Analge­tika und Nie­ren­in­suf­fi­zi­enz: Mono­prä­pa­rate bevorzugen

25.11.2012 | Medizin

Etwa fünf Pro­zent aller Fälle von chro­ni­scher Nie­ren­in­suf­fi­zi­enz sind auf über­mä­ßi­gen Analge­tika-Gebrauch zurück­zu­füh­ren. Ein erhöh­tes Risiko besteht vor allem bei der Ein­nahme von Kom­bi­na­ti­ons­prä­pa­ra­ten, wobei Frauen im Ver­gleich zu Män­nern ins­ge­samt ein höhe­res Risiko haben. Von Eli­sa­beth Gerstendorfer

Weil nicht-ste­ro­idale Anti­rheu­ma­tika durch Hem­mung der Cyclo­oxy­ge­nase die Syn­these von Pro­sta­glan­din-E2 blo­ckie­ren, kommt es in der Niere bei über­mä­ßi­gem Kon­sum zu Durch­blu­tungs­stö­run­gen mit Kapil­lar­skle­rose und nach­fol­gen­den Nekro­sen von Nie­ren­pa­pil­len; die Harn­pro­duk­tion wird redu­ziert. Wäh­rend die gele­gent­li­che Ein­nahme bei Zahn­ex­trak­tion, Migräne oder ande­ren tem­po­rä­ren Schmer­zen in der gesun­den Niere keine Schä­den her­vor­ruft, kann eine über meh­rere Jahre hin­durch bestehende Ein­nahme über meh­rere Jahre zu einem Nach­las­sen der Nie­ren­funk­tion füh­ren. Die kumu­la­tive Dosis für eine Analge­tika-Neph­ro­pa­thie schwankt bei chro­ni­schen Analge­tika-Abu­sern zwi­schen drei und zehn Kilo­gramm im Laufe des Lebens. „Das klingt zunächst viel“, sagt Univ. Prof. Wal­ter Her­mann Hörl, Lei­ter der Kli­ni­schen Abtei­lung für Nephrolo­gie und Dia­lyse am AKH Wien. „Denkt man aber an ein Schmerz­mit­tel mit 250mg eines Analge­ti­kums, von dem pro Tag vier Tablet­ten ein­ge­nom­men wer­den, so ist dies ein Gramm pro Tag, im Jahr 365 Gramm. Über einen Zeit­raum von drei Jah­ren hat man bereits ein Kilo­gramm ein­ge­nom­men“, so Hörl. Von über­mä­ßi­ger Ein­nahme wird bereits ab 15 Tablet­ten pro Monat über einen Zeit­raum von min­des­tens einem Jahr gesprochen.

Hinzu kommt, dass Analge­tika-Abu­ser häu­fig mul­ti­pel belas­tet sind und Analge­tika in Kom­bi­na­tion mit ande­ren Medi­ka­men­ten, die eben­falls nie­ren­schä­di­gende Wir­kun­gen haben kön­nen, ein­neh­men. Frauen haben im Ver­gleich zu Män­nern ein drei- bis fünf­mal höhe­res Risiko für eine Analge­tika-Neph­ro­pa­thie, auch weil ihr Analge­tika-Kon­sum durch­schnitt­lich höher ist als der von Män­nern, bei­spiels­weise bedingt durch ein höhe­res Auf­tre­ten von Migräne sowie Mens­trua­ti­ons­be­schwer­den. „Frauen haben auch eher Blut­hoch­druck, Harn­wegs­in­fekte und Stoff­wech­sel­stö­run­gen, was eben­falls einen Ein­fluss auf die Nie­ren­funk­tion hat. Die Analge­tika-Neph­ro­pa­thie ist ein deut­lich kom­ple­xe­res Krank­heits­bild als die frü­here ‚Analge­tika-Niere‘. Heute spricht man vom Analge­tika-Syn­drom, bei dem Analge­tika nur ein Teil der Ursa­che sind“, erklärt Hörl.

Gefähr­de­ter Personenkreis

Beson­ders gefähr­det für die Analge­tika-asso­zi­ierte Nie­ren­in­suf­fi­zi­enz sind auch Pati­en­ten, die über meh­rere Jahre Schmerz­mit­tel benö­ti­gen. Lei­det ein Sechs­jäh­ri­ger etwa an rheu­ma­to­ider Arthri­tis, wird er im Laufe sei­nes Pati­en­ten­le­bens über meh­rere Jahr­zehnte Schmerz­mit­tel kumu­lie­ren. Wich­tig ist, die kumu­la­tive Dosis zu redu­zie­ren – etwa durch alter­na­tive Prä­pa­rate. Bei rheu­ma­ti­schen Erkran­kun­gen sind Basis­the­ra­peu­tika wie bei­spiels­weise Metho­tre­xat oder diverse Bio­lo­gi­cals eine mög­li­che Alter­na­tive zu einer auf nicht-ste­ro­idale Anti­rheu­ma­tika basier­ten sym­pto­ma­ti­schen Therapie.

Neben Schä­di­gun­gen der Niere kön­nen nicht-ste­ro­idale Anti­rheu­ma­tika bei chro­ni­scher Ein­nahme auch selbst Schmer­zen her­vor­ru­fen – meist Kopf­schmer­zen – sodass ein Teu­fels­kreis­lauf ent­steht, wenn der Pati­ent den Schmerz unwis­sent­lich mit sei­ner Ursa­che, den Medi­ka­men­ten, zu bekämp­fen ver­sucht. Ein erhöh­tes Risiko für die Ent­wick­lung einer ter­mi­na­len Nie­ren­in­suf­fi­zi­enz besteht vor allem bei der Ein­nahme von Kom­bi­na­ti­ons­prä­pa­ra­ten. Für Mono­prä­pa­rate ist das Risiko eines Analge­tika-asso­zi­ier­ten Nie­ren­ver­sa­gens deut­lich gerin­ger. Emp­foh­len wer­den Schmerz­mit­tel mit den Ein­zel­wirk­stof­fen Ace­tyl­sa­li­cyl­säure, Par­acet­amol oder Ibu­profen sowie Met­ami­zol. Auch bei Kom­bi­na­tio­nen aus Ace­tyl­sa­li­cyl­säure mit Kof­fein oder mit Par­acet­amol sowie der Mischung aus Ace­tyl­sa­li­cyl­säure, Par­acet­amol und Kof­fein sind bei ent­spre­chen­der Dosie­rung keine Nie­ren­schä­den zu erwar­ten. „Auch Par­acet­amol und Met­ami­zol kön­nen über eine COX-Hem­mung Ein­schrän­kun­gen der Nie­ren­funk­tion aus­lö­sen, was vor allem bei der Dosie­rung berück­sich­tigt wer­den muss. Wird gleich­zei­tig viel Flüs­sig­keit ein­ge­nom­men, sodass die Niere gut gespült wird, ist die Ein­nahme die­ser bei­den Sub­stan­zen als gut­mü­ti­ger ein­zu­schät­zen als jene von nicht-ste­ro­ida­len Anti­rheu­ma­tika oder Coxi­ben“, sagt ao. Univ. Prof. Andreas Sand­ner-Kies­ling, Fach­arzt für Anäs­the­sio­lo­gie und Inten­siv­me­di­zin an der Kli­ni­schen Abtei­lung für all­ge­meine Anäs­the­sie und Inten­siv­me­di­zin der Medi­zi­ni­schen Uni­ver­si­tät Graz.

Ent­schei­den­der Para­me­ter ist die Glome­ru­läre Fil­tra­ti­ons­rate (GFR), die das Gesamt­vo­lu­men des Pri­mär­harns misst, das von den Glome­ruli pro Minute gefil­tert wird. Die GFR sinkt bei Neph­ro­pa­tho­lo­gien deut­lich und dient auch zu ihrer Ein­tei­lung. Zen­tral sind zwei Grenz­werte: „Bei ein­ge­schränk­ter Nie­ren­funk­tion, wenn also die GFR bei 50ml/​min liegt oder dar­un­ter, sollte genau über­legt wer­den, ob Aus­schei­dungs-beein­träch­ti­gende Medi­ka­mente gege­ben wer­den oder nicht. Falls ja, sollte dies zuerst ein­ma­lig erfol­gen und die Aus­schei­dungs­funk­tion des Pati­en­ten beob­ach­tet wer­den“, so Sand­ner-Kies­ling. Bleibt die GFR unver­än­dert, kann das Medi­ka­ment unter Beob­ach­tung wei­ter gege­ben wer­den. Sinkt beim Pati­en­ten die GFR wei­ter­hin, muss die Gabe des Analge­ti­kums abge­bro­chen wer­den. Sand­ner-Kies­ling: „Liegt bereits eine schwere Nie­ren­in­suf­fi­zi­enz vor, ist die Mög­lich­keit an Schmerz­mit­teln hoch ein­ge­schränkt. Bei einem Grenz­wert von 30ml/​min oder dar­un­ter dür­fen kei­nes­falls nie­ren­schä­di­gende Medi­ka­mente ver­ab­reicht werden.“

Gän­gige Alter­na­tive sind Opio­ide, wel­che die Nie­ren­funk­tion nicht beein­träch­ti­gen. Aller­dings ist zu beach­ten, dass bei Nie­ren­in­suf­fi­zi­enz Dosis­an­pas­sun­gen erfol­gen müs­sen. Bei ein­ge­schränk­ter Nie­ren­funk­tion (GFR 50ml/​min) sollte bei Mor­phin etwa eine Dosis­re­duk­tion auf 75 Pro­zent erwo­gen wer­den. Eine eng­ma­schige kli­ni­sche Kon­trolle ist not­wen­dig, da beim Abbau von Mor­phin aktive Meta­boli­ten zurück­blei­ben, die zwar was­ser­lös­lich sind und über die gesunde Niere aus­ge­schie­den wer­den. Bei schlech­ter Nie­ren­funk­tion häu­fen sie sich jedoch im Kör­per an. Auch unter Fen­ta­nyl kann es bei die­sen Pati­en­ten zu einer Akku­mu­la­tion und damit zum Auf­tre­ten von Sedie­rung bis hin zur Atem­de­pres­sion kom­men. „Bei der Gabe von Analge­tika gilt es nach wie vor, sehr sen­si­bel zu sein. Nimmt ein Pati­ent über einen län­ge­ren Zeit­raum Schmerz­mit­tel, ist nicht nur zu hin­ter­fra­gen, ob es sich um das rich­tige Medi­ka­ment han­delt, son­dern ob die Ein­nahme wirk­lich not­wen­dig ist“, resü­miert Sand­ner-Kies­ling. © Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 22 /​25.11.2012