung soll weg von der ÖQMed (Öster­rei­chi­sche Gesell­schaft für Qua­li­täts­si­che­rung und Qua­li­täts­ma­nage­ment in der Medi­zin) zu einem neu zu schaf­fen­den zen­tra­len Insti­tut ver­la­gert wer­den. Durch die neuen alter­na­ti­ven Ver­sor­gungs­mo­delle – sie wer­den Poly­kli­ni­ken genannt und erin­nern von ihrer Struk­tur her stark an die schon ein­mal in Öster­reich ange­dach­ten Medi­zi­ni­schen Ver­sor­gungs­zen­tren (MVZs). Artur Wech­sel­ber­ger stellte klar: „Wir weh­ren uns gegen die Zen­tra­li­sie­rung der Steue­rung im Gesund­heits­sys­tem und for­dern eine maß­geb­li­che Ein­bin­dung in den Dis­kus­si­ons­pro­zess über die Gesund­heits­re­form.“ Der Vor­stand der ÖÄK hat die vor­lie­gen­den Pläne zur geplan­ten Gesund­heits­re­form ein­stim­mig abgelehnt.

Der Kuri­en­ob­mann der nie­der­ge­las­se­nen Ärzte in der ÖÄK, Johan­nes Stein­hart, sieht in die­ser Gesund­heits­re­form „in Wirk­lich­keit das Her­un­ter­fah­ren der Leis­tung für die Bevöl­ke­rung.“ Die Stan­des­ver­tre­tung bekenne sich jedoch zu einem Gesund­heits­sys­tem, in dem jeder unab­hän­gig vom Alter und vom Ein­kom­men die medi­zi­ni­sche Behand­lung bekommt, die er benö­tigt. „Und die Ver­ant­wor­tung liegt bei der Poli­tik, dass dies auch ange­bo­ten und ent­spre­chend hono­riert wird“, betont Stein­hart. In Wirk­lich­keit werde ver­sucht, damit die freie Arzt­wahl „zu begraben“.

Was die abseh­bare Mehr­be­las­tung der Spi­tals­ärz­tin­nen und Spi­tals­ärzte anlangt, ver­tritt der Kuri­en­ob­mann der ange­stell­ten Ärzte in der ÖÄK, Harald Mayer, eine klare Posi­tion: „Es kann nicht sein, dass in Zukunft jeg­li­che Form der ambu­lan­ten Medi­zin in den Spi­tals­am­bu­lan­zen statt­fin­det. Die Behand­lung in den Ambu­lan­zen muss auf ein gesetz­li­ches Min­dest­maß redu­ziert werden.“

Indes­sen strei­ten sich die­je­ni­gen, die die Gesund­heits­re­form schon gerne umge­setzt hät­ten, neu­er­lich. Denn Bund und Län­der haben ver­ein­bart, dass bei den Ein­spa­run­gen von 3,4 Mil­li­ar­den die Auf­tei­lung im Ver­hält­nis 60:40 erfol­gen soll. Doch die Län­der ver­lan­gen nun zusätz­lich 230 Mil­lio­nen Euro von der Sozi­al­ver­si­che­rung. „Das wer­den wir nicht tun und das kön­nen wir auch nicht tun“, erklärte dazu der Ver­bands­vor­sit­zende im Haupt­ver­band, Hans­jörg Schel­ling. Er ver­wies dar­auf, dass die Sozi­al­ver­si­che­run­gen zwi­schen 2010 und 2016 inclu­sive Sanie­rung der Kran­ken­kas­sen knapp vier Mil­li­ar­den Euro auf­brin­gen; die Län­der zwi­schen 2013 und 2016 jedoch nur zwei Mil­li­ar­den Euro. Schel­ling drängt auf eine rasche Eini­gung über die Gesund­heits­re­form: Um noch heuer einen Beschluss im Natio­nal­rat und in den Land­ta­gen zu erzie­len, müsste die 15a-Ver­ein­ba­rung bis Ende Okto­ber stehen …


Fünf For­de­run­gen der ÖÄK zur Gesundheitsreform

1) Betref­fend die Selbst­ver­wal­tung der Ange­hö­ri­gen eines freien Berufs:

  • Die Zustän­dig­keit der ÖÄK für die ärzt­li­che Aus­bil­dung muss erhal­ten bleiben.
  • Die Qua­li­täts­si­che­rungs­kom­pe­tenz betref­fend ärzt­li­che Pra­xen muss bei der ÖÄK bezie­hungs­weise bei der eigens für diese Zwe­cke ein­ge­rich­te­ten ÖQMed (Öster­rei­chi­sche Gesell­schaft für Qua­li­täts­si­che­rung und Qua­li­täts­ma­nage­ment in der Medi­zin) bleiben.
  • Stel­len­pla­nung und Hono­rie­rung der Ver­trags­ärzte müs­sen in der gesamt­ver­trag­li­chen Rege­lungs­au­to­no­mie von Sozi­al­ver­si­che­run­gen und Ärz­te­kam­mern bleiben.

2) Ent­las­tung der Spi­tals­am­bu­lan­zen durch Reduk­tion auf ihr gesetz­li­ches Auf­ga­ben­ge­biet und Ver­la­ge­rung in den nie­der­ge­las­se­nen Bereich.

3) Zur Decke­lung der öffent­li­chen Gesund­heits­aus­ga­ben (Finanz­ziele):

  • Keine Zwei-Klas­sen-Medi­zin durch Decke­lung der Gesund­heits­aus­ga­ben bei 3,6 Pro­zent samt BIP-Bin­dung, obwohl eine Stei­ge­rung von 5,2 Pro­zent pro­gnos­ti­ziert ist.

4) Maß­geb­li­che Ein­bin­dung der Öster­rei­chi­schen Ärztekammer:

  • Die ÖÄK ist als aus­ge­wie­sene Exper­tin in Fra­gen des Gesund­heits­sys­tems maß­geb­lich in die Neu­ge­stal­tung der Ver­sor­gungs­pro­zesse und Ver­sor­gungs­struk­tu­ren einzubinden.

5) Keine Zen­tra­li­sie­rung der Steue­rung im öster­rei­chi­schen Gesundheitswesen.

Aus­wir­kun­gen der Reform auf den nie­der­ge­las­se­nen Bereich

  • Ände­rung der Rah­men­be­din­gun­gen für nie­der­ge­las­sene Ärzte: Rela­ti­vie­rung des Gesamt­ver­trags: Die Stel­len­pläne sol­len künf­tig von Län­dern und Sozi­al­ver­si­che­rung fest­ge­legt wer­den – ohne Mit­spra­che der Ärzte. Die öffent­li­che Hand will in Zukunft Ein­fluss neh­men auf die Hono­rar­sys­teme des nie­der­ge­las­se­nen Bereichs. 
  • Öko­no­mi­sche Regle­men­tie­rung – Büro­kra­tie statt Zuwen­dung: Es ist mit rigi­den Behand­lungs- Leit­li­nien und Behand­lungs-Richt­li­nien, einer Medi­ka­men­ten­re­gu­lie­rung und Sank­tio­nen bei Zuwi­der­hand­lung zu rechnen. 
  • Ein­griff in die auto­nome Qua­li­täts­si­che­rung: Die Qua­li­tät soll daran gemes­sen wer­den, ob finan­zi­elle Kri­te­rien ein­ge­hal­ten wer­den und nicht am Ein­satz von neuen Methoden. 
  • Aus­höh­lung der fach­ärzt­li­chen Ver­sor­gung: Es ist geplant, Par­al­lel­struk­tu­ren im fach­ärzt­li­chen Bereich abzu­schaf­fen. Künf­tig soll die fach­ärzt­li­che Ver­sor­gung in Kran­ken­häu­sern statt­fin­den; die wohn­ort­nahe Ver­sor­gung durch nie­der­ge­las­sene Fach­ärzte soll aus­ge­dünnt werden.

Aus­wir­kun­gen der Reform auf den Spitalsbereich

  • Neu-Struk­tu­rie­rung des Leis­tungs­an­ge­bots: Der sta­tio­näre Bereich soll aus­ge­dünnt wer­den; die ent­spre­chen­den Leis­tun­gen wer­den in den tages­kli­ni­schen und ambu­lan­ten Bereich verlagert. 
  • Aus­dün­nung der extra­mu­ra­len Ver­sor­gung: Die Spi­tals­ärz­tin­nen und Spi­tals­ärzte sol­len schritt­weise die fach­ärzt­li­che Ver­sor­gung im nie­der­ge­las­se­nen Bereich über­neh­men. Die Folge: ein noch grö­ße­rer Arbeits­druck und Fach­ärzte ver­lie­ren eine beruf­li­che Perspektive. 
  • (Dis­lo­zierte) Wochen-/Ta­ges­kli­ni­ken bzw. Basis-Kran­ken­an­stal­ten: Geplant sind Multi-Stand­ort-Kran­ken­an­stal­ten, zwi­schen denen die Ärzte als „Sprin­ger“ hin und her pen­deln. Kas­sen­ver­träge kön­nen auf­ge­kauft wer­den und Fach­ärzte, die bis­her nie­der­ge­las­sen waren, dort ange­stellt wer­den. Garan­tien dafür gibt es nicht. Diese statt der Akut-Kran­ken­an­stal­ten geplan­ten Ver­sor­gungs­ein­hei­ten wei­sen nur ein redu­zier­tes Leis­tungs­an­ge­bot auf. Vor­bild für diese Über­le­gun­gen sind die Medi­zi­ni­schen Ver­sor­gungs­zen­tren (MVZ) in Deutschland. 
  • Mehr Arbeit bei glei­cher Bezah­lung: Für die stei­gende Arbeits­be­las­tung wird es nicht mehr Geld geben. Die Poli­tik bestimmt künf­tig, wer wen wo und wie behandelt.

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 20 /​25.10.2012