Ärzte-Kooperationen: Teamplayer statt Einzelkämpfer

15.07.2012 | Politik

Die Gruppenpraxen bieten Ärzten neue Möglichkeiten zur Zusammenarbeit. Wie Gruppenpraxen funktionieren – auch wenn das Interesse daran noch gering ist – und worauf bei einer Gründung besonders zu achten ist, zeigen erste Erfahrungen aus Wien.
Von Marion Huber

Durch den Gruppenpraxen-Gesamtvertrag, der mit 1. Jänner 2011 zwischen der Ärztekammer für Wien und der Wiener Gebietskrankenkasse in Kraft trat, stehen Ärzten ganz neue Formen der Zusammenarbeit offen. Im Gesamtvertrag sind das Verfahren zum Abschluss von Gruppenpraxen-Einzelverträgen sowie die Rechte und Pflichten von Vertragsgruppenpraxen und deren Gesellschaftern geregelt.

Welche Möglichkeiten der kassenärztlichen Kooperationen bieten sich den Ärzten nun durch die neue Rechtslage? Welche Formen sind attraktiv, welche werden oft gewählt? Den häufigsten Fall stellt die Umwandlung (Upgrading) einer Einzelpraxis in eine Gruppenpraxis zwischen einem Vertragsarzt und einem Nicht-Kassenarzt dar. Neben der Fusion von Einzelordinationen zweier Vertragsärzte kommt es in sehr seltenen Fällen auch zur Ausschreibung einer neuen Gruppenpraxis-Stelle. Dagegen existiert das Modell der Übergabepraxis in Wien – im Gegensatz zu anderen Bundesländern – nicht.

Zusätzlich zu einer Ärzte-Kooperation ist auch eine Dauervertretung möglich. Damit kann ein Vertragsarzt von einem Arzt des gleichen Fachgebiets dauerhaft, jedoch maximal zwei Tage pro Woche und ohne jegliches Nachfolgerecht, vertreten werden. Dafür sind das Vorliegen wichtiger Gründe und die Zustimmung der Ärztekammer und der Kasse erforderlich. Eine weitere, jedoch eher weniger attraktive und daher selten gewählte Möglichkeit, bietet die Gründung einer Job-Sharing-Praxis. Dabei kann eine Vertragsarzt-Stelle zunächst höchstens fünf Jahre lang geteilt werden; danach kann eine einmalige Verlängerung von weiteren fünf Jahren erfolgen. Bei diesem Modell gibt es keine Ausschreibung und daher auch kein Nachfolgerecht, jedoch sind Degressions-Regelungen vorgesehen. Ausschreibungen erfolgen bei einem Upgrading, einem Gesellschafterwechsel und einer Gesellschaftererweiterung und bedürfen immer der Zustimmung von Ärztekammer und Gebietskrankenkasse. Das Ausschreibungssystem, das schon im ursprünglichen Gruppenpraxen-Gesamtvertrag geregelt war, wurde 2011 unverändert übernommen. Dabei haben der Einzelpraxis-Inhaber oder die Gruppenpraxis die Möglichkeit, aus den Kandidaten zu wählen, die 80 Prozent der Punkte des Bestgereihten haben, damit einerseits das Reihungssystem eine gewichtige Rolle spielt, es andererseits aber auch zu keinen Zwangszusammenarbeiten von Ärzten kommt.

Der Gesamtvertrag gilt für alle Arten von Gruppenpraxen; de facto gibt es aber nur fachgleiche Gruppenpraxen. Fachunterschiedliche Gruppenpraxen sind im Gesamtvertrag zwar vorgesehen, die Honorierung nach Fallpauschalen, die jeweils zwischen Kammer und Kasse verhandelt werden, stellt aber noch eine Hürde dar, da es rein praktisch unmöglich ist, für alle denkbaren Kombinationen von Ärztegruppen, verbunden eventuell mit Spezialleistungen, Honorarmodelle zu verhandeln. Für fachgleiche Gruppenpraxen gelten – was Tarife, Honorare und dergleichen betrifft – die gleichen Regelungen wie für Einzelpraxen. Außerdem sieht der Gesamtvertrag Früh- und Abendordinationen sowie die ganzjährige Öffnung der Praxen vor. In puncto Öffnungszeiten sind bei zwei Ärzten 30 Stunden, bei drei Ärzten zum Beispiel 40 Stunden geplant. Darüber hinaus ist im Gesamtvertrag auch die Barrierefreiheit vorgesehen.

Was im Gesamtvertrag nicht enthalten ist, sind Regelungen zwischen den Gesellschaftern; deshalb sind die Vereinbarungen, die zwischen den Kollegen getroffen werden, höchst unterschiedlich. Außerdem muss man zwischen Beteiligung an der Gesellschaft und Beteiligung an der Ausschüttung von Geldern differenzieren. Hinsichtlich der Gesellschaftsanteile ist beispielsweise zwischen einer identen Beteiligung und einer Mindestbeteiligung mit schräger Gewinnausschüttung und Anteilserwerb zu unterscheiden. Darüber hinaus ist auch eine ausschließliche Mindestbeteiligung möglich. Ein weiteres Modell beinhaltet, dass der Juniorpartner nach Ausscheiden des Seniorpartners zum Seniorpartner aufsteigt; in diesem Fall besteht jedoch nie eine idente Beteiligung.

Betrachtet man die tatsächliche Ausschüttung von Geldern, ergeben sich viele Varianten und Subvarianten. Zunächst ist die Ausschüttung gemäß Gewinn oder Verlust der Gesellschaft zu nennen, wie sie bei gleicher Gesellschaftsbeteiligung üblich ist. Außerdem kann die Ausschüttung zum Beispiel gemäß Arbeitsparametern wie etwa nach tatsächlicher Arbeitszeit oder Spezialleistungen erfolgen. Die Praxis in Wien zeigt, dass die Ärzte dies höchst individuell regeln.

Bezüglich der Auflösung einer Gesellschaft kann man aktuell nur auf beschränkte Erfahrung zurückgreifen. Grundsätzlich ist die Auflösung möglich und im Gesamtvertrag vorgesehen; bei den Fächern Radiologie und Labormedizin, wo schon seit Jahren keine Einzelordinationen mehr übergeben werden, ist allerdings davon auszugehen, dass die Kasse einem Modell, nach dem bei einer Teilung der Gesellschaft alle Gesellschafter einen Einzelvertrag bekommen, nicht zustimmen wird. Denn nur wenn Ärztekammer und Krankenkasse zustimmen, haben beide Gesellschafter das Recht auf einen eigenen Einzelvertrag oder die Möglichkeit, im Rahmen einer Gesellschafter-Erweiterung oder Gesellschafter-Reduktion von einer Gruppenpraxis in eine andere zu wechseln.

Tendenz steigend

Was die Zuweisungsfächer anbelangt, ist die Strukturreform hin zu Gruppenpraxen bei der Labormedizin de facto bereits abgeschlossen. Von 22 Einzelpraxen wird auf diesem Gebiet in Wien auf zwei Gruppenpraxen mit 13 beziehungsweise sieben Gesellschaftern reduziert. In der Radiologie wiederum ist die Reform momentan in vollem Gange; geplant ist der Abschluss der Umstrukturierung bis zum Jahr 2020. Anstatt von knapp 90 Einzelordinationen sollen künftig 17 Standorte (inklusive Schnittbildanschluss) mit je vier Gesellschaftern entstehen. Der derzeitige Stand sind 21 Gruppenpraxen. Auch die Pathologie zählt aktuell drei Gruppenpraxen.

Betrachtet man die anderen Ärztegruppen, sind derzeit rund zehn Prozent der Vertragsärzte in etwa 60 Kassengruppenpraxen organisiert. So existieren beispielsweise bei der Allgemeinmedizin drei Gruppenpraxen mit Kassenverträgen, acht sind in Gründung und sieben weitere sind prinzipiell zugesagt; sie müssen jedoch auf eine freie Stelle warten. Auch auf anderen Fachgebieten wie der Inneren Medizin – hier gibt es acht Gruppenpraxen mit Kassenverträgen, drei befinden sich in Gründung und sechs warten auf eine Stelle – der Augenheilkunde oder der Gynäkologie gibt es Anfänge zur Bildung von Gruppenpraxen. Darüber hinaus existieren in Wien vier Wahlarzt-Gruppenpraxen. In der Lungenheilkunde, Urologie, Neurologie sowie in der Psychiatrie und Physikalischen Medizin gibt es hingegen noch keine Gruppenpraxen.

Zusammenfassend kann man sagen, dass das Modell langsam greift, dass man aber auch sehr genau beobachtet, wie es sich entwickelt und wo es Probleme gibt. Man wird da und dort sicher noch mit der Kasse im Gruppenpraxen-Gesamtvertrag die eine oder andere Regelung anpassen müssen, damit das Modell noch besser und für die Ärzte attraktiver wird.

* erstellt auf Basis einer PowerPoint-Präsentation von Dr. Thomas Holzgruber, Kammeramtsdirektor der Ärztekammer für Wien

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 13-14 / 15.07.2012