Inter­view – Univ. Doz. Diet­mar Georg: Auf der Suche nach der indi­vi­du­el­len Strahlentherapie

10.05.2012 | Medizin

Damit, dass sich Tumore wäh­rend der Bestrah­lung nicht nur bio­lo­gisch, son­dern auch räum­lich ändern, befasst sich das im März 2012 eröff­nete Chris­tian Dopp­ler-Labor für Medi­zi­ni­sche Strah­len­for­schung für die Radio­on­ko­lo­gie an der Med­uni Wien, wie des­sen Lei­ter, Univ. Doz. DI Diet­mar Georg, im Gespräch mit Eli­sa­beth Gers­ten­dor­fer erklärt.


ÖÄZ: Was wird im neuen Chris­tian Dopp­ler-Labor für Medi­zi­ni­sche Strah­len­for­schung unter­sucht?

Georg: Wir sind an der tech­no­lo­gi­schen und auch kon­zep­tio­nel­len Ver­bes­se­rung der Strah­len­the­ra­pie inter­es­siert. Die der­zei­tige Behand­lungs­stra­te­gie sieht noch vor, einen Tumor homo­gen zu behan­deln. Die sich ändernde Tumor­bio­lo­gie und Mor­pho­lo­gie wäh­rend der The­ra­pie wer­den bei der Bestrah­lung nicht berück­sich­tigt. Ich bin aber davon über­zeugt, dass das der nächste Quan­ten­sprung zur The­ra­pie­ver­bes­se­rung sein wird. Wich­tig dabei ist, die Infor­ma­tion zur Tumor­ver­än­de­rung, die mit­tels funk­tio­nel­ler Bild­ge­bung gewon­nen wer­den kann, mit in die The­ra­pie ein­zu­be­zie­hen. Die Ergeb­nisse wol­len wir in die The­ra­pie­pla­nung und die The­ra­pie­ad­ap­tie­rung ein­flie­ßen las­sen.

Das heißt, es geht vor allem um die Ände­run­gen der Tumor­bio­lo­gie wäh­rend der Bestrah­lung?

Ja, das ist eines der Haupt­the­men. Neben der bio­lo­gi­schen Ver­än­de­rung gibt es aber auch räum­li­che Ver­än­de­run­gen wäh­rend der The­ra­pie. Die ein­fachste Form ist etwa bei der Behand­lung eines Lun­gen­tu­mor-Pati­en­ten, der wäh­rend der Bestrah­lung ja wei­ter­at­men muss. Je nach­dem wo der Tumor sitzt, kann er sich wäh­rend der Atmung um meh­rere Zen­ti­me­ter bewe­gen. Ziel ist also, die Bestrah­lung mit der Atem­be­we­gung zu kor­re­lie­ren bezie­hungs­weise zu syn­chro­ni­sie­ren. Der­zeit wird ein grö­ße­res Gebiet bestrahlt, auch wenn sich der Tumor bewegt. Wenn man die Bestrah­lung der Bewe­gung anpasst, kann man viel scho­nen­der und prä­zi­ser behan­deln.

Wie wol­len Sie diese räum­li­chen Ände­run­gen sicht­bar machen?

Die Soft­ware für die Bild­ge­bung im Rah­men der Strah­len­the­ra­pie (Image Gui­ded Radio­the­rapy, Anm.), an der wir arbei­ten, funk­tio­niert ähn­lich wie bei einer ‚Play­sta­tion‘. Dort läuft die Soft­ware nicht mehr auf einer Cen­tral Pro­ces­sing Unit wie am Stan­dard-Com­pu­ter, son­dern auf mäch­ti­gen Gra­fik­kar­ten, um die Bil­der in Echt­zeit dar­zu­stel­len. Diese Tech­no­lo­gie machen wir uns zunutze und las­sen unsere Soft­ware­ent­wick­lung auf Gra­fik­kar­ten lau­fen, die mehr­mals pro Sekunde Soll- und Ist-Lage eines Tumors oder eines Organs ver­glei­chen. Basie­rend auf die­ser Infor­ma­tion kann man die Strahl­an­wen­dung ent­spre­chend adap­tie­ren oder steu­ern.

Sind neue Strah­lungs­ar­ten ein wei­te­rer Aspekt Ihrer For­schung?

In eini­gen Jah­ren wer­den in Wie­ner Neu­stadt bei Med­Aus­tron neue Strah­lungs­ar­ten zur Ver­fü­gung ste­hen, allen voran Pro­to­nen und Koh­len­stoff-Ionen. Aber es gibt auch andere Ionen­ar­ten wie Sau­er­stoff oder Helium, die für die kli­ni­sche Anwen­dung inter­es­sant sind. Wir wis­sen aus bis­he­ri­gen Ergeb­nis­sen, dass hypo­xi­sche, also mit Sau­er­stoff unter­ver­sorgte Berei­che, im Tumor strah­len­re­sis­ten­ter sind. Das ist bekannt, man tut sich nur etwas schwer in der Dar­stel­lung. Wenn wir das mit funk­tio­nel­ler Bild­ge­bung visua­li­sie­ren, kön­nen wir den Tumor – je nach­dem, wel­ches Areal wir sehen – inho­mo­gen behan­deln und dann genau dort mehr Strah­lung und zwar mit bio­lo­gisch effi­zi­en­te­ren Strah­len­ar­ten geben, wo wir wis­sen, dass der Tumor die Strah­lung braucht.

Tumorareale wer­den also mar­kiert, je nach­dem wie viel Strah­lung not­wen­dig ist?
In unse­rem Kon­zept nennt sich das ‚dose pain­ting‘. Der Begriff wurde aber nicht von mir geprägt. Das Prin­zip kommt vom Kin­der­spiel ‚Malen nach Zah­len‘, wo unter­schied­li­che Berei­che eine Num­mer haben und je nach Num­mer eine unter­schied­li­che Farbe bekom­men. Bei uns geht es darum, aus der funk­tio­nel­len Bild­ge­bung eine ent­spre­chende Zahl her­aus­zu­fin­den und zwar die Strah­len­do­sis, die für ein bestimm­tes Sub­areal benö­tigt wird. 

Lässt sich so auch der The­ra­pie­er­folg vor­her­sa­gen?

Es gibt gewisse Hypo­the­sen, die besa­gen, dass man durch die Bild­ge­bung und Para­me­ter, die man dar­aus gewinnt, den pro­gnos­ti­schen Wert der The­ra­pie abschät­zen kann. Wenn wir wis­sen, dass der Pati­ent nicht so gut auf die The­ra­pie anspricht, kön­nen wir mit Hilfe die­ser Metho­den die The­ra­pie inten­si­vie­ren. Bei der Strah­len­emp­find­lich­keit gibt es wie in vie­len Berei­chen der Medi­zin eine gewisse Varia­tion von Mensch zu Mensch. Genaue­res gilt es noch her­aus­zu­fin­den. Aber Pati­en­ten, die gut auf die The­ra­pie anspre­chen und etwas weni­ger Dosis im Rah­men der Bestrah­lung brau­chen, könnte man dann auch eine weni­ger inten­sive The­ra­pie geben.

Befas­sen Sie sich auch mit Neben­wir­kun­gen?
Wir haben ver­schie­dene Maus­mo­delle, um Ände­run­gen im Tumor zu stu­die­ren,
aber auch um Ände­run­gen im Nor­mal­ge­webe nach erfolg­ter The­ra­pie zu unter­su­chen. Wenn es uns gelingt, die Strah­len­the­ra­pie durch die Tech­no­lo­gie-Ent­wick­lung räum­lich prä­zi­ser zu machen, bedingt das auch, dass wir weni­ger Nor­mal­ge­webe mit­be­han­deln. Auf der ande­ren Seite gibt es auch im Nor­mal­ge­webe unter­schied­li­che funk­tio­nelle Berei­che und da gibt es noch viel feh­len­des Wis­sen, das wir mit Tier­ver­su­chen, aber auch durch bes­sere Bild­nach­be­ob­ach­tung gewin­nen wol­len. Das ver­bes­serte Ver­ständ­nis der Strah­len­re­ak­tio­nen kön­nen wir dann wie­der in die Opti­mie­rung der The­ra­pie ein­flie­ßen las­sen.

Mit wel­chen Tumor­ar­ten beschäf­ti­gen Sie sich?

Die Tech­no­lo­gie­ent­wick­lung und die kon­zep­tio­nelle Wei­ter­ent­wick­lung der Strah­len­the­ra­pie, die wir betrei­ben, sind prin­zi­pi­ell offen für jeden Tumor, den wir in der Strah­len­the­ra­pie behan­deln. Letzt­lich muss man sagen, dass das ganze For­schungs­pro­jekt schon dar­auf aus ist, die Ver­bes­se­rung in der The­ra­pie kli­nisch zu vali­die­ren. Da kön­nen wir trotz For­schungs­för­de­rung und mit dem vor­han­de­nen Per­so­nal nicht alles machen, weil auch die Nach­sorge ent­spre­chend kom­plex ist. Die kli­ni­sche Vali­die­rung in Bezug auf diese bio­lo­gisch und tech­no­lo­gisch opti­mierte Strah­len­the­ra­pie kon­zen­triert sich auf das Pro­sta­ta­kar­zi­nom, das Zer­vix­kar­zi­nom und ver­schie­denste HNO-Tumo­ren.

Chris­tian Dopp­ler-Labors umfas­sen immer auch Koope­ra­tio­nen von Wis­sen­schaft und Unter­neh­men. Wie sieht dies bei Ihnen aus?

Wir arbei­ten mit Gesamt­tech­no­lo­gie-Pro­vi­dern in der Radio­on­ko­lo­gie zusam­men, um Geräte-sei­tig die Tech­no­lo­gie zu ver­bes­sern, aber auch um kom­bi­nierte Hybrid­ge­räte, das sind Bestrah­lungs­ge­räte mit inte­grier­ter Bild­ge­bung, wei­ter zu ent­wi­ckeln. Einer unse­rer Koope­ra­ti­ons­part­ner ist die Firma Elekta, einer der Glo­bal Player in der Radio­on­ko­lo­gie, die The­ra­pie­be­schleu­ni­ger und unter ande­rem auch Bestrah­lungs-Pla­nungs­sys­teme erzeu­gen, mit denen eine The­ra­pie simu­liert wird. Das heißt: Mit Hilfe der Pati­en­ten­da­ten und mit ent­spre­chen­den Model­len, um die Strah­len­wir­kung im Gewebe zu simu­lie­ren, sieht man dann, wie viel Dosis auf den Tumor kommt und mit wel­chem Risiko Strah­lung auf ein Organ in der Nähe geht. Im Bereich der funk­tio­nel­len Bild­ge­bung arbei­ten wir mit Sie­mens und für die Wei­ter­ent­wick­lung der The­ra­pie mit neuen Strah­len­ar­ten der Ionen mit Med­Aus­tron zusam­men.

Ihr Labor ist bis 2018 ein­ge­rich­tet.
Wie lange wird es dau­ern, bis erste Ergeb­nisse umge­setzt wer­den kön­nen?
Ich hoffe natür­lich, dass wir die vol­len sie­ben Jahre For­schungs­för­de­rung bekom­men, aber es gibt auch Zwi­schen­eva­lu­ie­run­gen unse­rer Akti­vi­tä­ten. Die Umset­zung unse­rer Ergeb­nisse in die kli­ni­sche Pra­xis wird für die ver­schie­dens­ten Berei­che unter­schied­lich lange dau­ern. Neue Behand­lungs­kon­zepte auf Basis der funk­tio­nel­len Bild­ge­bung kann man rela­tiv rasch in die Kli­nik brin­gen. Aber ich denke, es ist schon wich­tig, die neuen Behand­lungs­kon­zepte zuerst in Stu­dien mit klei­ne­ren Pati­en­ten­zah­len zu vali­die­ren. Für das ‚Malen nach Zah­len‘ haben wir jetzt mit unse­ren neuen hoch­prä­zi­sen Bestrah­lungs­an­la­gen etli­che ‚Pin­sel‘ zur Ver­fü­gung und damit ist eigent­lich die Tech­no­lo­gie vor­han­den, um das appli­zie­ren zu kön­nen.

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 9 /​10.05.2012