Masern-Eradikation: Ziel in Reichweite?

10.02.2012 | Medizin

Das WHO-Ziel, Masern zu eliminieren, musste auf 2015 verlängert werden. Auch in Österreich liegt die Durchimpfungsrate – obwohl die Impfung bis zum 45. Lebensjahr kostenlos ist – unter den für die Eradikation notwendigen 95 Prozent. Die USA etwa sind bereits seit 2001 Masern-frei.
Von Elisabeth Gerstendorfer

Bis 2015 sollen die Masern in Europa ausgerottet sein – das ist das Ziel der WHO, das auch in Österreich angestrebt wird. Nachdem bereits in den Jahren 2007 und 2010 die Eradikation des Erregers in der Euro-Region nicht erreicht werden konnte, musste die Frist neuerlich verlängert werden. Tatsächlich sind die Masern schwer in den Griff zu bekommen: Allein im Jahr 2011 infizierten sich europaweit mehr als 30.000 Menschen mit dem hoch ansteckenden Virus. In Österreich wurden im Vorjahr 69 Fälle gemeldet. Im langfristigen Vergleich wirkt diese Zahl niedrig, allerdings lag sie schon deutlich darunter, beispielsweise in den Jahren 2004 und 2005 mit je 14 beziehungsweise zehn Erkrankten. „Die Auftrittshäufigkeit der Maserninfektionen variiert sehr stark, je nachdem, wie oft das Virus eingeschleppt wird und in welche Populationen es gelangt. Es handelt sich aber um Fälle, die durch die Masernimpfung vermeidbar wären“, sagt Univ. Prof. Ursula Wiedermann-Schmidt, Leiterin des Instituts für Spezifische Prophylaxe und Tropenmedizin an der Medizinischen Universität Wien.

Hohe Masernaktivität

Österreich ist umgeben von Ländern, in denen es eine starke Masern-Aktivität gibt. Wiedermann-Schmidt: „Das ist eine bedenkliche Situation, denn die Durchimpfungsrate in Österreich erreicht nicht die für eine Eradikation notwendigen 95 Prozent. 2011 betrug die Durchimpfungsrate für die erste Impfung nur rund 80 Prozent, bei der zweiten Impfung lag sie noch darunter.“ Zwar haben laut Gesundheitsministerium 95 Prozent aller unter 15-Jährigen mindestens eine Impfung, aber nur 80 Prozent der Kinder haben die für eine sichere Immunität notwendigen zwei Impfungen.

Die Ursache, weshalb Masern weiterhin in Europa zirkulieren, ist vor allem Impfmüdigkeit, die nicht nur in Österreich zu beobachten ist. „Den Menschen ist nicht bewusst, wie gefährlich und hochgradig ansteckend Masern sind. Die Gruppe der Impfgegner, die glaubt, dass die natürliche Infektion für Kinder besser ist, hat zugenommen“, so Wiedermann-Schmidt. Manche Eltern fürchten Nebenwirkungen oder gesundheitliche Schäden durch die Impfung, andere halten die Impfung für unnötig.

Verstärkte Masernausbrüche gibt es beispielsweise immer wieder in anthroposophischen Schulen, in denen keine Impfungen gegen Kinderkrankheiten angeboten und von den Eltern der Schüler häufig abgelehnt werden. 2008 kam es zu einer starken Verbreitung der Masern im Raum Salzburg, die durch eine Gruppe von Kindern aus der Schweiz in eine anthroposophische Schule eingeschleppt wurden. Das führte zu einerm Jahr erhöhter Masernausbrüche mit insgesamt 443 Fällen. „Impfskeptiker müssen über die schweren und teilweise tödlichen Komplikationen von Masern aufgeklärt werden. Nach wie vor zählen Masernkomplikationen weltweit bei Kindern zu den häufigsten Todesursachen“, sagt Univ. Prof. Werner Zenz von der Klinischen Abteilung für Allgemeinpädiatrie der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde in Graz.

Zenz, der immer wieder Kinder und junge Erwachsene mit schweren und teilweise letalen Masern-Erkrankungen behandelt hat, hat über die Jahre ein Archiv mit Fotos erkrankter Kinder – mit dem Einverständnis der Eltern – aufgebaut, um Eltern, die ihre Kinder nicht impfen lassen möchten, über die Gefahren aufzuklären. „Manche glauben, Masern schützen gegen Asthma, da mit dem Rückgang der Infektionskrankheiten die Autoimmunkrankheiten angestiegen sind. Die Tatsache, dass Diabetes, Asthma etc. zugenommen haben, stimmt zwar. Aber große Studien wie zum Beispiel aus Finnland mit 500.000 Teilnehmern zeigen klar, dass Masern nicht vor Asthma schützen“, so Zenz. Es sei aber schwierig zu argumentieren, da der Zusammenhang zwischen Infektions- und Autoimmunkrankheiten noch nicht ausreichend durch andere Ursachen begründet werden konnte und weiterer Forschung bedarf.

Bei jeder 20. Infektion: schwere Komplikationen

Typische Symptome der Masern sind nach acht- bis zehntägiger Inkubationszeit das rote, großflächige Exanthem, sowie zweigipfeliges Fieber, einmal zu Beginn der Erkrankung und einmal im Stadium des auffälligen Hautausschlages, der hinter den Ohren beginnt und sich in den nächsten Tagen über den Körper ausbreitet. Bei einem typischen Verlauf klingen die Symptome nach ihrem Verlauf ab und der Patient erholt sich nach etwa zwei Wochen wieder. Die Behandlung erfolgt symptomatisch, eine Ursachen-spezifische Therapie gibt es nicht. Auf die Erkrankung folgt Immunität. Allerdings ist die Komplikationsrate bei Masernerkrankungen mit 20 Prozent relativ hoch. Neben schweren Verlaufsfällen von Mittelohrentzündung und Masernpneumonie, die zu einem Lungenversagen führen kann, kann es zu einer Masernenzephalitis kommen, die in 30 Prozent der Fälle letal verläuft. „Die Wahrscheinlichkeit für eine Enzephalitis liegt bei Kleinkindern bei 1:10.000, bei älteren Kindern sogar bei 1:1.000. Die Erkrankungen sind selten, aber immer wieder gibt es Kinder in den Spitälern, die aufgrund von Komplikationen nach der Maserninfektion sterben“, so Zenz. Verläuft die Gehirnhautentzündung nicht letal, bleiben schwere Folgeschäden und Behinderungen. Seltener, aber sehr schwerwiegend ist die subakute sklerosierende Panenzephalitis (SSPE), eine Slow-Virus-Infektion, die auch Jahre nach der Infektioni mit dem Masernvirus auftreten kann. „Seit 1998 gab es in Österreich 16 SSPE-Erkrankungen, die über einen Zeitraum von mehreren Jahren schwerste Schädigungen des Gehirns verursachen und immer tödlich enden. Wie furchtbar diese Kinder dahinvegetieren ist vielen, die glauben, Masern sind nicht so schlimm, gar nicht bewusst“, sagt Wiedermann-Schmidt.

Dass es möglich ist, die Masern zu eliminieren, zeigen die USA, die nach Einführung von Impfprogrammen schon seit 2001 masernfrei sind. In Österreich wird das Bestreben der WHO vom Gesundheitsministerium schon seit Jahren mit Impfkonzepten unterstützt. „In einem Land mit hohem Gesundheitsstandard wie Österreich müssen die von der WHO angestrebten 95 Prozent Durchimpfungsrate unbedingt erreicht werden. Zu diesem Zweck wurde die zweite Masernimpfung aus dem Schulater in das zweite Lebensjahr vorverlegt“, sagt Pamela Rendi-Wagner, Leiterin der Sektion III im Gesundheitsministerium.

Die Impfung ist kostenlos und wird als Masern-Mumps-Röteln-Kombinationsimpfung verabreicht. Im Regelfall verfügen Kleinkinder im ersten Lebensjahr über ausreichend Antikörper der Mutter, sofern diese geimpft beziehungsweise immun ist. Erfolgt die Impfung früher, besteht ein gewisses Risiko, dass noch vorhandene Antikörper die Impfung neutralisieren. „Umso wichtiger ist, dass Personen, die mit dem Kind in Kontakt treten, geschützt sind“, betont Wiedermann-Schmidt.

Größte Infektionsgefahr für junge Erwachsene

Die größte Infektionsgefahr besteht bei jungen Erwachsenen im Alter von 15 bis 25 Jahren, da für viele dieser Generation noch kein wirksamer Masernimpfstoff zur Verfügung stand oder diese oftmals nur eine Impfung erhalten haben. Der Impfstoff ist seit April 2011 für alle unter 25-Jährigen kostenlos und seit Juni 2011 auch für alle bis 45-Jährigen. „Insbesondere alle, die im Gesundheitsdienst tätig sind, sollten geimpft sein. Im November 2011 gab es beispielsweise als Kooperationsprojekt zwischen Gesundheitsministerium und der Medizinischen Universität Wien eine Masernimpfaktion für alle Bediensteten und Studierenden“, so Rendi-Wagner. Wiedermann-Schmidt sieht nicht nur das Ministerium in der Verantwortung: „Einzelne Institutionen und Ärzte müssen genauso dahinter sein, dass die Durchimpfungsrate steigt. Um Lücken zu schließen, müssen etwa Schulen und Spitäler vermehrt Impfaktionen anbieten, so wie dies kürzlich an der MedUniWien geschehen ist.“ Und Rendi-Wagner empfiehlt: „Allgemeinmediziner sollte den Impfpass ihrer Patienten regelmäßig überprüfen und unter anderem auch eingehend über die Risiken einer Masernerkrankung aufklären sowie auf die Gratis-Impfung hinweisen.“

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 3 / 10.02.2012