Gesund­heits­re­form in den USA: Teil­erfolg für Obama

15.08.2012 | Politik

Das höchste US-ame­ri­ka­ni­sche Gericht hat den Spe­ku­la­tio­nen getrotzt und die Gesund­heits­re­form wider Erwar­ten juris­tisch bestä­tigt. Das Urteil stärkt Prä­si­dent Barack Obama den Rücken. Auf­at­men kann er aber noch nicht.
Von Nora Schmitt-Sausen

Am Tag der Urteils­ver­kün­dung ver­mel­dete der US-ame­ri­ka­ni­sche Fern­seh­sen­der CNN um zehn Uhr mor­gens Orts­zeit: Supreme Court stoppt Gesund­heits­re­form. Ein Auf­schrei ging durch das libe­rale Ame­rika. Und durch das Weiße Haus. Denn auch Barack Obama ver­folgte laut US-Medi­en­be­rich­ten auf CNN die Live-Bericht­erstat­tung und schenkte dem, was der Nach­rich­ten­spre­cher auf dem Fern­seh­bild­schirm ver­kün­dete, zunächst Glau­ben. Es dau­erte meh­rere Minu­ten, bis CNN seine Falsch­mel­dung kor­ri­gierte. Der Faux­pas des renom­mier­ten Sen­ders ist der Kom­ple­xi­tät des Urteils geschul­det. Das Gericht defi­nierte die Reform an ent­schei­den­den Stel­len um: Die Pflicht zur Kran­ken­ver­si­che­rung ist nur gül­tig, wenn sie als Steuer aus­ge­wie­sen wird; die Aus­wei­tung des Sozi­al­pro­gramms Medi­caid ist nicht in dem Maße mög­lich, wie von Obama vor­ge­se­hen. Für die 26 repu­bli­ka­nisch geführ­ten Bun­des­staa­ten, von denen die Ver­fas­sungs­mä­ßig­keit der Reform in Frage gestellt wor­den war, lässt das Urteil des Obers­ten Gerichts einige Hin­ter­tü­ren offen. Sie kön­nen die Imple­men­tie­rung des Geset­zes wei­ter blockieren.

Kaum ein poli­ti­scher Beob­ach­ter hatte damit gerech­net, dass der Supreme Court die Gesund­heits­re­form auf­recht­erhält. Das ‚Ja‘ des obers­ten Gerichts wer­te­ten die US-ame­ri­ka­ni­schen Medien durch die Bank als „gro­ßen Tri­umph“ für Obama. Der Demo­krat bezeich­nete das Urteil des Supreme Court als einen Sieg für die US-ame­ri­ka­ni­schen Bür­ger. „Hier in Ame­rika, der wohl­ha­bends­ten Nation der Erde, sollte keine Krank­heit oder kein Unfall eine Fami­lie in den finan­zi­el­len Ruin trei­ben“, sagte er kurz nach der Urteils­ver­kün­dung. Die Ent­schei­dung des Obers­ten Gerichts gebe den Ame­ri­ka­nern mehr Sicherheit.

Doch Ruhe kehrt in die Debatte um die Gesund­heits­re­form auch nach dem Urteil nicht ein. Für die Repu­bli­ka­ner ist die Aus­le­gung des Supreme Court, die Ver­si­che­rungs­pflicht als Steuer zu defi­nie­ren, eine Steil­vor­lage im lau­fen­den Prä­si­dent­schafts-Wahl­kampf. Bereits jetzt behaup­ten sie in Wer­be­spots und Anzei­gen, Obama habe die US-ame­ri­ka­ni­schen Bür­ger mit Blick auf die Reform an der Nase herum geführt, da er behaup­tet habe, sie gehe ohne Steu­er­erhö­hun­gen ein­her. Das Urteil des Supreme Court belege nun das Gegenteil.

Pro­ble­ma­tisch könnte für Obama eine wei­tere Ent­schei­dung des Gerichts wer­den. Der Supreme Court wies das Vor­ha­ben der Obama-Regie­rung zurück, die Bun­des­staa­ten zu ver­pflich­ten, das staat­li­che Gesund­heits­pro­gramm Medi­caid für sozial schwa­che US-ame­ri­ka­ni­sche Bür­ger aus­zu­wei­ten. Auf diese Weise sollte ab 2014 gut die Hälfte der 32 Mil­lio­nen unver­si­cher­ten Ame­ri­ka­ner Zugang zum Ver­sor­gungs­netz fin­den. Das Gericht stellt es den Bun­des­staa­ten frei, ob sie Medi­caid aus­wei­ten oder nicht. Die Folge: Schon wenige Tage nach dem Urteil kün­dig­ten einige repu­bli­ka­nisch geführte Bun­des­staa­ten an, bei der Aus­wei­tung nicht mit­ge­hen zu wol­len. Durch diese ableh­nende Hal­tung droht die Gefahr, dass ein Herz­stück des Geset­zes – der Schutz von Bedürf­ti­gen – doch nicht flä­chen­de­ckend erfüllt wer­den kann und auch ab 2014 Mil­lio­nen US-Ame­ri­ka­ner ohne Ver­si­che­rungs­schutz blei­ben. Dabei trägt die för­de­rale Regie­rung in Washing­ton nach eige­nen Anga­ben die Kos­ten für die Aus­wei­tung in den ers­ten zwei Jah­ren ganz und spä­ter zu 90 Prozent.

Auch die Geg­ner­schaft eini­ger Bun­des­staa­ten gegen die neu zu schaf­fen­den Gesund­heits­bör­sen bleibt groß. Über diese regio­na­len Online-Märkte sol­len Bewoh­ner, die bis­lang frei­wil­lig nicht ver­si­chert sind oder über ihren Arbeit­ge­ber keine Kran­ken­ver­si­che­rung bezie­hen, in zwei Jah­ren pri­vate Ver­si­che­rungs­po­liz­zen bezie­hen. Nicht alle Bun­des­staa­ten sind jedoch bereit, die dafür nöti­gen Struk­tu­ren zu schaf­fen – obwohl durch das Urteil nun geklärt ist, dass die Imple­men­tie­rung der Reform wei­ter vor­an­ge­hen kann.

Rick Perry, repu­bli­ka­ni­scher Gou­ver­neur von Texas, teilte dem Gesund­heits­mi­nis­te­rium mit, dass seine Regie­rung weder Medi­caid aus­wei­ten noch eine regio­nale Börse eta­blie­ren werde. Er stellt sich gegen die Ein­mi­schung der Zen­tral­re­gie­rung in die Gesund­heits­ver­sor­gung vor Ort und fürch­tet, dass zusätz­li­che Kos­ten das finan­zi­ell ohne­hin ange­schla­gene Pro­gramm wei­ter desta­bi­li­sie­ren. „Weder die Gesund­heits­börse noch die Aus­wei­tung von Medi­caid (…) füh­ren zu einem höhe­ren Schutz der Pati­en­ten oder bezahl­ba­rer Ver­sor­gung.“ In Texas ist die Zahl der Unver­si­cher­ten tra­di­tio­nell eine der höchs­ten von allen US-Bun­des­staa­ten.

Die Zeit drängt

Für die­je­ni­gen Bun­des­staa­ten, die Gesund­heits­bör­sen eta­blie­ren möch­ten, drängt die Zeit. Es ist frag­lich, ob sie in der Lage sind, bis 2014 alle nöti­gen Vor­be­rei­tun­gen zu tref­fen. Das schwe­bende juris­ti­sche Ver­fah­ren hatte einige Bun­des­staa­ten zögern las­sen, die für die Imple­men­tie­rung not­wen­di­gen Schritte ein­zu­lei­ten. Zumal: Auch nach dem Urteils­spruch droht Oba­mas Pres­ti­ge­pro­jekt wei­ter Gefahr. Mitt Rom­ney, Her­aus­for­de­rer von Obama bei der Prä­si­dent­schafts­wahl am 6. Novem­ber 2012, ist ein vehe­men­ter Geg­ner des Geset­zes. Der Repu­bli­ka­ner, der als Gou­ver­neur von Mas­sa­chu­setts eine Gesund­heits­re­form durch­setzte, die als Vor­bild von „Oba­mac­are“ gilt, will – sollte er die Wahl gewin­nen – das Gesetz zurück­neh­men. „Oba­mac­are war ges­tern schlechte Poli­tik und ist es heute immer noch“, kom­men­tierte er das Urteil des Supreme Court. Rom­ney sieht in der Reform einen „Job­ver­nich­ter“. Sie führe zu Steu­er­erhö­hun­gen und belaste den ohne­hin maro­den US-Haus­halt zusätz­lich. Man­che Repu­bli­ka­ner gehen noch wei­ter: Für sie ist der Zwang zur Kran­ken­ver­si­che­rung Freiheitsberaubung.

Neben der ver­pflich­ten­den Kran­ken­ver­si­che­rung greift Obama mit der Reform in wei­tere Teile des US-Gesund­heits­we­sens ein. So kön­nen sich bei­spiels­weise junge Erwach­sene unter 26 Jah­ren bei ihren Eltern mit­ver­si­chern. Die US-Bür­ger kön­nen kos­ten­los Vor­sor­ge­an­ge­bote in Anspruch neh­men. Chro­nisch Kranke, die bis­lang kaum Chan­cen hat­ten, einen Ver­si­che­rer zu fin­den, wer­den künf­tig in das Ver­sor­gungs­netz auf­ge­nom­men. Auch gebie­tet die Reform dam eigen­mäch­ti­gen und unso­zia­len Geba­ren vie­ler Ver­si­che­rer Ein­halt. Bis­lang konn­ten diese den US-Bür­gern bei plötz­li­cher Krank­heit den Ver­si­che­rungs­schutz limi­tie­ren oder gar gänz­lich kappen.

Bis 2018 sol­len alle Reform­schritte in Kraft sein. Der Umbau des Gesund­heits­sys­tems soll in den kom­men­den Jah­ren gut 940 Mil­li­ar­den Dol­lar kos­ten. Gleich­zei­tig soll die Reform dau­er­haft den US-Haus­halt ent­las­ten. Die ver­pflich­tende Kran­ken­ver­si­che­rung gilt nicht für ille­gale Ein­wan­de­rer. Damit blei­ben auch in Zukunft min­des­tens elf Mil­lio­nen Bewoh­ner der USA ohne Versicherungsschutz.

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 15–16 /​15.08.2012