Eingeschränkte Nierenfunktion und Bluthochdruck: Unterschätzt und zu spät diagnostiziert

25.09.2012 | Medizin

In Österreich entwickeln etwa zehn bis zwölf Prozent aller Erwachsenen eine eingeschränkte Nierenfunktion. Der Wechselwirkung, dass Patienten mit Nierenerkrankungen oft jahrelang an Bluthochdruck leiden, wird ebenso zu geringe Beachtung geschenkt wie der Tatsache, dass eine chronische Hypertonie eine Nieren- insuffizienz verursachen kann. Von Verena Ulrich

Das Bewusstsein für chronische Niereninsuffizienz und Hypertonie ist sowohl in der Bevölkerung als auch bei Ärzten nicht ausreichend verankert. Da die Zahl der Betroffenen steigt, ist die Entwicklung von effektiven Strategien zur Prävention von renalen und Hypertonie-assoziierten Komplikationen notwendig. Prävention war auch einer der Schwerpunkte bei der Jahrestagung der österreichischen Gesellschaften für Nephrologie und Hypertensiologie, die Anfang September unter dem Titel „Prävention – Alter – Innovation“ in Graz stattfand.

Derzeit gibt es in Österreich etwa 4.000 Dialyse-pflichtige Patienten und etwa 4.000 Nierentransplantierte. Nierenersatztherapien stellen eine hohe finanzielle Belastung für das Gesundheitssystem dar. Präventive Maßnahmen können erheblich zur Kostensenkung beitragen. „Ein wesentlicher Schritt wäre das Entdecken der eingeschränkten Nierenfunktion im Rahmen von Präventionsuntersuchungen“, erklärt Univ. Prof. Alexander Rosenkranz von der Klinischen Abteilung für Nephrologie an der Universitätsklinik für Innere Medizin, Medizinische Universität Graz. Der Experte plädiert für eine Bestimmung des Kreatinin-Wertes und der Proteinurie im Rahmen von Präventionsuntersuchungen. Derzeit werden diese Werte noch nicht routinemäßig untersucht. „Für den Nephrologen ist das Erkennen der Patienten wichtig, bei denen die Nierenfunktion mehr als fünf Prozent pro Jahr abnimmt. Diese Patienten stellen die kardiovaskulären Hochrisikopatienten dar, die es entsprechend zu behandeln gilt“, so Rosenkranz. Ab einer Restfunktion von 20 Prozent empfiehlt der Experte, die Patienten über eine mögliche Nierenersatztherapie aufzuklären und zu einem Nephrologen zu überweisen. Dies könnte beispielsweise mittels eines elektronischen Warnsystems implementiert werden. Bei entsprechenden Werten kommt es Computer-gesteuert zu einer Warnung und so könnten Steuerungsprozesse früh eingeleitet werden. Eine entsprechende Vorbereitung führt dazu, dass Betroffene durch eine Nierentransplantation keine Dialyse benötigen würden oder ein längeres Überleben mit Peritonealdialyse oder Hämodialyse möglich wäre.

Sowohl die Prävalenz der chronischen Niereninsuffizienz als auch jene der Hypertonie hängen vom Alter ab und steigen mit höherem Alter drastisch an. Etwa ab dem 45. Lebensjahr verliert die Niere pro Jahr ein bis zwei Prozent ihrer Leistungsfähigkeit. Etwa 40 Prozent der über 70-jährigen Bevölkerung weisen eine eingeschränkte Nierenfunktion auf und etwa zwei Drittel der über 60-Jährigen eine Hypertonie. Statistiken belegen, dass sich die Zahl der Hypertonie-Patienten in Österreich allein durch die demographische Entwicklung der Bevölkerung beträchtlich erhöhen wird.

Ähnlich wie die Niereninsuffizienz ist auch die Hypertonie eine oft in Vergessenheit geratene Problematik. Die Folgen eines unbehandelten Bluthochdrucks wie zum Beispiel Herzinfarkt, Schlaganfall, Herzinsuffizienz und Nierenkrankheiten sind für 35 Prozent der vorzeitigen Todesfälle in Europa und für 20 Prozent der Lebensjahre mit Behinderung verantwortlich. „Das Problem wird oft bagatellisiert. Schon eine leichte Erhöhung der Blutdruckwerte kann katastrophale Folgen haben“, erklärt Univ. Prof. Bruno Watschinger von der Klinischen Abteilung für Nephrologie und Dialyse am Wiener AKH. Blutdruckwerte über 140/90 mmHg gelten als zu hoch und erhöhen das Risiko für schwere kardiovaskuläre Erkrankungen und Todesfälle. Konsequente Blutdrucksenkung auf Normalwerte könnte beispielsweise die Zahl der Herzinfarkte um mehr als ein Viertel und die der Schlaganfälle um mehr als die Hälfte senken. „Die Situation in Österreich ist so wie in anderen Ländern auch unzureichend“, weiß Watschinger. Man geht davon aus, dass nur die Hälfte der 2,4 Millionen österreichischen Hypertoniker von ihrer Erkrankung weiß. „Wir brauchen die niedergelassenen Internisten und Allgemeinmediziner als wichtige Drehscheibe“, appelliert Watschinger.

Innovation im Fokus

Über neue, innovative Methoden in der Behandlung von Hypertonie-Patienten wurde bei der Jahrestagung in Graz ebenfalls intensiv diskutiert. Im Besonderen wurde auf die Bedeutung der ambulanten 24-Stunden-Blutdruckmessung eingegangen. „Der Blutdruck ist ein variabler Parameter, welcher starke Schwankungen aufweist. Ein gemessener Wert ist in der Regel zu wenig“, erklärt Watschinger. Neue Daten weisen darauf hin, dass die Blutdruckwerte während der Nacht das Risiko für ein kardiovaskuläres Ereignis besser vorhersagen als die untertags gemessenen Werte. Der frühe Einsatz einer 24-Stunden-Messung kann Patienten mit einer Weißkittelhypertonie identifizieren und diese so vor einer „Überbehandlung“ bewahren. Gleichzeitig können die etwa 15 Prozent maskierten Hypertoniker, die bei der Arztmessung Normalwerte, sonst aber zu hohe Werte aufweisen, entdeckt und behandelt werden.

Im Zuge der Jahrestagung wurde zudem eine neue Methode zur Behandlung von Therapie-refraktären Hypertonikern vorgestellt. Bei der sogenannten renalen Sympathikus-Denervierung (siehe dazu auch ÖÄZ 10 vom 25. Mai 2011) wird über einen Zugang über die Leistenarterie ein spezieller Katheter in die Nierenarterien eingebracht und eine Radiofrequenzablation durchgeführt, die circa 60 bis 90 Minuten dauert. Nach der Behandlung stellt sich bei den meisten Patienten eine Reduktion des systolischen Blutdrucks um mindestens zehn mmHg ein. Es gibt zwar kaum Nebenwirkungen, jedoch gelten gewisse anatomische Gegebenheiten als Grundvoraussetzung für die Behandlung. Derzeit gehen Studien davon aus, dass 49 Prozent der Patienten für eine renale Denervierung geeignet sind.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 18 / 25.09.2012