Originalarbeit: Simulation für mehr Patientensicherheit

15.08.2012 | Medizin

Das Medizinische Simulator-Teamtraining leistet einen entscheidenden Beitrag zu mehr Sicherheit für den Patienten. Seit 2009 etwa werden im niederösterreichischen Zentrum für medizinische Simulation und Patientensicherheit pro Jahr rund 250 Teilnehmer aus ganz Österreich trainiert.
Von Helmut Trimmel*

In der rezenten Literatur finden sich Länder und Kontinente übergreifend übereinstimmende Zahlen, welche unerwünschte Ereignisse mit einer Frequenz von etwa vier Prozent aller stationären Patienten beschreiben. Neben vermeidbaren nosokomialen Infektionen, Medikationsirrtümern sowie Belastungen durch nicht indizierte Untersuchungen werden auch echte Fehlbehandlungen im Rahmen von kritischen Versorgungsabläufen (OP- und Schockraumversorgung, Intensiv- und Notfallmedizin) beschrieben. Es herrscht Konsens, dass ein Großteil dieser Ereignisse vermeidbar gewesen wäre: Je nach Literaturquelle wird dies mit 50 bis 70 Prozent angegeben.

Dabei ist ein Großteil der unerwünschten Ereignisse nicht etwa auf Mängel in der fachlichen – medizinischen oder pflegerischen – Kompetenz begründet: Menschliche Faktoren sind die häufigste Ursache. Dabei unterscheidet man individuell-kognitive Faktoren (etwa Kompetenz in der Entscheidungsfindung, situatives Bewusstsein), Team- und Kommunikationsfähigkeit sowie direkt leistungsbeeinflussende Faktoren wie belastende Arbeitsbedingungen, Stress und Müdigkeit. Deswegen und angesichts der komplexen medizinisch-technischen Möglichkeiten ist es zwingend erforderlich, Instrumente zum Training dieser nicht-medizinischen Fertigkeiten wie effiziente Kommunikationsstrategien in kritischen Situationen und zielgerichteter Teamkoordination zu entwickeln und systematisch einzusetzen.

Der Nutzen des Einsatzes von kybernetischen Simulationssystemen zum interprofessionellen und interdisziplinären Training von kritischen Abläufen und Verfahren ist auch für die Medizin belegt. Ähnlich wie Piloten im Flugsimulator können auch Ärzte beziehungsweise Behandlungsteams die Bewältigung von kritischen Situationen im Simulationsmodell trainieren. Durch den hohen Grad an Realitätsnähe moderner Simulationspuppen empfinden die Teilnehmer eines Simulatortrainings die virtuelle Umgebung und den künstlichen Patienten rasch als „Wirklichkeit“; der Stressleven steigt mit der Komplexität der Aufgabe. Mit derartigen Trainingsmodellen kann vor allem die Kompetenz in Fragen der Teamkoordination, Entscheidungsfindung sowie des situativen Bewusstseins deutlich verbessert werden. Ein Beispiel dafür ist etwa das interdisziplinäre und interprofessionelle Schockraumtraining. Aber auch Notverfahren, die in praxi nur selten erforderlich werden, können sehr realitätsnah trainiert werden wie zum Beispiel die Versorgung eines kritisch kranken oder traumatisierten Kindes. Damit leistet die medizinische Simulation einen entscheidenden Beitrag zu mehr Sicherheit für den Patienten.

Seit einigen Jahren bemüht sich die „Simulationsmedizin“ auch in Österreich, ein fixer Bestandteil der klinischen Ausbildung zu werden. Bis jetzt sind nur wenige Zentren etabliert wie beispielsweise an der Wiener Universitätsklinik für Anästhesie, Allgemeine Intensivmedizin und Schmerztherapie sowie der Klinik für Kinder- und Jugendheilkunde. Das Simulationszentrum am Landeskrankenhaus Feldkirch ist ebenfalls bereits mehrere Jahre aktiv, am AKH Linz wurde vor wenigen Wochen ein neues Zentrum eröffnet. Einige Institutionen sind in Teilbereichen aktiv wie etwa das Donauspital des Wiener Krankenanstaltenverbunds mit einem Zentrum für Simulation in der Kinderanästhesie oder die Wiener Rettung, die mit einem entsprechend ausgestatteten Rettungsfahrzeug Simulation für die Ausbildung von Rettungs- und Notfallsanitätern einsetzt. Diese Aufzählung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern soll beispielhaft die Entwicklung der letzten Jahre aufzeigen. In den meisten Bundesländern sind zurzeit Bestrebungen im Gange, Simulationstraining zu ermöglichen.

Start 2009

Die erste Trägerorganisation, welche das Prinzip des Medizinischen Simulator-Teamtrainings in ein strategisches Risikomanagement-Konzept integriert hat, ist die Niederösterreichische Landeskliniken-Holding. Dazu wurde 2009 am Landesklinikum Hochegg (Niederösterreich) in Kooperation mit dem Landesklinikum Wiener Neustadt das Niederösterreichische Zentrum für Medizinische Simulation und Patientensicherheit eingerichtet. Nach einer zweijährigen Pilotphase am Landesklinikum Wiener Neustadt wurde vom niederösterreichischen Gesundheits- und Sozialfonds im OP-Bereich des Landesklinikums Hochegg ein fixes Simulationszentrum finanziert und eingerichtet. Das Zentrum verfügt über einen voll ausgestatteten OP, eine Intensiv-Überwachungseinheit sowie einen Schockraum. Durch eine entsprechende Adaptierung der Nebenräume sowie des Freigeländes können auch Szenarien der präklinischen Notfallmedizin trainiert werden. Die Auskoppelung des Zentrums aus dem Alltag einer klinischen Spitalseinrichtung ermöglicht einen ungestörten Trainingsablauf; trotzdem kann bei Bedarf auf die Ressourcen der Sonderkrankenanstalt zurückgegriffen werden.

  • CRM-Training („Crisis Resource Management“): Kurse mit klinischen Szenarios aus Anästhesie, Intensivmedizin und innerklinischer Notfallmedizin. Zielgruppe sind Assistenz- und Fachärzte sowie Pflegepersonal aus Anästhesiologie und Intensivmedizin. Dieser Kurs wird jedoch auch interdisziplinär, gemeinsam mit Internisten und/oder (Unfall-)Chirurgen durchgeführt. Der Schwerpunkt wird je nach Zusammensetzung und Erfahrung der Teilnehmer auf innerklinische Notfallversorgung und Intensivmedizin mit Fokus auf Airway-Management, Hämodynamik, Analgosedierung, Reanimatologie gelegt; anästhesiologische Szenarien stehen hier im Hintergrund.
  • CRM-Kurs Notfallmedizin: Szenarios aus präklinischer und innerklinischer Notfallmedizin. Zielgruppe: Notärzte, Assistenz- und Fachärzte, die in der präklinischen Notfallmedizin tätig sind sowie Notfallsanitäter der Rettungsorganisationen.
  • CRM-Kurs Pädiatrie: CRM-Training für Assistenz- und Fachärzte sowie Pflegepersonal der Kinder- und Jugendheilkunde mit Schwerpunkt in der innerklinischen Notfallversorgung und Intensivmedizin. Die Szenarien bearbeiten die Bereiche der Kindernotfall- und Kinderintensivmedizin.
  • Sim-Baby Anästhesie: Simulatortraining mit dem Schwerpunkt in der Kinderanästhesie. Hier werden grundlegende Fertigkeiten und Kenntnisse der Kinderanästhesie („Skills-Training“) aber auch das Management von kritischen Situationen und Notfällen im Team trainiert. Zielgruppe: Assistenz- und Fachärzte sowie Pflegepersonal der Anästhesie.

Die in der Regel für zehn Teilnehmer (sechs Ärzte, vier Pflegepersonen) konzipierten Kurse finden regelmäßig statt.

Trainingsszenarien

Das CRM-Training wird individuell auf den Ausbildungsstand und die Bedürfnisse der Teilnehmer abgestimmt und umfasst im Rahmen einer eineinhalb Tage dauernden Einheit mindestens sechs Szenarien typischer (kritischer) Situationen des jeweiligen Bereichs. Zusätzlich gibt es Kurzvorträge zu Kommunikation, Entscheidungsfindung, Critical Incident Reporting sowie psychologische Übungen. Jedes CRM-Training ist mit 12 DFP-Fortbildungspunkten akkreditiert.

Im Rahmen von Situationen, die für die klinische Patientenbetreuung relevant sind, werden die Zusammenarbeit im Team und die individuellen kognitiven Fähigkeiten zur Bewältigung von kritischen Situationen trainiert: Typischerweise werden etwa ein Oberarzt, ein Assistenzarzt und zwei Pflegepersonen eingesetzt. Im Ablauf könnte ein typisches anästhesiologisches Szenario in etwa wie folgt aussehen:

Im Rahmen eines kurzen Briefings erfahren die Teilnehmer, dass ein 79-jähriger Patient zur elektiven Implantation einer Hüftendoprothese in Spinalanästhesie vorgesehen ist. An Vorerkrankungen sind Hypertonie sowie koronare Herzerkrankung bekannt, der Patient wurde im anästhesiologischen Vorbereitungsgespräch als ASA II eingestuft.

Ablauf im Detail

Das Szenario beginnt mit dem Zeitpunkt der Übernahme des Patienten durch die Teilnehmer (in der Regel zunächst Anästhesie-Assistenzarzt und Pflege) vom „betreuenden Anästhesisten“ (einem Mitarbeiter des Instruktorenteams); Aufgabe ist die weitere Betreuung des Patienten. Hier kann – falls vom Teilnehmer gefordert – nochmals ein kurzes Briefing hinsichtlich des Narkoseverfahrens und der Patientenanamnese (Allergie, Medikamente) anhand der Anästhesiedokumentation stattfinden. Nachdem der Instruktor den Raum verlassen hat, verändert sich die Situation: Das Team muss eine auftretende Krise meistern. Die anderen Kursteilnehmer können die Situation im OP durch Videoprojektion und Tonübertragung verfolgen. Das Szenario endet – in Abhängigkeit vom Verlauf – nach rund 15 bis 20 Minuten.

In einem ausgiebigen Debriefing (handlungsorientierte Reflexion der Teilnehmer, angeleitet durch die Instruktoren) werden die Geschehnisse aufgearbeitet und unter dem Blickwinkel des „Crew Resource Managements“ beleuchtet. Die Gruppe aus aktiven und zusehenden Teilnehmern arbeitet gemeinsam das Szenario auf, mit dem Ziel, dadurch eine Optimierung des Verhaltens in kritischen Situationen zu erreichen.

Dieser Ablauf Briefing – Szenario – Debriefing wiederholt sich im Lauf des Kurses, dazwischen werden – je nach dem Wunsch und Bedarf der Teilnehmer – kurze, vertiefende theoretische Lehreinheiten zu den besprochenen Themen eingebettet.

Instruktoren

Das Team des niederösterreichischen Zentrums für Medizinische Simulation und Patientensicherheit besteht aus Ärzten, Psychologen, Pflegepersonen und Notfallsanitätern. Alle Trainer wurden nach den Richtlinien des ACRM („Anesthesia Crisis Resource Management“) nach David Gaba (University of Stanford/USA) ausgebildet und haben zahlreiche Ausbildungslehrgänge und Simulationstrainings absolviert. Alle Trainer verfügen außerdem über umfangreiche Erfahrung in der klinischen beziehungsweise präklinischen Notfallmedizin. Derzeit wird auch der doch recht aufwändige EDV-technische Aufgabenbereich von einzelnen Mitarbeitern des medizinischen Instruktorenteams abgedeckt.

Am Landesklinikum Hochegg stehen für die Simulation ein Operationsbereich und Schockraum, eine Überwachungs- beziehungsweise Intensiveinheit sowie ein Vorbereitungsraum, der auch als Schockraum genutzt wird, zur Vergügung. Diese Funktionsräume werden auch für „richtige“, jedoch rein elektive Patientenversorgung genutzt. Schon dadurch ist absolute Realitätsnähe für das Training sichergestellt.

Am niederösterreichischen Zentrum für Medizinische Simulation und Patientensicherheit kommen derzeit Computer-gesteuerte high-fidelity Manikins, welche zum Unterschied zu sogenannten Skillstrainern wesentliche Funktionen des menschlichen Organismus darstellen können, zum Einsatz. Atmung, Kreislauf, Bewusstsein und Sprache können damit ebenso simuliert werden wie verschiedenste Krankheitsbilder (zum Beispiel Herzinfarkt, Herzrhythmusstörungen, Asthmaanfall, Lungenembolie) oder typische Verletzungen (Brustkorbverletzung mit Spannungspneumothorax) und deren Folgen (Blutung, Schock, Kreislaufstillstand). Klinisches Erscheinungsbild, Schweregrad und Reaktion auf die Behandlung können durch die Instruktoren beliebig adaptiert werden. Die Steuerung der Simulatoren erfolgt von außerhalb des Sicht- und Hörbereichs der Trainingsteilnehmer, sodass eine sehr realistische Trainingsumgebung geschaffen werden kann. Der Simulator reagiert auf therapeutische Maßnahmen des Kursteilnehmers weitgehend physiologisch. Eine automatische Erkennung von verabreichten Medikamenten und deren Dosierung sowie aller Manipulationen am Manikin bewirkt nicht nur entsprechende Reaktionen des „Patienten“, sondern erleichtert durch die exakte Aufzeichnung auch die Diskussion der Maßnahmen im Debriefing. Darüber hinaus wurde – einzigartig in Europa – ein physiologisches Computermodell entwickelt, das die Wirkung und Interaktion von Medikamenten automatisiert ablaufen lässt. Damit kann die Steuerung des Simulators weitgehend durch den Computer übernommen werden, was ausgesprochen realistische Reaktionen des Simulators, aber auch die Einbindung eines erweiterten hämodynamischen Monitorings ermöglicht.

Alle Trainingsräume des Simulationszentrums sind mit Audio- und Videoaufzeichnungsmöglichkeit ausgestattet.

Akkreditierung

Rund vier Jahre nach Beginn der ersten Aktivitäten zum Thema Medizinische Simulation wurde das Niederösterreichische Zentrum für Medizinische Simulation und Patientensicherheit als erste Einrichtung von der Österreichischen Gesellschaft für Anästhesiologie, Reanimation und Intensivmedizin (ÖGARI) als Ausbildungszentrum akkreditiert.

Tipp:
Weitere Informationen gibt es unter www.noegus.at sowie per E-Mail an simulation@wienerneustadt.lknoe.at

Literatur beim Verfasser

*) Prim. Dr. Helmut Trimmel, Landesklinikum Wiener Neustadt/Abteilung für Anästhesie, Notfall- und Allgemeine Intensivmedizin,
Corvinusring 3-5, 2700 Wiener Neustadt;
Tel.: 02622/321/3851; Fax-Dw: 3855;
E-Mail: helmut.trimmel@wienerneustadt.lknoe.at

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 15-16 / 15.08.2012