Funktionelle Dyspepsie: Buntes Beschwerdebild mit viele Komorbiditäten

10.11.2012 | Medizin


Buntes Beschwerdebild mit vielen Komorbiditäten

Nicht nur, dass es sich bei der funktionellen Dyspepsie um eine Ausschlussdiagnose handelt, kommt auch noch dazu, dass zahlreiche Komorbiditäten wie etwa Angststörungen und Depressionen bekannt sind. Darüber hinaus gibt es zwischen funktioneller Dyspepsie, Refluxösophagitis und Reizdarm einen großen Überlappungsbereich.
Von Irene Mlekusch

Patienten, die mindestens drei Monate im Jahr unter Beschwerden und Schmerzen im Oberbauch leiden, ohne dass sich dafür ein morphologisches Korrelat finden lässt, erhalten entsprechend den Rom-III-Kriterien die Diagnose einer funktionellen Dyspepsie. Die Palette der Beschwerden reicht von Sodbrennen über Völlegefühl bis zur Übelkeit. Die Prävalenz ist weltweit hoch: In den USA leiden beispielsweise bis zu 29 Prozent der Angestellten unter funktioneller Dyspepsie, in Europa sind es in etwa 20 Prozent. Somit kommt der Erkrankung auch eine erhebliche wirtschaftliche Bedeutung zu.

Univ. Prof. Christian Madl, Abteilungsvorstand der 4. Medizinischen Abteilung mit Gastroenterologie, Hepatologie und Zentralendoskopie an der Krankenanstalt Rudolfstiftung in Wien beschreibt die funktionelle Dyspepsie als breites buntes Beschwerdebild mit wechselnder Symptomatik. Grundsätzlich unterscheidet man in Bezug auf die Schmerzsymptomatik drei Typen. Dem Patienten mit ausgeprägtem Nüchternschmerz steht der Dysmotilitäts-Typ mit postprandialen Schmerzen und Völlegefühl gegenüber, während die dritte Patientengruppe vorwiegend über Reflux und Globusgefühl klagt. „Auch innerhalb eines Patienten ist ein wechselndes Beschwerdebild möglich“, sagt Madl.

Er weist darauf hin, dass die funktionelle Dyspepsie eine Ausschlussdiagnose ist: „Das Problem besteht darin, zu erkennen, welche Diagnose bei welchem Patienten vorherrschend ist und welche Untersuchungen sinnvoll sind.“ Auch Univ. Prof. Heinz Hammer von der Klinischen Abteilung für Gastroenterologie und Hepatologie der Medizinischen Universitätsklinik Graz macht die Untersuchungen abhängig von den Symptomen und den klinischen Umständen. Beide Experten raten dazu, nach Warnsymptomen zu fragen. „Berichtet der Patient über Blut im Stuhl, Gewichtsabnahme, nächtliche Symptome und Entzündungszeichen oder ist der Patient jenseits des 40. Lebensjahres, so muss eine laborchemische und endoskopische Abklärung sowie eine Ultraschalluntersuchung der Oberbauchorgane erfolgen, um die weitere Differentialdiagnose der funktionellen Dyspepsie auszuschließen“, so Hammer. Madl empfiehlt dagegen auch bei Patienten mit persistierenden Symptomen ohne Warnzeichen eine Laborkontrolle, Gastroskopie und einen Oberbauch-Ultraschall durchzuführen. Hammer beschreibt – je nach Beschwerdetyp – eine Vielzahl an Differentialdiagnosen: „Es handelt sich dabei um die Gruppe der peptischen Läsionen von der nicht-erosiven bis zur erosiven Refluxkrankheit, von der erosiven Gastritis bis zu den peptischen Ulzera.“ Weiters zählen dazu Dünndarmerkrankungen wie zum Beispiel die Zöliakie, die Lambliasis oder eine bakterielle Fehlbesiedelung; Auch eine Pankreatitis oder die exokrine Pankreasinsuffizienz kommen in Frage ebenso sowie hepatobiliäre Erkrankungen die Cholelithiasis mit ihren Folgen. „Natürlich muss auch an bösartige Erkrankungen des oberen Gastrointestinaltraktes gedacht werden“, vervollständigt Hammer.

Überlappungen

Auch die Anzahl der Komorbiditäten ist erheblich. Es besteht vor allem zwischen funktioneller Dyspepsie, Refluxösophagitis und Reizdarm ein großer Überlappungsbereich. „Bei länger andauernden Verdauungsbeschwerden und Durchfall sollte zusätzlich zum Ausschluss eines Reizdarmes eine Index-Coloskopie erfolgen“, merkt Madl an und verweist auf mögliche zusätzliche nichterosive Refluxerkrankungen mit unauffälligen Gastroskopien. Die Beschwerden können auch durch Stress ausgelöst werden und es ist eine erhebliche Komorbidität mit Angststörungen und Depressionen bekannt. „Bis zu zwei Drittel der an funktioneller Dyspepsie leidenden Patienten sind Frauen“, erklärt Madl. Die Erkrankung kann prinzipiell in jedem Alter auftreten.

Die pathogenetischen Ursachen der funktionellen Dyspepsie sind nicht eindeutig geklärt. Hammer spricht von einer multifaktoriellen Pathogenese: „Wesentlich erscheint eine Störung der Verarbeitung von natürlichen Reizen und Beanspruchungen der normalen Funktionen des oberen Gastrointestinaltraktes wie zum Beispiel im Rahmen der Nahrungsaufnahme und Nahrungsverarbeitung. Die Ursache für diese gestörte Reizverarbeitung sind Funktionsstörungen der nervalen und muskulären Strukturen des Magens, aber auch Störungen zentraler Verarbeitungen von sensorischen Reizen.“ Vor allem der Einfluss von emotionalen und kognitiven Faktoren spricht für eine Störung der afferenten Gut-Brain-Axis und der zentralen Schmerzverarbeitung. Obwohl Dyspepsiebeschwerden auch ohne gastrointestinale Noxen auftreten können, verweisen beide Experten darauf, dass Infektionen mit Helicobacter pylori einen prädisponierenden Faktor darstellen können. „Bei manchen Patienten können vermehrt Entzündungszellen in nervalen und muskulären Strukturen nachgewiesen werden, bei anderen findet man geänderte Rezeptorausstattungen dieser Zellen“, ergänzt Hammer und macht deutlich, dass die Veränderungen sehr heterogen sind und die funktionelle Dyspepsie wahrscheinlich kein einheitliches Krankheitsbild darstellt.

Für Madl steht fest, dass die Ursachenforschung der wichtigste Faktor einer optimalen Therapie bei funktioneller Dyspepsie ist. „Im Gespräch mit dem Patienten können unter Umständen potentielle Noxen aufgedeckt werden, die reduziert werden sollten“, berichtet Madl aus dem klinischen Alltag. Konfliktlösungen, Schlafhygiene, Stressreduktion, Änderungen des Lebensstils, Hypnose und/oder eine Ernährungsumstellung können eine Besserung der Symptomatik bewirken. „Die Therapie sollte immer mit einer Änderung der Ernährungsgestaltung beginnen. Eine gesunde, ausgewogene, vernünftige Ernährung sowie langsames und gutes Kauen sind wichtig“, erklärt Madl. Laut Hammer gilt bei der Ernährung: „Was vertragen wird, darf gegessen werden.“ Er warnt vor zu ausgeprägten Ausschlussdiäten, die zu Mangelerscheinungen führen können.

Medikamentöse Therapie enttäuschend

Die pharmakologische Behandlung der funktionellen Dyspepsie ist weiterhin limitiert. Madl bezeichnet die Ergebnisse der medikamentösen Therapie sogar als enttäuschend, obwohl große Erwartungen vorhanden sind. Als Therapieoptionen nennen die Experten antisekretorische Medikamente, Antazida, Domperidon und pflanzliche Substanzen. „Prokinetika zeigen bei der Motilitätsregulation gute Erfolge. Die klinischen Studien mit Motiliden sind dagegen enttäuschend“, berichtet Madl. Hammer bedauert, dass sich die unterschiedlichen Serotonin-Antagonisten in der Praxis leider nicht durchgesetzt haben. Bei zehn Prozent der Patienten kann dafür durch eine Eradikation des Helicobacter pylori – für den Zuvor der Erregernachweis erbracht werden muss – eine bleibende Verbesserung der Symptome erreicht werden. „Nicht zu unterschätzen ist besonders bei Patienten mit ausgeprägter psychischer Komponente die nicht-medikamentöse und medikamentöse psychiatrische und psychotherapeutische Betreuung“, gibt Hammer zu bedenken. Vor allem trizyklische Antidepressiva können zur Besserung der Symptomatik führen; entsprechend der Komorbidität können aber auch Neuroleptika angebracht sein. Einige Patienten profitieren auch von einer Akupunktur. „Das Gespräch mit dem Patienten und die Akzeptanz seines Leidens sind für den weiteren Verlauf wesentlich“, ist sich Madl sicher und betont, dass die Therapie zielgerichtet und auf den jeweiligen Patienten abgestimmt sein muss.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 21 / 10.11.2012