Protestkonvent: Diese Reform wollen wir Ärzte nicht!

25.11.2012 | Politik

Mehr als 900 Ärztinnen und Ärzte aus ganz Österreich sind zum Protestkonvent der Österreichischen Ärztekammer nach Wien gekommen und haben ihren Unmut über die geplante Gesundheitsreform zum Ausdruck gebracht. Zuvor haben die Mitglieder der Vollversammlung der ÖÄK in einer außerordentlichen Sitzung einstimmig eine Protest-Resolution verabschiedet.
Von Marion Huber und Agnes M. Mühlgassner

Stau vor dem Museumsquartier, Stau im Museumsquartier: Der Andrang der Ärztinnen und Ärzte ins Museumsquartier in Wien, wo der Protestkonvent der ÖÄK stattfand, ist so groß, dass die Veranstaltung erst mit zehnminütiger Verspätung beginnen kann. 500 Ärzte waren angemeldet, mehr als 900 sind es tatsächlich. Aus feuerpolizeilichen Gründen – es darf
nur eine begrenzte Anzahl an Personen in die Halle – muss kurzfristig der Einlass
gestoppt werden.

Vor dieser beeindruckenden Kulisse eröffnet ÖÄK-Präsident Artur Wechselberger zuerst die außerordentliche, öffentliche Vollversammlung der ÖÄK. „Sie soll den Protest gegen die geplante Gesundheitsreform der Bundesregierung aussprechen“, erklärte Wechselberger eingangs. Die Reform verdiene ihren Namen nicht, da es sich nur um eine Finanzreform handle, in der es um Macht und Geld geht – und das soll die Bevölkerung erfahren. Die von Wechselberger verlesene Resolution (siehe Kasten) wird von den Delegierten der Vollversammlung einstimmig angenommen – mit Standing ovations und unter
tosendem Applaus.

Mittlerweile werden in der Veranstaltungshalle die flexiblen Zwischenwände entfernt, sodass mit dem Beginn des anschließenden Protestkonvents alle interessierten Ärztinnen und Ärzte live teilnehmen können. Ein Video wird zugespielt: Eine junge Mutter mit einem Kleinkind macht sich Sorgen, wie sie – ohne Auto – in Zukunft zu einem Arzt gelangen wird – ebenso auch ältere Menschen, die um den Hausarzt in ihrer Nähe fürchten.

„Alles krank“ – so lautet das Motto des Protestkonvents. „Und damit das Gesundheitssystem nicht noch kränker wird, stehen wir heute hier“, so Wechselberger. Wie kann es eine Sparreform ohne Einschränkung der Leistungen für die Bevölkerung geben? Und: Wie bedroht ist die Selbstverwaltung und die Autonomie der Selbstverwaltung? – stellt der ÖÄK-Präsident als Fragen in den Raum. Die Gesundheitsreform sei in Wahrheit eine Spar-, Macht- und Organisationsreform, mit dem Zielsteuerungssystem als Herzstück – ausverhandelt in Geheimverhandlungen. Zentralismus und Bürokratie, zusätzliche Strukturen und noch mehr Kosten sind damit ebenso untrennbar verbunden wie die Rationierung von Leistungen. „Was aber eindeutig fehlt, sind die Versorgungsziele“, so Wechselberger. Wenn die Ärztekammer darauf hinweise, wie sie ihre Verantwortung wahrnehme – etwa bei der Ausbildung, Qualitätssicherung, Honorarautonomie – melde sich sofort ein Politiker zu Wort und verlange die Abschaffung der Ärztekammer.

In einem dringenden Appell fordert Wechselberger die Umsetzung der Pläne des Regierungsprogramms von 2008, in dem es heißt, dass „die Entwicklung einer Zwei-Klassen-Medizin zu verhindern ist“. Wechselberger mahnt auch die Umsetzung des Ministerratsbeschlusses von Sillian aus dem Jahr 2009 ein. Damals hatte Gesundheitsminister Alois Stöger noch zugesichert, „die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung unabhängig von konjunkturellen Entwicklungen auf hohem Niveau zu gewährleisten“. „Und genau diese Sicherstellung fordern wir jetzt ein!“, so der ÖÄK-Präsident. Und weiter: „Wir fordern eine Gesundheitsreform, die den medizinischen Erfordernissen und den Erfordernissen der demographischen Entwicklung gerecht wird, die Ressourcen schafft und nicht zurückfährt.“ Die Ärzte waren maßgeblich daran beteiligt, dass es gelungen sei, 1,7 Milliarden Euro bei den Krankenkassen einzusparen. Daher sei es nur „recht und billig“ darauf zu pochen, dass mit allen Partnern – auch den Ärzten – gesprochen werde. „Wenn Gesundheitsminister Stöger das nicht tut, fordern wir die Spitze der Regierung auf, zur Gesundheitsreform Stellung zu nehmen und die Ärzte in diesen Prozess einzubinden“, unterstreicht Wechselberger. Komme es hart auf hart, werde die ÖÄK schärfere Maßnahmen ergreifen: „Wir sind bereit, dafür zu kämpfen und ich sehe, ihr seid das auch.“ Neuerlich gibt es tosenden Applaus und Standing ovations.

Bevölkerung wird getäuscht

Die Politik täuscht die Bevölkerung – auf diesen kurzen Nenner bringt es der erste Vize-Präsident der ÖÄK und Präsident der Ärztekammer Salzburg, Karl Forstner. Vor zehn Jahren waren es die Eurofighter, wo man der Bevölkerung glauben machen wollte, es seien „tolle Kompensationsgeschäfte“ zu erwarten – und die jetzt im „Korruptionssumpf versinken“; ebenso bei den diversen Bankenpaketen, wo man versichert habe, die Zinsen „würden nur so sprudeln“. Forstner weiter: „Und jetzt wird die Bevölkerung wieder getäuscht. Die Politik sagt ‚dämpfen‘ und meint ‚einsparen‘. Das ist der eigentliche Skandal.“ Die Folgen: Es wird zu Leistungseinschränkungen und Rationierungen kommen, die die Bevölkerung spüren wird und somit zu einer echten Zwei-Klassen Medizin. „Das widerspricht den Grundsätzen der Ärzteschaft gänzlich und deshalb lehnen wir diese Entwicklung ab. Das Gesundheitssystem muss fair, sozial und gerecht sein“. Die Forderung von Karl Forstner: „Wenn die Politik Einsparungen plant, soll sie dazu stehen und der Bevölkerung sagen, was sie zu erwarten hat.“ Und er stellt unmissverständlich klar: „Wir Ärzte wollen nicht Verwalter dieses Mangels sein“.

Der Obmann der Bundeskurie angestellt Ärzte in der ÖÄK, Harald Mayer, spricht im Zusammenhang mit der Gesundheitsreform überhaupt von einer „Mogelpackung“. Er führt weiter aus: „Mit der letzten KAG-Novelle wurde der jetzt geplante Etikettenschwindel bereits legalisiert. In Zukunft kann man sich nicht darauf verlassen, dass dort, wo Spital draufsteht, auch Spital drin ist.“ 60 Prozent der geplanten Einsparungen in der Höhe von elf Milliarden Euro bis 2020 sollen im Spitalsbereich erfolgen, 40 Prozent im niedergelassenen Bereich – „das wird nicht funktionieren“, ist für Harald Mayer ganz klar. Die Menschen werden auch weiterhin krank sein – gerade angesichts der aktuellen Wirtschaftsdaten werden es tendenziell mehr sein – und sie werden die Ambulanzen stürmen, weil es im niedergelassenen Bereich nicht mehr ausreichende Versorgungsangebote gibt. Mayer: „Die Politik soll sich zur Sparreform bekennen und uns Ärzten nicht den Schwarzen Peter zuspielen.“ Schlimm genug sei es, dass wir „sehenden Auges“ (Mayer) auf einen Ärztemangel zusteuern, ohne darauf zu reagieren. „Die Politik soll ihren Wählern und unseren Patienten reinen Wein einschenken.“ Die Jungärzte würden schlecht bezahlt, die Arbeitszeithöchstgrenzen nicht eingehalten, was die Jungen ins Ausland treibt.

Kämpferisch zeigt sich Johannes Steinhart, Vizepräsident und Obmann der Bundeskurie Niedergelassene Ärzte der ÖÄK, bei seinen Ausführungen. Vieles erinnert ihn an 2008 – „damals haben wir es durch Einigkeit und Geschlossenheit geschafft, das Schlimmste zu verhindern.“ Steinhart vergleicht das ganze Procedere rund um die Gesundheitsreform mit einem biblischen Desaster und er listet die sieben Todsünden dabei wie folgt auf:
1) die konsequente Ausdünnung der Strukturen – schon jetzt fehlen 1.300 Ordinationen;
2) Zerstörung der wohnortnahen Versorgung und der freien Arztwahl – eine Zentralisierung à la Polykliniken in der DDR drohe; 3) das Niederkämpfen der freien Arztwahl; 4) das Argument, dass der Gesamtvertrag der Leistung im Weg sei – hier müsse man „sehr achtsam sein“, so Steinhart. 5) Behandlungspfade – „Ja, solange Ärzte sie erstellen“.
6) Ökonomie – „Medizin ist keine Teilmenge von Wirtschaft“; Todsünde Nr. 7): die Bürokratie – nach Ansicht von Steinhart die wichtigste. Er habe von den Ländern nichts gehört, dass im Zuge der Gesundheitsreform bei der Verwaltung gespart werde, stellt der Kurienobmann fest. „Ich bin zuversichtlich – wenn es noch einmal sein muss – werden wir wieder geschlossen aufstehen und uns gegen sinnlose Maßnahmen wehren. Neuerlich: tosender Applaus und Standing ovations.

In der Forderung der Politik, die Ärztekammer abzuschaffen, sieht Gastredner Hannes Westermayer, Präsident der Österreichischen Zahnärztekammer, einen Tiefpunkt der demokratischen Kultur erreicht. Westermayer, der derzeit auch Präsident der Freien Berufe Österreichs ist, weiter: „Jedes autoritäre System nimmt zuerst die freien Berufe an die Kandare.“ Der politische Druck auf die Ärzte, die das System tragen, sei groß. „Aber es gibt ein Naturgesetz, an dem auch Minister Stöger nichts ändern kann: Druck erzeugt Gegendruck“. Auch Ulrich Weigeldt, Bundesvorsitzender des Deutschen Hausärzteverbandes, sagt volle Unterstützung zu: „Diese Resolution könnten auch wir deutschen Hausärzte so unterzeichnen.“

Volle Unterstützung der Bundesländer

Die anschließenden Wortmeldungen aus dem Publikum zeigen, dass die Bundesländer geschlossen hinter den Protesten stehen. Michael Lang, Präsident der Ärztekammer Burgenland, sieht in der Gesundheitsreform „die größte Mogelpackung in der Geschichte des österreichischen Gesundheitswesens“. Gegen dieses Sparpaket werde man sich wehren. Bei einem Einsparungsvolumen von anteilig 35 Millionen Euro im Jahr für das Burgenland bedeutet dies etwa, dass die Ordinationen aller Vertragsärzte für ein halbes Jahr geschlossen werden. Ähnlich argumentiert Peter Niedermoser, Präsident der Ärztekammer für Oberösterreich: „Wer sagt, er könne elf Milliarden Euro aus dem System nehmen und niemand – schon gar nicht der Patient – würde die Folgen spüren, der sagt nicht die Wahrheit“. Bei den regionalen Protesten am Aktionstag, dem 5. Dezember, werde man die Chance wahrnehmen und die Bevölkerung informieren. Prägnant die Formulierung der Präsidenten der Ärztekammer Kärnten, Josef Huber: „Wir brauchen Ausbildungs-Millionen, keine Einsparungs-Milliarden.“ Und eines stellt Huber auch klar: „Wir sind sicher nicht ihre Gesundheitsdiensteanbieter. Das werden wir auch nie sein.“ Univ. Prof. Thomas Skekeres, Präsident der Ärztekammer Wien, bezeichnet die Annahme, mit weniger Geld und weniger Personal mehr Leistungen erbringen zu können, als „sehr naiv“. Und weiter: „Wir werden dafür kämpfen, dass unser gutes – aber trotzdem verbesserungswürdiges – System erhalten bleibt.“ Ein Appell an die Politik kommt vom Präsidenten der Ärztekammer Niederösterreich, Christoph Reisner: „Behindern Sie durch die Gesundheitsreform nicht unsere tägliche Arbeit am Patienten!“ Er kündigt überdies an, dass die Ärztekammer Niederösterreich die ÖÄK auffordern werde, sich mit der Frage der österreichweiten Kündigung der Gesamtverträge zu befassen.

Die Glaubwürdigkeit der Politik stellt Michael Jonas, Präsident der Ärztekammer Vorarlberg, an den Pranger: Die angekündigte Verkleinerung des Nationalrats wird nicht kommen, dafür wird in Österreich – während andere sparen müssen – die Parteienfinanzierung verdoppelt. Die Politik investiere in Bürokratie und in „sehr gut bezahlte Patientenanwälte“, so Jonas. Diese setzten sich jedoch für das Sparpaket ein – „hier werden die Patienteninteressen mit Füßen getreten.“

Einen „Verrat an uns Ärzten und einen Verrat an acht Millionen potentiellen Patienten“ sieht der Obmann der Bundessektion Turnusärzte in der ÖÄK, Karlheinz Kornhäusl, wenn diese Gesundheitsreform kommt wie geplant. Ein Jahr Lehrpraxis flächendeckend in ganz Österreich kostet 15 Millionen Euro. „Das ist die Ausbildung der Ärzte Minister Stöger aber nicht wert“, sagt Kornhäusl. Denn seit Jahren fordere die ÖÄK bessere Ausbildungs- und Arbeitsbedingungen für Ärzte. „Kann Minister Stöger es nicht sehen, will er es nicht oder ist es ihm ‚wurscht‘? Ich glaube, alles trifft zu“, so das Fazit von Kornhäusl.

Das Gesundheitssystem werde von Ökonomen, Finanzpolitikern und Juristen an den Abgrund gefahren, konstatiert der Präsident der Ärztekammer Steiermark, erwig Lindner. Ärzte seien keine Reformverweigerer, aber „dumme Reformen, bei denen es nur um Einsparungen geht, werden wir Ärzte nicht vertreten.“ Mit weiteren Maßnahmen ist zu rechnen. Lindner: „Wenn die Politik uns jetzt nicht zuhört und die Sparreform zurücknimmt, werden wir noch lauter werden.“

„Nicht nur beeindruckt, sondern überwältigt“ zeigte sich das ÖÄK-Präsidium von der enormen Beteiligung und der Stimmung, wie Wechselberger abschließend erklärt. Und um diese Unterstützung und Solidarität bitte er weiterhin, denn „wir werden sie brauchen.“ Und er versichert: „Wir haben noch einiges im Köcher.“

Resolution zur „Gesundheitsreform 2012“

Die Österreichische Ärztekammer warnt vor den drohenden negativen Auswirkungen des von der Politik als „Gesundheitsreform“ bezeichneten Sparpakets. Sie protestier gegen Zentralisierung, Verstaatlichung und weitere Bürokratisierung im Gesundheitswesen. Die Ärzteschaft bekennt sich zu einem sozialen und solidarischen Gesundheitssystem, das sie durch die geplanten Einsparungen bei den öffentlichen Gesundheitsausgaben gefährdet sieht.

Die Politik ist aufgefordert, die Pläne und Folgen der „Gesundheitsreform“ offenzulegen und die als „Dämpfungsmaßnahmen“ bezeichneten Einsparungen konkret darzustellen. Es wird eine Antwort auf die Frage erwartet, welche Folgen das auf die Arbeit der Ärztinnen und Ärzte und ihrer Versorgungsleistungen für die Menschen hat.

Eine alternde Gesellschaft, die Zunahme chronischer Erkrankungen, der fulminante Fortschritt der Wissenschaft und die modernen Möglichkeiten der Medizin lassen ein milliardenschweres Sparpaket ohne Leistungseinschränkungen unrealistisch erscheinen. Die geplante finanzgetriebene „Reform“ des Gesundheitswesens wird den epidemiologischen, demografischen und medizinischen Entwicklungen nicht gerecht.

Die österreichischen Ärztinnen und Ärzte fordern daher als Prämissen jeglicher Gesundheitsreform

  1. Konjunkturunabhängige Finanzierung des Gesundheitssystems, wie von der Bundesregierung noch 2009 zugesagt.
  2. Vorrang der ambulanten Versorgung in der freien Praxis.
  3. Entlastung der Spitalsärzte – Leistungsverlagerung aus den Ambulanzen in den niedergelassenen Bereich.
  4. Verzicht auf zentralistische Steuerungs- und Organisationsgremien.
  5. Konsequenten Abbau der überbordenden Bürokratie.
  6. Attraktive, familienfreundliche und vor allem für Jungmediziner interessante Arbeitsbedingungen in Spital und Niederlassung.
  7. Garantie für die Selbstverwaltung der Ärzteschaft, insbesondere bei Qualitätssicherung, Ausbildung, Stellenplanung und Honorargestaltung.
  8. Zeitgemäße und flexible freiberufliche Zusammenarbeitsformen.
  9. Das Haus- und Vertrauensarztmodell der Ärztekammer.
  10. Gesundheitsreform nur mit den Ärzten!

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 22 / 25.11.2012