Standpunkt – Vize-Präs. Artur Wechselberger: ELGA ante portas

25.02.2011 | Standpunkt

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ELGA soll nun, nach mehr als fünfjähriger Konzeptions- und Diskussionsphase, umgesetzt werden. Dabei könnte von dem, was die damalige Gesundheitsministerin Maria Rauch-Kallat 2006 als „virtuellen lebenslangen Gesundheitsakt“ bezeichnete, nicht mehr viel übrig bleiben. Die „Lebensdauer“der gespeicherten Daten soll im Allgemeinen mit drei Jahren, bei Laborbefunden und nicht mehr benötigten Medikationsdaten für die E-Medikation mit sechs Monaten begrenzt werden. Zudem werden nur die Daten im System verfügbar sein, die den Kriterien von ELGA-Dokumenten genügen.

Großzügige Opt-out-Regelungen sehen vor, dass auch innerhalb dieser Zeiträume nur auf jene Daten zugegriffen werden kann, gegen deren Aufnahme in ELGA nicht widersprochen wurde. Dabei kann der Patient bestimmen, ob sein Widerspruch nur den Medikationsdaten, allen ELGA-Gesundheitsdaten mit Ausnahme der Medikationsdaten oder allen ELGA-Gesundheitsdaten gilt. Ebenso können Patienten bestimmte ELGA-Gesundheitsdiensteanbieter vom Zugriff ausschließen.

ELGA-Gesundheitsdaten, die sich auf HIV-Infektionen, psychische Erkrankungen oder Schwangerschaftsabbrüche beziehen, dürfen überhaupt nur auf Verlangen der sie betreffenden Personen gespeichert werden. Nachdem es sich bei psychischen Störungen und Krankheiten um kein Randgruppenphänomen handelt, sondern fast jeder dritte Österreicher im Laufe seines Lebens davon betroffen ist, wird dieser Gesetzesvorschlag zusätzliche leere Seiten in der Gesundheitsakte zur Folge haben.

Unter diesen Gesichtspunkten ist wohl die Frage nach dem Benefit, den die Ärzte als Anwender dieses Systems und in der Folge die Patienten erwarten können, mehr als berechtigt. Denn ausschließlich der Nutzen in der Gesundheitsversorgung ist es, der gemäß Datenschutzrichtlinie der EU ein System wie ELGA erlaubt. Die Verarbeitung von Gesundheitsdaten zum Zwecke der Gesundheitsvorsorge, der medizinischen Diagnostik, der Gesundheitsversorgung und Behandlung muss demnach dazu dienen, diesen Nutzen zu erzielen, um überhaupt zulässig zu sein.

Die geplante Einbindung anderer Gesundheitsberufe, die nicht wie Ärzte der von der EU-Richtlinie geforderten, gesetzlich verankerten Verschwiegenheitsverpflichtung unterliegen, beeinflusst zudem die für den Datenschutz relevante Interessensabwägung von potentiellen Gefahren zu möglichem Nutzen massiv. Damit wird sich der gesundheitsrelevante Mehrwert durch ELGA noch schwerer argumentieren lassen. Es sei denn, die heimische Bevölkerung und die EU-Gesetzgebung sind bereit, den – schon 2007 unter Gesundheitsministerin Andrea Kdolsky geforderten – Paradigmenwechsel zu einem gelockerten Umgang mit Gesundheitsdaten zu vollziehen.

Zuletzt widersprechen gerichtete Netzwerke zum Befundaustausch, wie sie seit Jahren klaglos funktionieren, der Dringlichkeit zum Ausbau eines ungerichteten Übertragungssystems. Darin werden bereits jetzt verschlüsselte Daten über ein Intranet Zuweisern oder vom Patient namhaft gemachten Befundempfängern schnell, verlässlich und sicher zugestellt.

All die Zweifel am Zusatznutzen von ELGA könnten die Gerüchte nähren, nach denen es sich bei ELGA nicht so sehr um ein unverzichtbares Befundaustauschsystem, sondern mehr um ein Prestigeobjekt des Bundes oder um ein Wirtschaftsförderungsprogramm für die Elektronikindustrie handle.

Das würde auch erklären, warum die essentiellen Fragen des Datenschutzes erst jetzt zur Diskussion stehen und Feststellungen zur Haftung und Finanzierung noch immer ausgeblendet sind.

Artur Wechselberger
Vize-Präsident der Österreichischen Ärztekammer

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 4 / 25.02.2011